10.11.2017
Mohammed bin Salman: Schockwellen aus Riad
Er ist nicht die Ursache für die sich überstürzenden Ereignisse der letzten Woche - aber für ihre Eskalation: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Foto: kremlin.ru
Er ist nicht die Ursache für die sich überstürzenden Ereignisse der letzten Woche - aber für ihre Eskalation: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Foto: kremlin.ru

Rücktritt des libanesischen Premiers, eine Verhaftungswelle gegen saudische Offizielle, ein Raketenangriff aus dem Jemen: Riad sendete diese Woche Schockwellen durch den Mittleren Osten. Im Epizentrum: Mohammed bin Salman. Dabei hat der Kronprinz keinen der Konflikte verursacht – aber er hat sie verschärft.

Es fing an am Samstag, mit einer Rede des amtierenden libanesischen Premierminister Saad Hariri, die live im saudischen Fernsehsender al-Arabiya übertragen wurde. Überraschend verkündete er, dass er sein Amt nicht mehr ausführen werde, aus Protest gegen den wachsenden Einfluss der Hisbollah sowie Irans in seinem Land, und dass er aus Gründen der Sicherheit vorerst nicht in den Libanon zurückkehren könne. Das war der erste Schock. Der libanesische Staat, dessen Administration seit dem Ende des Bürgerkrieges 1990 von einer mühsam zusammengestellten Kompromiss-Regierung zur nächsten schwankt, erlebt nach der letzten Einigung von 2016 abermals eine politische Lähmung (mehr zu den Ereignissen im Libanon unter diesem Link).

Der zweite Schock kam nur wenige Stunden später: In einer Blitzaktion nahmen Sicherheitskräfte dutzende saudische Persönlichkeiten fest. Vor allem im Ausland war blankes Entsetzen die Folge als bekannt wurde, wen es dabei alles getroffen hat. Von amtierenden und ehemaligen Ministern, hochrangigen Prinzen und mächtigen Unternehmern, das Ausmaß der Verhaftungswelle ist beispiellos. Was offiziell durch Korruption erklärt wurde, ist in Wirklichkeit bei weitem mehr als das, nämlich eine Machtumpolung immensen Ausmaßes und Ausdruck eines schwelenden Streits im Herzen der saudischen Monarchie.

Der dritte Schock kam tief in der Nacht vom Süden: Jemenitische Rebellen feuerten eine modifizierte Scud-Rakete mehr als 1.000 Kilometer weit in Richtung der saudischen Hauptstadt, wo sie nach offiziellen Angaben abgefangen wurde. Die Bruchteile des Geschosses landeten in der Nähe des internationalen Flughafens von Riad und sorgten für eine kurzzeitige Unterbrechung der Flüge. Obwohl es nicht der erste Angriff aus dem Jemen mit einer ballistischen Rakete auf Saudi-Arabien ist, seitdem 2015 der Bürgerkrieg dort eskalierte, wurde zum ersten Mal Riad direkt ins Visier genommen.

Eine gefährliche Entwicklung. Alle drei Ereignisse verbindet nicht nur der Zeitpunkt und der Ort, sondern die gleiche politische Rahmensituation: Sie hängen mit dem Wandel in Saudi-Arabien zusammen, der mit dem Aufstieg des saudischen Prinzen Mohammed bin Salman und seinem Reformkurs seinen Anfang nahm und zeigen deutlich, dass er nicht log, als er sagte, er wolle sein Land verändern. Am Samstag konnte man zum ersten Mal in aller Deutlichkeit die Veränderungen sehen: Saudi-Arabien, das seit 1979 keine großen Umstürze erleben musste, war der Fokuspunkt des Mittleren Ostens. Offen ist nur, ob es ein Wandel zum Guten oder zum Schlechten ist.

Streitpunkt Libanon

Dass Saad Hariri seinen Rücktritt als libanesischer Premier ausgerechnet im saudischen Fernsehen verkündete, ist kein unbedeutendes Detail, sondern der eigentlich zentrale Aspekt dahinter: Schon sein Vater Rafiq galt als Verbündeter der Saudis, eine Partnerschaft, die der Sohn fortsetzte, als er in die libanesische Politik einstieg. Nicht nur hat Saad die saudische Staatsbürgerschaft, auch die Firma Saudi Oger, die er leitet, hat ihren Hauptsitz in Riad. Aus den Verbindungen zwischen ihm und der Herrscherfamilie wurde nie ein wirkliches Geheimnis gemacht.  

Saudi-Arabien, das einst in den Verhandlungen vermittelte, die den Bürgerkrieg im Libanon 1989 beendeten, hat seitdem eine aktive Außenpolitik im Land geführt: Neben den vielen Investitionen aus dem Königreich, die massiv zum Wiederaufbau beigetragen haben, war es auch die saudische de facto Kooperation mit Syrien, die Libanons politische Bühne bestimmte, mit Rafiq Hariri im Zentrum.

Der große Bruch kam 2005 mit Hariris Ermordung bei einem Attentat, das bis heute eines der sensibelsten Themen in der Region ist. Die daraus entstandenen Massenproteste im Libanon, die sogenannte Zedernrevolution, führten schließlich zum Abzug der syrischen Soldaten, die seit 1976 dort stationiert waren. Riads Einflussnahme auf Damaskus spielte dabei allerdings eine gewichtige Rolle. Die Saudis, die nach dem Bruch mit Saddam Hussein im Zuge der Kuwait-Invasion 1990 einen militärisch starken Partnerstaat suchten, über den sie eine anti-israelische Politik für ihre kritische, einheimische Bevölkerung begründen konnten, fanden ihn zunächst in den Syrern. Syrische Gastarbeiter und saudische Investitionen waren über die 90er Jahre hinaus zentrale Einnahmequellen für Damaskus, die 2002 fast in der Umbenennung eines syrischen Dorfes nach einem saudischen Geldgeber gipfelten.

Die Zedernrevolution änderte die Beziehung schlagartig: Die Saudis machten die Syrer für Rafiq Hariris Ermordung verantwortlich und begannen, das anti-syrische Camp um die 14. März-Bewegung zu unterstützen, die wiederum vom pro-syrischen Block um die Allianz des 8. März gekontert wurde, die kurz darauf von Iran gesponsert wurde.

Streit um die Hisbollah

Hauptfigur für Riad im Libanon war von da an Saad Hariri, der die Gruppierung anführte, ohne sich wirklich politisch durchsetzen zu können. Der Grund: Die Gegenbewegung wurde von der Hisbollah dominiert, die alles daransetzte, ihre hervorgehobene Stellung nach dem Bürgerkrieg zu verteidigen. Sie war die einzige Miliz, die ihre Waffen nach dem Taif-Abkommen behalten durfte, und geriet regelmäßig mit Hariris Block aneinander.

Bis heute schwelt der Streit um ihre Entwaffnung und eine Verurteilung der Hintermänner von Rafiq Hariris Ermordung in der libanesischen Politik. Dieser Streit ist der Hauptgrund für die Blockade. Alle bisher gefundenen Lösungen funktionierten nur kurzzeitig, wie der erwähnte Versuch von 2016. Die Konkurrenz der Hisbollah zu Hariris-Lager war einer der Hauptgründe dafür, dass Riad seine bis dahin relativ neutrale Haltung zu der Organisation verschärfte.

Für den Krieg zwischen Hisbollah und Israel von 2006, der ausbrach, nachdem Hisbollah-Kämpfer eine israelische Grenzstreife attackierten und drei Soldaten töteten und zwei weitere entführten, verurteilten die Saudis die Parteiführung scharf. Riad wurde noch deutlicher, als 2008 die Hisbollah im Zuge eines Streits mit der libanesischen Regierung, d.h. mit dem 14. März-Block, in West-Beirut einrückte und sich dort mit Anhängern von Saad Hariri Straßenkämpfe lieferte. Spätestens da begann die saudische Regierung, die Hisbollah als einen ihrer zentralen Kontrahenten zu betrachten, der sowohl ihrem Verbündeten Hariri schadet als auch, und das wurde besonders mit dem syrischen Bürgerkrieg ein bedeutender Aspekt, der verlängerte Arm Irans ist.

Es ist relativ schwer zu klären, ob die Saudis ihre Position gegen die Hisbollah ausbauten, nachdem klar wurde, dass diese der Hauptgegner ihres Partners Hariri sind, oder weil die libanesische Partei schon seit ihrer Formierung 1982 tiefe Verbindungen mit Teheran besitzt. Klar ist, dass Syriens pro-Hisbollah-Politik vor 2005 in Riad kein großes Problem darstellte und auch, dass die saudische Konkurrenz mit Iran erst nach dem Arabischen Frühling von 2011 zur handfesten Rivalität ausartete. Die so oft zitierte saudisch-iranische Dichotomie im Mittleren Osten ist insofern auf den Libanon bezogen eine Komponente, aber nicht die absolut entscheidende.

Eskalation im Streit

Was bedeutet dies nun für die aktuellen Geschehnisse in Saudi-Arabien? Eine Möglichkeit wäre, dass die saudische Regierung nicht mehr akzeptiert, dass die Hisbollah eine dermaßen exponierte Stellung im Libanon innehat, die ihr sowohl erlaubt hat, seit 2013 im syrischen Bürgerkrieg an der Seite von Iran und besonders Russland mitzuwirken und somit eine enorme Aufwertung zu bekommen, als auch (inoffiziell) Offensiven des libanesischen Militärs anzuführen, wie die von August 2017 gegen al-Qaida und Da’esh an der syrischen Grenze. Deswegen der Rücktritt Hariris, dessen Regierungsbeteiligung wiederum die Beteiligung der Hisbollah legitimierte.

Ohne Hariri bricht die Regierung zusammen, wodurch die Partei wieder angreifbar wird. In dem Punkt helfen Enthüllungen von WikiLeaks zur Einordnung: Bereits im Mai 2008 schlug der saudische Außenminister dem US-Botschafter im Irak vor, eine von NATO und USA unterstützte arabische Truppe aufzustellen, die im Libanon den Einfluss der Hisbollah kontern soll. Demnach ist die saudische Opposition gegenüber der libanesischen Partei schon seit langer Zeit ein Hauptthema ihrer Außenpolitik und die Geschehnisse vom Wochenende keine wirkliche Neu-Ausrichtung als Teil der Reformen vom Kronprinzen Mohammed Bin Salman, aber auf alle Fälle eine Verschärfung.

Egal wie man zur Hisbollah steht, letztlich war die Phase mit der Regierungsbildung von 2016 ein Fortschritt im Libanon, die umso bemerkenswerter ist, da sie inmitten des katastrophalen Bürgerkrieges im Nachbarland stattfand und die rund eine Millionen Syrer, die dort Zuflucht fanden, das sensible Proporz-System nicht durcheinanderwarfen. Mit Hariris Rücktritt endet dies nun und wahrscheinlich wird Saudi-Arabien seine Linie gegen die Hisbollah weiter verschärfen: Bereits Anfang 2016, was durchaus auf Bin Salman zurückgeführt kann, stufte Riad die gesamte Partei als Terrororganisation ein. Kurz darauf initiierte sie erste Strafmaßnahmen gegen sie, die letztlich das gesamte Land trafen.

Es droht ein Finanzkrieg

Die scharfe Rhetorik aus Riad, die von einer Kriegserklärung spricht, steht in dem Sinne auf weitere Maßnahmen dieser Art. Ohne den Mantel der Hariri-Regierung kann nun eine Art Finanzkrieg gegen die Hisbollah gestartet werden, die sowohl die Partei selbst treffen, als auch den internen Druck im libanesischen Staat gegen sie erhöhen soll. Zu mehr wird es allerdings nicht kommen: Die Hisbollah ist militärisch bei weitem zu mächtig, um sie mit Waffengewalt zu bekämpfen, insbesondere für die saudische Armee. Der Krieg, von dem Riad sprach, wird ein indirekter sein.

Den Enthüllungen des Haaretz-Journalisten Barak Ravid nach werden die Saudis von einem ungewöhnlichen Partner unterstützt: Die israelische Regierung hat internen Dokumenten zufolge seine Botschaften angewiesen, den saudischen Kurs gegen die Hisbollah mitzutragen, mit den gleichen Positionen. Das heißt klar zu machen, dass Iran und seine Verbündete ein gefährlicher Faktor im Libanon sind und die Hisbollah kein stabilisierender Faktor für das Land ist. Diese Punkte sind zwar schon immer Bestandteil der israelischen Position und kein Zeichen für eine saudisch-israelische Abstimmung, interessant ist aber der letzte Aspekt im Dokument: Israels Diplomaten sollen den saudischen Kurs gegen die Houthi-Rebellen im Jemen mittragen und die saudische Rhetorik wiederholen.

Verstrickung im Jemen – ohne Plan

Das nährt bereits länger bestehende Vermutungen, dass zwischen Riad und Tel Aviv eine Art Kooperation lanciert wurde. Anders als im Libanon ist Israel von den Entwicklungen im Jemen nicht wirklich betroffen und profitiert nicht direkt vom saudischen Vorgehen gegen die jemenitischen Rebellen, wie es bei der Hisbollah der Fall ist. Dahinter könnte insofern eine Art quid-pro-quo stecken: Für die Saudis wäre es vorteilhaft, könnten sie über Israel mehr Rückendeckung aus dem Westen für ihren Krieg in ihrem Nachbarland bekommen, den besonders die dortigen Medien- und Aktivistenkreise stark kritisieren. Und Israel hätte mit saudischen Einfluss in der Region einen Hebel in der Hand, der ihre Hauptsorge teilt, nämlich iranische Dominanz.

Doch abgesehen davon, dass Riad Tel Avivs Einfluss auf Europa und Tel Aviv Riads Einfluss im Mittleren Osten ein wenig überschätzen, wird diese Entwicklung auf den jemenitischen Bürgerkrieg selbst ohnehin kaum Auswirkungen haben. Mit den USA und Großbritannien sind schon zwei militärische Schwergewichte aus dem Westen Teil der saudischen Koalition im Jemen, die beide trotz aller Kritik an ihrem Engagement festhalten und trotzdem nicht das Blatt zugunsten von Saudi-Arabien wenden konnten. Warme Worte der Unterstützung aus Israel werden da nicht mehr bewirken. Riad scheint sich immer weiter im Jemen zu verstricken, ohne klaren Plan für einen Rückzug.

Momentan ist der Hauptverbündete des Königspalastes eine Exilregierung, die weniger als ein Drittel des Landes kontrolliert und ohne die massive Militärunterstützung aus dem Ausland auseinanderbrechen würde. Ob die zahlreichen Luftschläge der saudischen Koalition oder die eingeflogenen Soldatenverbände, von sudanesischen Militärs bis zu kolumbianischen Söldnern, nichts hat den Konflikt im Jemen auch nur ansatzweise lösen können, eher weiter verschärft. Der jüngste Raketenangriff direkt auf Riad zeigt, wie wenig Saudi-Arabien die Lage unter Kontrolle hat. Angriffe jemenitischer Rebellen auf saudische Grenzgebiete sind eine Normalität geworden. Der Jemen als das Vietnam Saudi-Arabiens, allzu abwegig erscheint das nicht mehr. Und letztlich ist Mohammed bin Salman der Hauptverantwortliche für diesen Krieg. Eine Schwachstelle für ihn.

Saudi-Arabien und Jemen: Eskalation mit Vorgeschichte

Dabei ist Riad nicht erst seit bin Salmans Aufstieg zum Verteidigungsminister im Januar 2015 im Jemen aktiv, der südliche Nachbar war für das saudische Königshaus schon immer eine gefühlt natürliche Einflusszone, in der es die Geschicke mitbestimmen wollte. Schon im nordjemenitischen Bürgerkrieg in den 60er Jahren waren die Saudis ein wichtiger Akteur, später stützten die Rücküberweisungen jemenitischer Gastarbeiter von Saudi-Arabien aus Jemens Wirtschaft und es war saudischer Druck, der die Regierung in Sanaa fast in die Knie zwang, nachdem diese offen Saddam Husseins Kuwait-Invasion 1990 unterstützte. Auch dass Riad sich militärisch im Land engagiert, ist alles andere als neu: Schon 2009 griffen saudische Kampfjets aktiv Stellungen von Rebellen an, und schon damals kam es zu Berichten von zivilen Opfern, ähnlich wie heute (mehr zur Vorgeschichte des aktuellen Jemen-Kriegs unter diesem Link).

Doch seit dem Antritt von Bin Salman hat sich die saudische Einmischung drastisch verstärkt. Saudi-Arabiens Wirken im Jemen hatte schon immer mitunter aggressive Töne. So unterstützte Riad etwa eine Sezessionsbewegung 1994, die in einen blutigen Bürgerkrieg mündete. Doch selbst das war bei weitem nicht so drastisch wie die Ereignisse seit 2015: Allein von Januar bis Juni 2017 zählte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR im Schnitt jeden Tag über 30 Luftschläge der saudischen Koalition. Dazu haben saudische Streitkräfte Jemens Luft- und Landesgrenze abgeriegelt, auch für humanitäre Lieferungen, wodurch Hilfsorganisation und die UN ihr Vorgehen mit dem saudischen Militär absprechen müssen. Ein beispielloses Vorgehen, was an Taktiken der syrischen Regierung in Oppositionsgebieten erinnert, nur dass im Jemen ein ganzes Land davon betroffen ist. Die Horrormeldungen von Millionen hungernden Menschen und einer grassierenden Cholera-Epidemie sind nicht allein Folgen des Bürgerkrieges, sie sind auch Folgen der saudischen Blockade – die in dieser Woche nochmals verschärft wurde.

Jemeniten gegen Jemeniten – und viele andere

Das soll wiederum nicht bedeuten, dass die Lage im Jemen ohne Saudi-Arabien zwangsläufig friedlich wäre. Der Bürgerkrieg im Land ist in erster Linie ein interner Konflikt, von jemenitischen Akteuren getragen. Riad mischt darin zwar gehörig mit, aber im Kern kämpfen Jemeniten gegen Jemeniten, entlang verschiedener Konfliktlinien. Vielleicht war das der Grund, der die Saudis bewog, aggressiv in diese komplexen Konflikte einzusteigen, um dadurch eine Lösung zu forcieren. Das schlug deutlich fehl: in den Kämpfen zwischen Sezessionsbewegungen, Jahrhundertealten Stämmen, religiösen Revolutionären und zwei Regierungen scheint sich Riad heillos übernommen zu haben.  

Ausgangspunkt des aktuellen Krieges sind die jemenitischen Massenproteste von 2011 im Zuge des „Arabischen Frühlings“, die zum Rücktritt des damaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh geführt haben – der allerdings nicht freiwillig abdankte: Es waren lange Vermittlungsversuche insbesondere von Saudi-Arabien notwendig, sowie ein Anschlag auf Saleh, der ihn schwer verletzte, bevor er seinen Posten räumte und für Behandlungen ausgeflogen wurde.

Ersetzt wurde er von seinem Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansour Hadi. Die kurze Einigkeit von 2011 brach rasch auseinander, und der Jemen schlitterte langsam in einen multidimensionalen Bürgerkrieg, in dem kurz darauf der lokale Ableger der Muslimbruderschaft, die Islah-Partei, einstieg, sowie Da’esh.

Momentan dominieren de facto Allianzen die Geschehnisse im Jemen, darunter die im März 2015 gegründete saudisch-geführte Koalition, die gegen die Rebellen in der Hauptstadt Sanaa vorgeht. Das Hauptargument der Koalition: Iran und die Hisbollah stecken hinter den Kräften der Ansar Allah, die meist nach ihrer Gründer-Familie Houthis genannt werden. Allerdings wird dieser Vorwurf bereits seit 2008 gemacht, ohne je stichhaltig bewiesen worden zu sein, außerdem ist der Hauptfaktor für die heutige Dominanz der Ansar Allah ihre Verbindung mit Saleh. Ganz zu schweigen von den traditionellen Ursprüngen ihres Widerstandes, der älter ist als der momentane iranische Staat.

Bin Salman ist der Anheizer, nicht die Ursache

Der jemenitische Konflikt kann also nicht alleine auf bin Salman zurückgeführt werden, die aktuelle Eskalation allerdings schon: Ob es die tatsächliche Furcht vor Teherans langem Arm war oder eine versuchte Machtdemonstration, die Härte aus Riad gegen dem Jemen kam erst mit dem saudischen Kronprinzen. Seit nun zweieinhalb Jahren führt bin Salman die Militäroffensive, ohne wirkliche Erfolge verbuchen zu können.

Der einzige kurzzeitige Lichtblick für die Saudis war die Vertreibung von Ansar Allah aus Aden Mitte 2015 – allerdings kann man das eher der linksgerichteten Hirak-Bewegung anrechnen, die sich gerne von Sanaa abspalten will. Ohnehin steht die Süd-Bewegung den Vereinigten Arabischen Emiraten näher und ist alles andere als freundlich gegenüber Saudis Hauptpartner Hadi eingestellt. Man muss eher lange suchen, bis man positive Meldungen aus dem Jemen für Riad findet. Am Wochenende kam es neben dem Raketenangriff der Rebellen zudem zu den bis dato heftigsten Kämpfen mit dem jemenitischen Al-Qaida-Ableger AQAP in Aden, der sich immer weiter im Land durchsetzt.

Das ist für Saudi-Arabien der nächste Rückschlag: Terrorismus ist für die Saudis seit dem Sturm auf die Große Moschee von Mekka 1979 ein Hauptproblem, das sie nie wirklich bändigen konnten. Anschlagswellen durchziehen Saudi-Arabien regelmäßig, angefangen beim Bruch mit Osama bin Laden in den 90ern bis heute mit der drohenden Gefahr durch Da’esh. Nachdem Riad im syrischen Bürgerkrieg so gut es ging versuchte, jene Oppositionsgruppierungen zu stützen, die eine rein nationale Agenda besitzen, was durch die Dominanz von Da’esh und al-Qaida nach 2014 ziemlich misslang, könnte ähnliches im Jemen drohen.

Diesmal wären es jedoch nicht nur saudische Staatsbürger, die bei ihrer Rückkehr aus dem Kriegsgebiet gefährlich werden, sondern direkte Angriffe aus dem Nachbarland. Allein 2015 kam es zu vier massiven Bombenanschlägen, die eindeutig darauf ausgelegt waren, die saudische Bevölkerung zu spalten, da sie schiitische Moschen im Osten des Landes zum Ziel hatten. Ob als direkte Folge jener Anschläge oder aufgrund der generellen Diskriminierung durch Riad, sah die Stadt Qatif im August 2017 die größten schiitischen Aufstände in vermutlich der kompletten Geschichte Saudi-Arabiens. Was in der westlichen Berichterstattung durch die repressive saudische Medienpolitik nahezu vollständig unterging, waren Bilder von Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Milizionären, die fast an Syrien oder Irak erinnerten.

Durchwachsene Bilanz für den Kronprinzen

Zusammen mit der fehlgeschlagenen Einschüchterung Katars ist bin Salmans generelle politische Bilanz überaus durchwachsen. Das neueste Projekt, das Vorgehen gegen die Hisbollah mit dem Rücktritt von Hariri, wird die nächste Bühne sein, in der sich die Saudis, allen voran ihr neuer Anführer, beweisen müssen. Natürlich geht von der saudischen Außenpolitik im Libanon, Jemen und Syrien sowie den Konflikten mit Katar, der eigenen schiitischen Bevölkerung und Terrorgruppierungen, nichts auf bin Salman alleine zurück. Alles sind Themen, die teils seit Jahrzehnten die saudische Politik dominieren. Er ist auch nicht der einzige Hardliner in Riad. Dafür reicht allein ein Blick auf die jüngsten Enthüllungen von Edward Snowden, die belegen, wie ein saudischer Prinz im März 2013 persönlich syrische Rebellen anwies, mit zuvor gelieferten Waffen „Damaskus leuchten zu lassen“, d.h. zum Jahrestag der Revolution unter massiven Beschuss zu nehmen.

Dennoch ist der Kronprinz verantwortlich für eine aggressivere, härtere Linie und besonders für die versuchte Reform der Entscheidungsfindung im Land: Was zuvor aus konsensbasierten Prozessen zwischen den verschiedenen saudischen Akteuren bestand, wird mit den neuesten Verhaftungen mehr und mehr zentralisiert. Damit besteht bin Salmans revolutionärste Änderung darin, dass er seine Macht nicht durch traditionelle Strukturen legitimieren möchte, wie dem religiösen Klerus, den Strömungen der Königsfamilie oder den Stämmen, sondern den knapp zwei Drittel der saudischen Bevölkerung, die unter 30 Jahre alt sind. Und um diese für sich zu gewinnen, fährt er die härtere Linie in der Außenpolitik, zusammen mit den gigantisch wirkenden wirtschaftlichen Reformprojekten. Kriegserklärungen gegen die Hisbollah und Ansar Allah, mit scharfer Rhetorik gegen Iran, gepaart mit Milliardenschweren Investitionsprojekten, sind seine Mittel, um Anhänger zu gewinnen gegen das traditionelle saudische Establishment.

Für Saudi-Arabiens Vorgehen im Mittleren Osten öffnet das eine gehörige Portion Unberechenbarkeit. Die traditionelle Ausrichtung muss nicht unbedingt weiter gültig sein, die mutmaßliche Kooperation mit Israel ist ein übergroßes Zeichen dafür. Erst im Oktober erlaubten die Saudis einem russischen Ärzteteam, den jemenitischen Ex-Präsidenten Saleh in Sanaa zu operieren, obwohl dieser eigentlich ihr politischer Kontrahent ist. Und diese Woche fuhr der ägyptische Präsident den saudischen Plänen im Libanon in die Quere und sprach sich gegen harte Maßnahmen gegen die Hisbollah aus. Ägypten führt wohlgemerkt mit Saudi-Arabien die Blockade gegen Katar an.

Zu guter Letzt führten einige der saudischen Verbündeten im Jemen zu Kontroversen, weil diese Teil der Hadi-Regierung sind und gleichzeitig auf Terrorlisten der USA stehen, aufgrund ihrer führenden Rolle bei der AQAP. Mohammed bin Salman hat viel vor sich, wenn er Riads Außenpolitik ordnen möchte. Letztlich ist auch der Mittlere Osten selbst Teil seines umfassenden Reformprogramms und damit all den möglichen Instabilitäten genauso ausgeliefert wie Saudi-Arabien selbst. Dabei wäre nach dem Niedergang von Da’esh endlich eine regionale Phase der Ruhe möglich. Doch die kann bin Salman nicht gebrauchen.  

 

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Parham Kouloubandi studiert an der Sciences Po in Paris International Security und beschäftigt sich hauptsächlich mit sicherheitspolitischen Fragen und zwischenstaatlichen Beziehungen in Westasien. Sein Fokus liegt auf bewaffneten Konflikten und Diplomatie, vor allem in Hinblick auf die UN. Er ist zudem als Berater für eine ägyptische...