Am 29. November 2016 tagt der mehrfach verschobene 7. Generalkongress der palästinensischen Fatah. Zerstritten und geschwächt, bereitet die Partei des immer autoritärer regierenden Präsidenten Mahmoud Abbas seinen Verbündeten aber auch Israel vermehrt Kopfzerbrechen. Von Niko Pewesin und Bettina Marx
Parteiausschlüsse, Krisensitzungen, Polizeieinsätze gegen parteiinterne Dissident*innen und sogar Schießereien – die Unruhe innerhalb der palästinensischen Fatah und damit im gesamten Westjordanland war in den letzten Wochen mit Händen zu greifen. Mit Spannung wird daher der Generalkongress der De-facto-Regierungspartei erwartet, der am 29. November 2016 in Ramallah zusammenkommt. Rund 1400 Fatah-Mitglieder aus dem Westjordanland, dem Gazastreifen und der palästinensischen Diaspora werden fünf Tage lang in der Mukata‘a, dem Amtssitz von Präsident Mahmoud Abbas, beraten und die Zusammensetzung der Parteigremien neu bestimmen.
Offiziell wird der Kongress jetzt abgehalten, da er laut Parteistatuten bereits zwei Jahre überfällig ist. Eine Reihe von Anzeichen sprechen jedoch dafür, dass eine noch spätere Einberufung eine erhebliche Zerreißprobe für die Partei dargestellt hätte.
Kritik unerwünscht
Den letzten Kongress 2009 hatte Mahmoud Abbas erfolgreich genutzt, um seine Position als Nachfolger des 2004 verstorbenen Yasser Arafat innerhalb der Fatah abzusichern und seine Unterstützer*innen in den zentralen Gremien der Partei in Stellung zu bringen. Obwohl viele Posten neu besetzt wurden, kam es innerhalb der Fatah dabei zu keiner entscheidenden Verjüngung und dies, nachdem die Partei über zwei Jahrzehnte keinen Generalkongress mehr abgehalten hatte. Auch hinterließ die Fragmentierung Palästinas und seiner politischen Landschaft schon damals tiefe Spuren innerhalb der Partei: So erhielten viele Delegierte aus dem Gazastreifen keine Erlaubnis von der Hamas, zum Kongress nach Bethlehem zu reisen. In den Parteigremien blieben die Fatah-Kader aus Gaza unterrepräsentiert.
Heute ist Mahmoud Abbas 81 Jahre alt und als Chef von Fatah und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) sowie als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) mit einer erheblichen Machtfülle ausgestattet. Er hat seine Position seit 2009 nicht nur konsolidiert, sondern ausgeweitet. Doch sein entrückter und autoritärer Regierungsstil, die Überalterung seiner Führungsmannschaft und seine ungeklärte Nachfolge haben seine Popularität unter den Palästinenser*innen deutlich sinken lassen. Die palästinensischen Sicherheitsbehörden im Westjordanland gehen rigoros gegen Kritiker*innen des Präsidenten vor, Facebook-Einträge werden zensiert und bestraft, Missfallensäußerungen unterbunden. Dem aktuellen Bericht von Human Rights Watch zu Folge wird die Meinungsfreiheit im Westjordanland durch die Festnahme und Inhaftierung von Journalist*innen, politischen Gegner*innen und Künstler*innen gezielt eingeschränkt. Besonders die Aktivist*innen der Hamas stehen seit Jahren unter enormem Druck.
Einflüsse von außen und interne Rivalitäten
Doch seit einigen Monaten zieht sich auch das Netz um die Kritiker*innen in den eigenen Reihen immer enger. Verhaftungen und Entlassungen von Fatah-Aktivist*innen, die im Ruf stehen, Abbas Erzrivalen, Mohammad Dahlan, zu unterstützen, häufen sich. Dieser einstige Sicherheitsberater des Präsidenten und Fatah-Führer aus dem Gazastreifen war als ein potentieller Nachfolger Abbas gehandelt worden, bis er sich 2011 mit dem Präsidenten überwarf und ins Exil floh.
Ungehalten wies Abbas Anfang September die Versuche des ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi zurück, Abbas zu einem Einlenken im Konflikt mit Dahlan zu drängen und den Weg für dessen Rückkehr ins Westjordanland frei zu machen. Neben Ägypten unterstützen auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien und etwas zurückhaltender Jordanien, das sogenannte arabische Quartett, den Wiedereintritt Dahlans in die palästinensische Politik, was Abbas weiter unter Druck setzt und in der Region zu isolieren droht.
Die Entscheidung, den Generalkongress der Fatah ohne eine Einigung mit Dahlan und seinen Anhänger*innen abzuhalten, wird auch als Signal an diese Staaten gewertet. Abbas setzt alles daran, die Macht in den eigenen Händen zu behalten. Es gilt als wahrscheinlich, dass es ihm durch den Kongress zumindest kurzfristig gelingen wird, die Reihen innerhalb der Fatah nach seinen Vorstellungen zu schließen. So scheint er beispielweise zu versuchen, die Anzahl der Delegierten zu reduzieren, um mit einer ihm gewogenen Mehrheit die Anhänger*innen Dahlans aus der Fatah herausdrängen zu können.
Allerdings zeigte im Vorfeld des Kongresses auch Dahlan seine Stärke. So hielten Parlamentarier*innen und PA-Angestellte aus seinem Lager öffentlichkeitswirksame Treffen ab und machten Front gegen ihre mögliche Marginalisierung. Auch kam es in den großen Flüchtlingslagern, vor allem in Nablus, immer wieder zu Demonstrationen zur Unterstützung von Dahlan – hier erfreut sich Dahlan, im Gegensatz zum Rest des Westjordanlandes, durch sein finanzstarkes Engagement großer Beliebtheit. Doch gerade in den übervölkerten, verarmten und von politischer Teilhabe weitgehend ausgeschlossenen Flüchtlingslagern zeigen sich die Gefahren der aktuellen Krise in der Fatah deutlich: Neben Dahlan unterhalten verschiedene andere Anführer der Fatah bewaffnete Gruppen, die im Falle eines Machtvakuums an der Spitze der PA die jeweiligen Interessen durchsetzen sollen.
Das ist eines der Szenarien, die das arabische Quartett und auch Israel unbedingt verhindern wollen. Weder ein offen ausgetragener Machtkampf innerhalb der Fatah, noch ein Vakuum in der PA mit einer immer schwächer werdenden Fatah ist in ihrem Interesse. Würden in Palästina die seit Jahren überfälligen Wahlen zum Legislativrat und für das Präsidentenamt stattfinden, stünde der uneinigen und geschwächten Fatah eine Hamas gegenüber, die von dieser Zerrissenheit der Regierungspartei im Westjordanland enorm profitieren könnte.
Keine Rückkehr von Dahlan?
Abbas, der im Jahr 2005, nach dem Tod Arafats von einer großen Mehrheit der Palästinenser*innen ins Amt gewählt wurde, hat seine demokratische Legitimation inzwischen völlig eingebüßt. Sein Streben, über Verhandlungen und über eine Internationalisierung den Konflikt mit Israel gewaltfrei zu lösen, führte zu keinen handfesten Ergebnissen. Im Gegenzug wird er – auch innerhalb der Fatah – für die enge Sicherheitskooperation mit den israelischen Sicherheitskräften heftig kritisiert.
Dahlan, der sich nach eigener Aussage eher als Parlamentsvorsitzender denn als zukünftiger Präsident der PA sieht, gehört nach seinem Bruch mit großen Teilen des Fatah-Establishments nicht mehr zum inneren Zirkel der aktuellen palästinensischen Führung. Doch wäre auch unter seiner Führung eine deutlich konfrontativere Politik gegenüber Israel wenig wahrscheinlich. Er hat ausgezeichnete Verbindungen zu israelischen Sicherheitskreisen und zu den USA und würde im Sinne der ihn unterstützenden konservativ-autoritären Regierungen in der Region für Stabilität in Palästina stehen. Obwohl er für seine Politik der harten Hand als Sicherheitschef der PA in Gaza gegenüber der Hamas berüchtigt war, hat er zumindest aus taktischen Gründen in den letzten Monaten mit Hamas-Vertretern im Gazastreifen zusammengearbeitet. Dies könnte ihm zugutekommen, sollte er in der Zukunft in die inner-palästinensische Aussöhnung eingebunden werden. Allerdings bringt ihm die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland außerhalb der Flüchtlingslager wenig Vertrauen entgegen. Zu hartnäckig halten sich Berichte über Korruption in seinem Umfeld und seinen beachtlichen Reichtum.
Die Vorbereitungen der lange ausstehenden Wahlen werden auch durch die Zerstückelung des palästinensischen Territoriums erschwert und machen die Palästinenser*innen abhängig von der Zusammenarbeit mit den israelischen Besatzer*innen. Gleichzeitig ist die Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas unwahrscheinlicher als je zuvor. Zwar wurden Vertreter*innen der Hamas (und des Islamischen Jihad) zum Generalkongress als Gäste eingeladen, doch scheint die tiefe Feindschaft zwischen beiden Lagern schier unüberwindbar.
Reformdruck und der Verlust der Legitimation
Für Abbas und sein politisches Umfeld ist der Kongress daher der Versuch, neue Legitimation zu gewinnen. Dabei ist jedoch kaum zu erwarten, dass die Führung der Entdemokratisierung in Palästina entgegentritt und ersthafte Schritte unternimmt, die Partei für die längst überfälligen Wahlen in Stellung zu bringen. Beobachter*innen wiesen schon vor der Entscheidung, die für Oktober angesetzten Lokalwahlen zu verschieben, darauf hin, dass die Fatah einige zentrale Aspekte der Vorbereitung auf die Wahl schlicht verschlafen hätte. Es käme nun darauf an, junge, auch weibliche Kandidatinnen in den neu zu bestimmenden Revolutionsrat und in das Zentralkomitee zu wählen. Flankiert werden die Personalentscheidungen auf dem Kongress traditionell von einer programmatischen Verortung zu aktuellen Fragen und strategischen Zielen. Die umstrittene Sicherheitskooperation mit Israel könnte hier ebenso auf den Prüfstand gestellt werden wie die Beziehung zur rivalisierenden Hamas.
Die Entwicklungen der letzten Monate stimmen jedoch pessimistisch. Zu Recht warnen Vertreter*innen aus der palästinensischen Zivilgesellschaft, dass durch die autoritäre und tiefgreifende Kontrolle durch Mahmoud Abbas nicht nur die Legitimität der demokratischen Institutionen, sondern ihre Essenz bedroht ist. Das demokratische Projekt in Palästina droht unter dem Druck der fast 50-jährigen Besatzung und unter dem Joch einer überalterten und reformunfähigen Führung zu scheitern.
Niko Pewesin ist Projektbearbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin und arbeitet zu den Ländern Palästina, Israel und Jordanien.
Bettina Marx ist Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Homepage der Heinrich-Böll-Stiftung unter boell.de. Hier der Link.