29.11.2022
Libanons duale Wasserversorgung – Wenn die Pumpen stillstehen
Sonnenaufgang in Beirut. Ein Blick auf die Dächer die mit Wassertanks bestückt sind. Foto: Elisa Nobel-Dilaty
Sonnenaufgang in Beirut. Ein Blick auf die Dächer die mit Wassertanks bestückt sind. Foto: Elisa Nobel-Dilaty

Inmitten von Libanons Krisen versagt das staatliche Wassersystem immer wieder, unter anderem durch die mangelhafte Stromversorgung. Private Wassertanks sind der einzige Ausweg. Der jüngste Choleraausbruch zeigt, wie prekär die Lage ist.

Es ist still an diesem Sonntagmorgen in Aschrafije, einem Stadtteil im Osten Beiruts, der auf einem Hügel gelegen ist. Anders als an den Wochentagen ist kein rauschender Verkehr zu hören, sondern Vögel und Kirchenglocken. Beim Öffnen des Fensters kommt ein warmer Sonnenstrahl herein, nicht gefolgt vom üblichen Gestank des Benzins.

Es wirkt fast idyllisch, als ich meinen Kaffee in der milden Novembersonne auf dem Balkon trinke. Ich schaue auf die Dächer der umliegenden Gebäude. Mein Blick fällt auf Satellitenschüsseln, Kabelkonstruktionen und Wäscheleinen mit ordentlich aufgereihten Kleidungsstücken. Die meisten Dächer sind außerdem mit Wassertanks bestückt – eine Ahnung der desolaten Versorgungslage.

Seit einigen Wochen herrscht in Beirut mal wieder eine Wasserknappheit, die den Haushalten den Alltag noch beschwerlicher macht, als er aufgrund ständiger Stromausfälle ohnehin schon ist. Seit Jahrzehnten schon ist Elektrizität ein rares Gut und seit jeher sind die Bewohner:innen Libanons auf private Generatoren angewiesen, die sie in den Stunden versorgen, in denen die staatliche Stromversorgung ausfällt. Die Situation des Landes verschlimmert sich seit 2019 mit der Wirtschaftskrise, die das Land in einen freien Fall gebracht hat, mit einer Inflation von 162 Prozent allein in 2022. So kommt es, dass der staatlich generierte Strom momentan gar nicht oder nur ein bis zwei Stunden am Tag vorhanden ist.

Den Rest der Zeit beschaffen private Generatoren, die mit Diesel betrieben werden, den Strom. Jedoch nur maximal elf Stunden am Tag, da auch Diesel nicht in Unmengen vorhanden ist. Es versteht sich von selbst, dass die Generatoren privat gezahlt werden müssen, und zwar in Dollar zu horrenden Preisen. Ein großer Teil der Bevölkerung, von der innerhalb von wenigen Jahren 80 Prozent unter die Armutsgrenze gerutscht sind, kann sich das nicht leisten - und wenn, dann meist lediglich durch die finanzielle Hilfe im Ausland lebender Familienmitglieder.

Wer genug Geld hat, kann Lösungen finden: Das Solar-Business brummt und jede:r, der die Mittel und genügend Platz hat, installiert sich die Panels auf dem Dach. Doch für Familien, die in Wohnungen in mehrstöckigen Gebäuden leben, ist auch das ein Problem. Wer darf welchen Platz auf dem meist kleinen Dach mit Solarpanels besetzen? Zumal die Dächer oft schon mit individuellen Wassertanks besetzt sind.

Fast die Hälfte des Wassers kommt nicht bei den Endverbraucher:innen an

Die Wassertanks erhalten in diesen Wochen eine neue Bedeutung für mich. Ich lerne, dass das normale Leitungswasser zwar eigentlich von der Regierung gestellt wird – vier Institutionen sind staatlich beauftragt, die Wasserversorgung im Land zu übernehmen. Doch es gibt ständig Probleme mit dem staatlichen Wassersystem – in diesen Wochen ist es die chronische Stromknappheit, die die Pumpen nicht genügend arbeiten lässt.

Unicef warnte in einem Bericht bereits im Juni 2021 vor einem drohenden Kollaps der Wasserversorgung, da die Kosten zur Reparatur und die Beschaffung von Ersatzteilen in der Wirtschaftskrise so gestiegen sind, dass die Regierung dafür nicht mehr aufkommen kann. Gepaart mit den ständigen Elektrizitätsausfällen, ist es eine Herausforderung das Wasser in die mehrstöckigen Gebäude Beiruts oder in weit entlegene Dörfer zu pumpen. Außerdem wird angenommen, dass fast 50 Prozent des Wassers auf dem Weg durch die Leitungen durch Lecks verloren gehen, die durch schlechte Ausrüstung und fehlende Wartung entstehen. Ein weiterer Grund sind illegale Abzapfungen von Wasserreserven im großen Stil. Circa eine Million Geflüchtete sind von der zentralen Wasserversorgung ganz abgeschnitten und müssen alternative Wasserquellen finden.

Besonders im Sommer, wenn der Regen ausbleibt, ist Wasserknappheit an der Tagesordnung. Vergangenen Juni gab die Beirut and Mount Lebanon Water Corporation, die das halbe Land versorgt, zudem bekannt, dass wegen Diebstahls von Elektrokabeln die Wasserversorgung temporär unterbrochen wurde.

Private Wassertanks – das staatliche Versagen umgehen

So kommt es, dass die Wasserhähne wieder mal nur Tropfen von sich geben und das seit Wochen. „Ohne Wasser zu leben ist noch schlimmer als ohne Strom“ sagt der Verkäufer eines kleinen Supermarktes in der Gegend, bei dem ich wiederholt Wasserkanister kaufe, um wenigstens mein Geschirr abspülen zu können und die Toilettenspülung zu benutzen. Er schüttelt resigniert den Kopf, „das ist Libanon“.

Staatliches Versagen bei der Grundversorgung der Bevölkerung ist kein neues Phänomen. Viele Haushalte haben deshalb vorgesorgt und sich private Wassertanks auf den Dächern installiert. Sie sind die Backups für genau diese Situation: Fällt das Wasser der Regierung aus, hat man so eine Reserve auf dem Dach, die einem das Wasser in die Leitungen bringt.

In diesen Tagen sieht man unzählige Wasser-LKWs durch die Straßen Beiruts touren – mit langen Schläuchen pumpen sie die Privattanks voll. Ungefähr eine Million libanesische Lira, momentan etwa 25 Dollar, kostet es den Tank voll zu pumpen, abhängig von der Firma und der Tageszeit, zu der sie kommen. Für manche mag das nach nicht viel Geld klingen und wer es sich leisten kann, kann sich so Abhilfe verschaffen. Für eine große Zahl der Bewohner:innen Libanons ist dies jedoch der Großteil ihres monatlichen Einkommens. Wenn nicht sogar mehr als ihr Einkommen, das mittlerweile bei einem monatlichen Mindestlohn von 675.000 Lira (circa 17 Dollar) liegt.  

„Seit Monaten bestelle ich alle zwei Wochen Wasser bei einer Firma, die mir den Tank auf dem Dach auffüllt“, erzählt eine Bekannte, die in Ras Beirut im Westen der Stadt wohnt. Ebenso geht es einem älteren Ehepaar im Stadtteil Hamra. Die staatliche Versorgung reicht in ihrem Fall bei weitem nicht aus, um ihren Wasserbedarf zu decken. Die Kinder im Ausland helfen ihnen bei der Begleichung der Rechnungen für den privaten Stromgenerator und das zusätzliche Wasser. Hinzu kommt auch noch der Erwerb von Trinkwasser, da das Leitungswasser nicht trinkbar ist.

Dabei gilt Libanon als eines der wasserreichsten Länder in WANA (Westasien und Nordafrika). Mit rund 15 Flüssen, zweitausend Bächen und einem reichen Grundwasserbestand, der aus Schnee und Regenwasser entsteht, ist Libanon laut einem Bericht der Weltbank auf Platz vier der Pro-Kopf Wasserversorgung (1.000 m3) in der Region. Doch Jahrzehnte der Misswirtschaft und Korruption haben es verhindert, ein nachhaltiges Wassersystem zu schaffen.

Cholera – der erste Ausbruch nach mehr als 30 Jahren

Anfang Oktober gab es im Nordlibanon einen Cholera Ausbruch. Die bakterielle Erkrankung verbreitete sich vorher rasant im benachbarten Syrien, dessen Wassersystem durch den jahrzehntelangen Krieg noch miserabler ist als im Libanon. Seit dem Ausbruch im Libanon haben sich laut Angaben des Ministry of Public Health vom 17. November insgesamt 3.838 Menschen infiziert, 20 Personen sind bereits daran gestorben.

Cholera wird durch die Aufnahme von kontaminiertem Essen oder Trinkwasser übertragen und verursacht Darmprobleme und Dehydrierung, die tödlich sein können, wenn sie nicht schnell behandelt werden. Der Zugang zu sauberem Wasser ist also maßgeblich in der Bekämpfung der Krankheit.

Zurück nach Beirut, das für mich in diesen Tagen kontrastreicher scheint als jemals zuvor. Wer Geld, insbesondere Dollar hat, kann sich Abhilfe verschaffen und so der desolaten Versorgungslage entgehen. Doch viele können es nicht. Wasser und Strom, eigentlich sollten sie Menschenrechte sein – das ist ein weit entferntes Ideal für die Bevölkerung Libanons. „Inschallah khier“, was so viel bedeutet, wie „Hoffen wir, dass alles gut wird“ ist die meistgehörte Phrase dieser Tage.

 

 

Elisa hat Sozial- und Kulturanthropologie und Interdisciplinary Studies of the Middle East in Berlin und Köln studiert. Sie lebte vier Jahre in Beirut (2017-2020), wo sie für eine kulturelle Organisation tätig war. Seit 2023 arbeitet sie im Bereich der Wissenschaftskommunikation am Leibniz-Zentrum Moderner Orient in Berlin.
Redigiert von Regina Gennrich, Sören Lembke