30.11.2015
Möglicher Präsident für den Libanon: Folgt Sleiman auf Sleiman?
Parliert hier der zukünftige Präsident des Libanon mit der EU-Botschafterin Christina Lassen? Sleiman Frangieh am vergangenen Samstag. Foto: Twitter-Account von Sleiman Frangieh, @sleimanfrangieh
Parliert hier der zukünftige Präsident des Libanon mit der EU-Botschafterin Christina Lassen? Sleiman Frangieh am vergangenen Samstag. Foto: Twitter-Account von Sleiman Frangieh, @sleimanfrangieh

Im Libanon scheint sich ein Ende der Präsidentschaftskrise anzubahnen: Vieles spricht dafür, dass Sleiman Frangieh der Nachfolger des vor 18 Monaten aus dem Amt geschiedenen Michel Sleiman wird. Doch Frangieh wäre alles andere als eine Konsens-Entscheidung. Im Raum steht daher ein größerer Deal.

Manchmal gibt es Freundschaftsbezeigungen, auf die würde der Empfänger liebend gerne verzichten. Am vergangenen Donnerstag beispielsweise lies Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah seinem politischen verbündeten Michel Aoun ausrichten: „Du und ich sind eins, und wir treffen keine ,präsidentielle Entscheidung' ohne Dich.“ Für den ganzen Libanon lesbar auf der Titelseite von Nasrallahs Hauszeitung al-Akhbar. Ein Satz, der auf Aoun in etwa so beruhigend gewirkt haben dürfte wie „ein Teil meiner Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“ auf die deutsche Öffentlichkeit. Denn wenn Nasrallah erst versichern muss, es gebe keine Entscheidung ohne Aoun, dann bedeutet das in der Regel: Es gibt eine Entscheidung, und sie heißt nicht Aoun.

Womöglich heißt sie stattdessen Sleiman Frangieh. Denn während die Welt auf Syrien blickt, scheint sich im Libanon etwas zu bewegen. Der 50-Jährige Anführer der Marada-Partei hat in den vergangenen Tagen eine ganze Reihe von Botschaftern empfangen – den amerikanischen, den britischen und die europäische Botschafterin. Was noch wichtiger sein dürfte: Frangieh hat sich mit Saad Hariri, dem Anführer des Future Movement, der größten sunnitischen Partei, getroffen und ein paar Tage später nochmal mit ihm telefoniert.

Seither ist der Libanon in Aufruhr. Und was sagt Frangieh selbst dazu? Er übt sich im Diplomaten-Sprech: „Wir betrachten heute alle Vorschläge als ernsthaft, die vorgebracht werden. Und wir vertrauen dem anderen Lager und seinen Vorschlägen. Ich kann versichern, es gibt einen ernsthaften, aber nicht offiziellen Vorschlag.“ Und: Einstweilen bleibe der Kandidat der Allianz des 8. Märzes Michel Aoun.

Der Kampf ums Präsidentenamt: 18 Monate politische Blockade

Das ist Aoun mittlerweile schon seit 18 Monaten. Seit am 25. Mai 2014 die Amtszeit von Michel Sleiman endete, steht der Libanon ohne Präsidenten da. Für das Amt, das traditionell für einen maronitischen Christen reserviert ist, waren zwar einige Namen im Gespräch. Aber vor allem konkurrierten zwei Politiker stellvertretend für die beiden politischen Allianzen, die den Libanon seit einem Jahrzehnt spalten: Samir Geagea für die Koalition des 14. März, deren Anführer Saad al-Hariri ist, außenpolitisch an der syrischen Opposition, an Saudi-Arabien und an den USA orientiert, und eben Michel Aoun für die Koalition des 8. März unter Anführung der Hisbollah, außenpolitisch am syrischen Regime um Bashar al-Assad sowie am Iran orientiert.

Die erste Parlamentssitzung mit dem Ziel, einen neuen Präsidenten zu wählen, geriet zur Farce, alle weiteren 30 (!) Sitzungen boykottierten die Abgeordneten von Michel Aouns Partei Freie Patriotische Bewegung und ihre Verbündeten, unter anderem die Hisbollah-Abgeordneten. Damit wurde regelmäßig das notwendige Quorum verfehlt, es konnte kein Präsident gewählt werden – und der Libanon war politisch blockiert. Daran änderte sich auch nichts, als Aoun und Geagea nach Jahrzehnten der Feindschaft im Juni 2015 einen Aussöhnungsprozess begannen. Die politische Untätigkeit führte letztlich zu den massiven Protesten der YouStink-Bewegung im August und September 2015, die sich vor allem an der ungelösten Müll-Problematik im Land entzündeten, aber bald weite Teile der politischen Elite im Land zum Ziel hatten.

Die Dynastie Frangieh – Machthaber seit über einem Jahrhundert

Dass die YouStink-Aktivisten Sleiman Frangieh als die Lösung ihrer Probleme betrachten würden, darf aber getrost bezweifelt werden. Schließlich verkörpert er fast alles, was sie kritisieren: das quasi-feudale politische System, in dem Ämter per Abstammung statt per Abstimmung vergeben werden, den daraus resultierenden enormen Reichtum sowie die tiefe Verstrickungen in den Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990. Andererseits wäre Frangiehs Wahl auch nur die Fortführung einer mehr als hundert Jahre alten, mächtigen Dynastie aus dem Nord-Libanon: Schon Ururgroßvater Sleiman war Distrikt-Statthalter im Osmanischen Reich (1904 bis 1908). Urgroßvater Kabalan war Parlamentarier (1929 - 1932). Großvater Sleiman dann war sogar Präsident (1970 - 1976), bis heute aber ein umstrittener, fiel doch in seine Amtszeit der Ausbruch des Bürgerkriegs. In diesem wiederum war Tony Anführer der Marada-Miliz, bevor der Präsidentensohn (und womöglich -Vater) 1978 von Anhängern der ebenfalls christlichen Phalange-Miliz umgebracht wurde.

So wurde Sleiman Jr. im zarten Alter von 17 Jahren zum Milizenführer – und wie viele der einstigen Warlords nach Ende des Krieges zum einflussreichen Politiker. Unter anderem war er schon acht Mal Minister. Für die nächsten Parlamentswahlen, die zunächst 2013 stattfinden sollten, seither aber mehrmals verschoben wurden und nun für 2017 angesetzt sind, hat er bereits angekündigt, nicht mehr antreten zu wollen. An seiner Statt soll Sohn Tony kandidieren. Ihm selbst bleibt ohnehin nur noch das Präsidentenamt, um seine schillernde politische Karriere zu krönen. Schon 2007 kandidierte er für das Amt als Nachfolger von Émile Lahoud, bevor dann mit dem Abkommen von Doha die Wahl auf Michel Sleiman fiel.

Der große Deal: Tausche Präsidenten gegen Premierminister

Geerbt hat Sleiman Frangieh aber nicht nur eine beeindruckende Familien-Historie, eine treue Anhängerschaft im Nord-Libanon und eine Menge Geld. Er verfügt auch über enge Beziehungen zum Hause Assad in Syrien, die bis in die 1950er-Jahre zurückreichen. Und auch während des nun schon über vier Jahre währenden Kriegs im Nachbarland hat Frangieh aus seiner Unterstützung für den syrischen Diktator kein Geheimnis gemacht. Er wäre also kein Konsens-Kandidat, auf den sich alle libanesischen Parteien einigen könnten, steht doch die Koalition des 14. März klar auf Seiten der syrischen Opposition.

Medien berichten daher von einem großen Deal: Frangieh soll Präsident werden, wenn dafür Saad Hariri wieder Premierminister wird; ein Amt, das er bereits von 2009 bis 2011 innehatte. Der eher farblose Tamam Salam müsste dann abtreten. Somit wäre das Gleichgewicht zwischen dem 8. März (Frangieh) und dem 14. März (Hariri) wieder hergestellt. Den Handel, der einer Sensation gleichkäme, soll der einflussreiche drusische Politiker Walid Joumblatt bei einem Besuch in Saudi-Arabien im Oktober eingefädelt haben, schreibt NowLebanon. Dem Bericht zufolge haben auch die anderen einflussreichen externen Akteure im Libanon, also Iran, Frankreich und die USA, kein Veto gegen einen Präsidenten Frangieh eingelegt.

Noch sind es nur Gerüchte und Spekulationen, die den Libanon aktuell umtreiben, und ob es so kommt, scheint alles andere als sicher: So soll laut Orient le Jour der Widerstand etwa der christlichen Phalange-Partei (deren Miliz seinerzeit Tony Frangieh umbrachte) gegen einen weiteren Präsidenten Frangieh größer sein als bisher angenommen. Auch in Saudi-Arabien ist Frangieh anscheinend umstritten, gälte seine Präsidentschaft in manchen Kreisen doch als „Geschenk an Baschar al-Assad“. All das sind Hindernisse, aber wohl keine unüberwindbaren.

Und dann ist da noch Michel Aoun, Anführer der größten christlichen Fraktion im Parlament, der seit Jahrzehnten wie besessen darauf hinarbeitet, libanesischer Präsident zu werden. Bald wird er 81, die jetzige Kandidatur ist seine letzte ernsthafte Chance. Die Rede ist davon, dass er statt mit der Präsidentschaft mit einem neuen Wahlgesetz zufrieden gestellt werden soll, das seiner Partei entgegenkäme.

Hassan Nasrallah wird jedenfalls bestimmt keine Entscheidung ohne ihn treffen – oder zumindest wird es so in der al-Akhbar stehen.

 

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Sein Journalistik-Studium führte Bodo vor einigen Jahren in den Libanon. Es folgten viele weitere Aufenthalte im Libanon und in anderen Ländern der Levante, auch als Reiseleiter für Alsharq REISE. Bodo hat einen Master in Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens in Marburg und arbeitet heute als Journalist, meist für die Badischen...