Überraschung und Skepsis - das sind die Reaktionen in arabischen und israelischen Zeitungen auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl im Iran. Die wichtigste Aufgabe des neuen Präsidenten Hassan Rouhani sei es, die Beziehungen zu den Nachbarstaaten zu verbessern, fordern die Kommentatoren. Wunderdinge solle aber niemand von dem neuen Mann in Teheran erwarten. Eine Presseschau mit Stimmen aus Algerien, Israel, Libanon, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Die Zeitung al-Mustaqbal aus Beirut, wichtiges Sprachrohr der libanesischen Sunniten, schreibt einen offenen Brief an Hassan Rouhani. Das Blatt beginnt mit einem knappen Glückwunsch an den neugewählten Präsidenten, doch schon im zweiten Satz erinnert Autor Saud al-Maula an "die Seelen der Märtyrer und die Opfer der Gefangenen und Gefolterten, die für die Freiheit und Würde Irans starben". Nun müsse Rouhani die Hoffnungen der jungen Iraner, deren Erfolg 2009 gestohlen wurde, erfüllen. Auf regionaler Ebene müssten Iran und die arabischen Staaten künftig enger zusammenarbeiten, fordert Maula. Dafür bedürfe es jedoch auch einer gemeinsamen Haltung der arabischen Welt gegenüber Teheran - gerade hinsichtlich des Syrien-Konflikts. Der "Islamische Nahe Osten" - die arabischen Staaten plus Iran und Türkei - brauche eine gemeinsame Strategie und solle langfristig den Einfluss der USA, "der Zionisten" und Europas aus der Region zurückdrängen. Mit Blick auf Teherans Einfluss auf die Hizbollah im Libanon schreibt al-Mustaqbal: "Iran hat das Recht auf Wohlstand, Stabilität und Schutz vor seinen Feinden - aber nicht innerhalb unserer Grenzen, um ein Abkommen mit Israel und Amerika zu erreichen."
"Warum Hassan Rouhani?", fragt Mohammed al-Silmi in der von Saudi-Arabien finanzierten, in London erscheinenden Tagszeitung al-Sharq al-Awsat. Seine Antwort: "Der Erdrutschsieg ist Ausdruck der tiefen Abscheu und Unzufriedenheit der jungen Iraner nach der Niederschlagung der Grünen Bewegung 2009." Sowohl das Volk, als auch der Oberste Führer Ayatollah Khamenei hätten sich daran erinnert, dass die Beziehungen Irans zu den arabischen Nachbarn und der gesamten Welt am besten waren, als Mohammed Khatami die Regierung führte. An diese "goldene Ära" wolle Teheran nun offenbar anknüpfen. Dies dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Macht in den Händen von Khamenei liege und die Befugnisse des neuen Präsidenten daher beschränkt seien.
„Der Iranische Frühling wird konservativ sein“
Im libanesischen Orient le Jour beschreibt Molly Selwan die Wahlen im Iran und titelt: „Unter dem demokratischen Deckmantel überlebt die Diktatur“. In Verweis auf die Präsidenten Fidel Castro und Hugo Chavez sowie Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi, die Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali und Hosni Mubarak argumentiert sie, dass nicht alle Staatsmänner, die sich demokratische Titel geben, auch tatsächlich Demokraten sind. Ebenso wenig seien daher auch alle Republiken Demokratien - und das gelte ganz besonders für die „Islamische Republik Iran“. „Der Begriff ‚Republik‘ ist nicht notwendigerweise demokratisch.“
„Der Iranische Frühling wird konservativ sein“, titelt auch die algerische Zeitung ElWatan. Hassan Rouhani sei unter den anderen ultrakonservativen Kandidaten „das Standardbeispiel eines Reformkandidaten“, meint Omar Berbiche. Rouhani sei zwar nur ein moderater Konservativer, doch „die Freudenszenen, die nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses Teheran und die anderen großen Städte des Iran heimsuchten, illustrieren den Willen vor allem der iranischen Frauen und Jugend, sich von dem bleiernen Mantel der Regierung Ahmadinejads zu befreien“. Der versprochene Wandel dürfe sich jedoch vor allem durch eine gewisse Toleranz im gesellschaftlichen Leben zur Kleiderordnung und allgemeinen Freiheiten ausdrücken - „aber nicht mehr“. Die Machtquelle bleibe Ayatollah Ali Khamenei, denn die Wahl Rouhanis lasse „nicht den Schatten eines Zweifels, dass sich nichts Grundlegendes in der iranischen Geschichte ändern wird“.
"Rouhani muss die Verbindung zum Golf kitten," titelt Gulfnews aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Rouhanis Vorgänger Ahmadinejad habe die Beziehungen zu den USA und den Golfstaaten aus populistischem Kalkül verschlechtert, nun müsse Rouhani diese Politik glaubhaft rückgängig machen. Eine zentrale Rolle spiele dabei das Nuklearprogramm; Iran müsse der internationalen Gemeinschaft beweisen, dass es die Atomkraft nur für friedliche Zwecke zu nutzen gedenke. Iran stehe bei den arabischen Staaten inzwischen in schlechtem Ansehen, da es schiitische Minderheiten durch Vasallenkräfte wie die Hisbollah aufwiegele, um den eigenen Einfluss auszuweiten. Sein deutlicher Wahlsieg habe Rouhani eine "wichtige Möglichkeit" dazu gegeben, die nachbarschaftlichen Beziehungen zu verbessern. Doch ist der Optimismus vom Golf reserviert: Rouhani sei zwar als Pragmatiker bekannt, doch sei auch er fest verwurzelt im Revolutionsregime und stünde letztlich unter der Übermacht Khameneis.
"Brücke zwischen Hardlinern und Reformern"
Auch in Israel sind die Wahlen mit viel Aufmerksamkeit verfolgt worden; der Erfolg Rohanis überraschte auch hier. Die Überraschung mischte sich allerdings mit Zurückhaltung und Skepsis. Die meist gelesene Zeitung Yediot Aharonot wartet dabei vor allem mit Hintergründen zur Person Rohanis auf und stellt ihn als eine „wichtige Brücke zwischen Hardlinern und Reformern“ vor. Sein tatsächlicher politischer Einfluss sei aber abzuwarten, da die nationale Sicherheit ja weiterhin in der Entscheidungsbefugnis von Ayatollah Khamenei verbleibe. Die liberale Zeitung Haaretz ist da schon deutlich optimistischer gestimmt.
Die Wahlen hätten Israel „seiner wichtigsten und potentesten Waffe, Ahmadinejad, beraubt,“ schreibt Haaretz. Dessen Provokationen und Holocaust-Leugnungen hätten die Weltöffentlichkeit verärgert und ihn als die „Inkarnation Adolf Hitlers“ angesehen, was vor allem die amerikanischen Juden gegen Iran in Stellung gebracht habe.Dies sei nun nicht mehr gegeben. Der „relativ moderate“ neue Präsident erschwere es Netanjahu von nun an, international Unterstützung für einen Militärschlag gegen Iran zu mobilisieren. Dennoch, so betont Haaretz am Dienstag, sei zu große Freude verfrüht. Denn: „Israels Skepsis über die Frage, wie moderat Rouhani wirklich ist, und die Sorge, dass der Westen in Hinblick auf Iran naiv ist, sind komplett verständlich. Netanjahu hat gute Gründe, Angst zu haben, dass Israel alleine auf dem Schlachtfeld verbleiben wird, wenn der Westen unangemessene Kompromisse im Bezug auf das Thema Nuklearprogramm macht“.
Warum hat Netanjahu nicht gratuliert?
Gleichzeitig zeigt man sich bei Haaretz verwundert über Netanjahus zurückhaltende Reaktion: „Was hätte es Netanjahu gekostet, die Kabinettssitzung am Sonntag mit einer Gratulation an die iranische Bevölkerung zu eröffnen? Dafür, dass sie sich mit ihren Stimmen gegen Khameneis Erwartungen gewendet und somit eine Chance eröffnet haben, diese Krise friedlich zu lösen“ fragte Amos Harel.
Deutlich pessimistischer sieht man Rohanis Wahlsieg bei der eher rechts-nationalen Zeitung Israel Hayom: Rouhani sei nicht daran interessiert, Iran zu verändern. Er wolle das islamische Modell des Staates verbessern, indem er Extremismus eine Absage erteile und dem Westen zulächele, so Boas Bismuth. Man solle nicht überrascht sein, wenn er in ein paar Jahren den Friedensnobelpreis bekomme, schreibt er mit einem leichten Seitenhieb auf dessen frühe Verleihung an Obama im Jahr 2009 für seine diplomatischen Bemühungen um Verständigung zwischen den Völkern. Rohanis moderater Ton sei lediglich eine Taktik Khameneis, um den Sanktionen entgegenzuwirken, so Bismuth. „Israel wird es jetzt schwer haben, Sanktionen und einen möglichen Militärschlag gegen Iran durchzusetzen, obwohl Iran unaufhörlich auf die Herstellung von Nuklearwaffen zuarbeitet,“ so eine andere Stimme von Israel Hayom.