Um die Wähler*innen von der Gefährlichkeit der Syrer*innen zu überzeugen, rekrutiert die AfD einen syrischen „Flüchtling“ – und versucht damit, ihrer Medienkampagne Glaubwürdigkeit zu verschaffen.
Nachdem die AfD im Sommer 2018 mit ihrer Reisedelegation nach Syrien den ersten Kontakt mit dem Assad-Regime gesucht hatte und bereitwillig dessen Narrativ zur Durchsetzung der eigenen politischen Ziele übernahm, investierte die Partei in eine perfide Medienkampagne.
Um das öffentliche Image der AfD als Partei der Ausländerfeinde aufzupolieren und gleichzeitig den Schein einer regionalen Fachkenntnis in den eigenen Diskurs zu integrieren, stellte die Partei den Pro-Assad „Flüchtling“ Kevork Almassian zum Social-Media Beauftragten für den Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier an. Almassian, Mitglied des pro-russischen Think Tanks German Centre for Eurasian Studies, identifiziert sich als armenischer Christ aus Aleppo. Er studierte internationale Beziehungen an einer privaten Hochschule in Syrien, die vom Sohn des Büroleiters des syrischen Präsidenten geführt wird.
Almassian betreibt seit 2018 das alternative Nachrichtenportal Syriana Analysis. Die Webseite bezeichnet sich in der Eigenbeschreibung als „pro-säkular“ und „anti-religiöser Fundamentalismus“. Neben der Tatsache, dass Almassian weitgehend syrische Staatsmedien rezipiert, können wenig wissenschaftliche oder journalistische Standards in seinen Analysen identifiziert werden.
Der Journalist Lars Wienand machte kürzlich auf die umstrittene Rolle von Almassian als Assads Propagandist in Deutschland aufmerksam, dessen Asylantrag von der syrisch-stämmigen Rechtsanwältin Nahla Osman öffentlich in Frage gestellt worden ist. Almassians Gründe für die Flucht sind nicht eindeutig bekannt, in einem Interview bezeichnete er sich selbst als das Opfer von Gewalt durch al-Nusra, in einem anderen Fall gibt er ökonomische Gründe für die Flucht an. Tatsache ist jedoch, dass Almassian über die Schweiz und somit über ein Drittland nach Deutschland eingereist war, was gegen die Dublin-III-Verordnung verstößt.
Trotz der regelmäßigen Beschwerde der AfD, dass viele Geflüchtete über Drittstaaten eingereist wären und deswegen kein Bleiberecht in Deutschland hätten, sieht Frohnmaier im Falle Almassians kein Problem. Er freue sich über einen alternativen Einblick in die Geschehnisse Syriens aus erster Hand und möchte Almassian für seinen zukünftigen potentiellen Arbeitsplatz im syrischen Parlament vorbereiten.
Almassian bezeichnet sich selbst als treuen Anhänger des syrischen Regimes und verleugnet öffentlich die Grausamkeiten der politischen Führung und verbündeter Milizen. In einem Fall behauptete er, der Bericht von Amnesty International über Massenhinrichtungen im Saydnaya Gefängnis sei „armselige, voreingenommene Propaganda.“ Zudem gab er in einem anderen Interview mit der rechtsradikalen Zeitung Sezession im Jahr 2016 einen entscheidenden Einblick in seine Sichtweise auf den syrischen Konflikt. Er erwähnte, dass die Stadt Aleppo belagert werden musste, weil das syrische Regime „Menschenleben retten wollte.“
Er behauptete auch, dass es nie eine demokratische Revolution gegeben habe, da diese von Anfang an von religiösen, radikalen Kräften dominiert wurde und ein großer Teil der Sunnit*innen aus Aleppo der „dubiosen Revolution“ skeptisch gegenüberstehe. Dieses wiederholte Narrativ des syrischen Regimes über Ursachen und Akteure des Konflikts wird besonders dann bedeutsam, wenn es herauszufinden gilt, wie die Darstellung des „syrischen Flüchtlings“ durch Almassian die durch die deutschen Rechtspopulist*innen erschaffene Identität des „Flüchtlings“ ergänzt.
„Der Flüchtling als Terrorist“ – Die Merkmale rechtspopulistischer Erzählung
Im Interview mit Sezession beschreibt Almassian seine Rolle im syrischen Konflikt als die des propagandistischen Kriegers, der im tiefen Dschungel der falschen Berichterstattung über diesen Krieg die Wahrheit ans Licht bringt. Dieses Rollenverständnis überträgt er auch auf seine Beurteilung der syrischen Geflüchteten in Deutschland, die seiner Ansicht nach größtenteils Gegner des syrischen Regimes sind. Eine Ablehnung Assads ist mit der Unterstützung des Terrorismus gleichzusetzen, da es laut Almassian keine Kampfgruppe gibt, die gegen das Regime kämpft und keinen terroristischen Hintergrund habe.
Almassian beschreibt seine Mitbewohner*innen im Flüchtlingslager als grausam und aggressiv, gar mit unverhohlenen Sympathien für militante Gruppen wie dem sogenannten Islamischen Staat, Jaish al-Islam und Al Qaida. Er beschreibt ihr Verhalten mit Charaktereigenschaften, die nicht in eine westliche Gesellschaft integriert werden können, während er sich selbst als gebildeten und zivilisierten Menschen versteht. Dieser Kontrast ist der Grundstein für eine populistische, diskriminierende Unterscheidung von Geflüchteten aus Syrien.
Interessant in diesem Zusammenhang ist die Aussage von Almassian, in der er die sunnitische Zugehörigkeit seiner Mitbewohner*innen sowie deren lokalen Ursprung, nämlich Homs, Raqqa, Idlib und Daraa, als herausragende Merkmale ihrer Beschreibung hervorhebt. Es ist kein Zufall, dass nur die Orte aufgeführt wurden, in denen der Protest gegen das Regime am populärsten war. Auch spiegelt es die tiefgreifende regionale und sektiererische Diskriminierung wider, die ein Produkt des klientelistischen Herrschaftssystems des syrischen Regimes ist.
In dem im Jahr 2018 erschienenen Buch „The Rule of Violence: Subjectivitiy, Memory and Government in Syria“ gibt Salwa Ismail einen umfassenden Einblick in die regionale, ethnische und sozioökonomische Diskriminierung und den Rassismus der syrischen Gesellschaft. Die Funktionalisierung der Sekten- und Regionalzugehörigkeit ist ein „Element in den Zwangsinstitutionen“ des syrischen Regimes sowie der narrative Ausdruck der „Muster populistischer Kooptation“, die einige soziale Gruppen in das Regime integriert, während dagegen andere Gruppen ausgeschlossen werden.
Almassian wirft der Mehrheit der nach Deutschland geflohenen Syrer*innen vor, eine potenzielle Bedrohung für die deutsche Gesellschaft zu sein, weil sie bereits eine gewisse islamische Radikalisierung erfahren haben. Seine Lösung für dieses Problem wurde von seinen rechtspopulistischen Kolleg*innen in Deutschland begrüßt: Eine härtere Untersuchung der Ankömmlinge und strengere Polizeiaktionen gegen seine syrischen Landsleute. Ihm zufolge ist es notwendig, dieses harte Vorgehen gegen arabische Einwanderer anzuwenden, da dies von der arabischen Kultur verlangt würde. Die Gefahr einer sozialen Polarisierung und eine Explosion von Gewalt wie in Syrien kann in Deutschland nur verhindert werden, wenn die gleichen Methoden autoritärer Herrschaft angewandt werden, vor denen diese Menschen einst geflohen waren.
Dabei kategorisiert Almassian nicht nur die vor Krieg geflohenen Menschen als Vorhut des Terrorismus, sondern nimmt auch zivilgesellschaftliche Strukturen ins Visier. Nachdem die zivilgesellschaftliche Organisation Adopt a Revolution im Zuge der Veranstaltung „Die Zukunft Syriens. Perspektiven eines zerstörten Landes“ auf die dubiose Zusammenarbeit zwischen Markus Frohnmaier und Kevork Almassian verwies, antwortete dieser auf Twitter, er wolle nicht von „Terrororganisationen“ auf Twitter markiert werden.
Kurz darauf veröffentliche Almassian ein Video auf seinem Youtube-Kanal, bei dem er diese Auffassung bekräftigte. Der Verweis auf die Kooperation von humanitären Organisationen mit militanten Gruppen vor Ort, ohne auf die Herausforderungen und Problematiken von humanitärer Hilfe in Kriegsgebieten hinzuweisen, zeigt das radikal-theologische Weltbild, das Almassian im „Kampf gegen den Terror“ anleitet. Ein Kampf, der keine Unterscheidung zwischen Zivilist*innen und Militanten vornimmt und jede Kooperation mit dem Feind mit absoluter Vernichtung bedroht.
Almassian als Bauernopfer rechtspopulistischer Agitation
Obwohl die Rolle Almassians im politischen Geschehen nicht überbewertet werden sollte, erfüllt er dennoch eine perfide Funktion für die politischen Zwecke der Rechtspopulist*innen. So können sie Almassian als Insider mit speziellen Fakten über die Ursachen der sogenannten Flüchtlingskrise präsentieren, der als „legaler Flüchtling“ aufgrund seiner unterstützenden Haltung gegenüber Bashar al-Assad von den deutschen Medien verhetzt wird. Er kann als der Syrer dargestellt werden, der die vermeintlichen Lügen aufdeckt, welche die deutsche Regierung ihrer Bevölkerung über den Syrienkrieg erzählt.
Seine Persönlichkeit spielt in der Rhetorik deutscher Rechtspopulisten eine doppelte Rolle: Einerseits in seiner Identität als Christ, dessen Kultur die westliche Gemeinschaft schützen muss, und andererseits in seiner Identität als Syrer. Seine Aussagen können den durchschnittlichen Wähler*innen als „Einblick“ in die „Realität“ von Angela Merkels Politik des „Wir schaffen das“ dienen. Eine vermeintliche Realität, in der Fanatiker*innen nicht nur auf Kosten der Deutschen leben, sondern auch eine Gefahr für ihr Leben darstellen können. Alles „bewiesen“ von einem Syrer, der sich gegen seine Landesgenossen positioniert und den Massen das drohende Chaos vorhersagt.
Wo die AfD nach islamistischen Schläfern und Gefahren in der deutschen Gesellschaft sucht, bietet Almassian die passenden Antworten. Während er der Partei hilft, die richtigen Worte und Argumente für eine immigrationsfeindliche Kampagne zu finden, unterstützen die Populist*innen das syrische Regime dabei, dessen politische Legitimation in den Köpfen der deutschen Öffentlichkeit wiederzugewinnen.
Die Beziehung zwischen einer populistischen Partei aus einem westeuropäischen Land und einem Agenten eines unterdrückerischen Regimes, die zu Lasten derjenigen geht, die vor grausamer Gewalt geflüchtet sind, dient als Symbolik einer autoritären Kollaboration, die in Europa ihresgleichen sucht.