01.04.2022
Jahrestag eines Referendums, das keines war
„Ja oder Nein?“ Vor dieser Wahl standen die Iraner:innen nach der Revolution 1979, aber wieviel Wahlfreiheit bot das Referendum wirklich? Illustration: Zaide Kutay
„Ja oder Nein?“ Vor dieser Wahl standen die Iraner:innen nach der Revolution 1979, aber wieviel Wahlfreiheit bot das Referendum wirklich? Illustration: Zaide Kutay

Zum „Tag der Islamischen Republik“ am 31. März lässt sich das iranische Regime jährlich aufs Neue feiern. Dabei zeigt ein Blick ins Jahr 1979, dass am Mythos der demokratischen Legitimierung durch das Referendum nichts dran ist, meint Omid Rezaee.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne des:orientierungen, die jeden zweiten Freitag erscheint.

Wer Ende März in Iran den Fernseher einschaltet, den erwartet jedes Jahr das gleiche Programm: Bilder von entschiedenen Menschen, die demonstrativ einen grünen Stimmzettel in der Hand halten und sich vor den Kameras für das System der „Islamischen Republik“ aussprechen. Mit einseitigen Argumenten und einer polemischen Rhetorik preisen sie ebendieses System als die beste Staatsform für ihr Land an. Jedes Jahr strahlt das staatliche Fernsehen Bilder von langen Schlangen vor den Wahlurnen aus, die nach der „Islamischen Revolution“ am 30. und 31. März 1979 über ihre neue politische Führung abstimmten. Menschen mit roten Zetteln, die also gegen die Islamische Republik stimmen wollten, sucht man auf den Fernsehbildern hingegen vergebens.

Denn nach offiziellen Angaben entschieden sich 99,25 Prozent für das System der „Islamischen Republik“. Auch die Wahlbeteiligung betrug angeblich fast 100 Prozent. Seitdem ist das Referendum als „Tag der Islamischen Republik“ nationaler Feiertag im offiziellen Kalender des Regimes und wird als die erste „freie Wahl“ im Anschluss an den Sturz der Schah-Monarchie im Februar 1979 zelebriert.

Kein Wort mehr, kein Wort weniger"

Nur 50 Tage nach der Revolution fand das Referendum unter Führung Ayatollah Ruhollah Khomeinis, dem politischen und religiösen Führer der Islamischen Revolution und späterem ersten „Obersten Führer der Islamischen Republik“, im März 1979 statt. Je länger die Proteste gegen das Schah-Regime angedauert hatten und je näher der Sturz der Monarchie schien, umso lauter waren die Rufe nach einer „Islamischen Republik“ geworden. Auf den Aufnahmen von Protesten, die zu der sogenannten „Islamischen Revolution“ am 11. Februar 1979 führten, ist auf Transparenten und in Parolen immer häufiger von Forderungen nach einem „Islamischen Staat“ zu lesen und zu hören. Bereits in den letzten Wochen seines Exils in Frankreich äußerte sich auch Khomeini zu dem Begriff der „Islamischen Republik“ und erklärte, in seiner Vorstellung sei das Konzept nicht anders als das der französischen Republik – das Volk verfüge über Souveränität und auch die Rechte von Frauen und Minderheiten würden gewahrt.

In den Wochen nach der Revolution und vor dem Referendum versuchten die anderen Revolutionäre, die demokratischer geprägt waren, Khomeini von Begriffen wie „Demokratische Islamische Republik“ oder „Islamische Volksrepublik“ zu überzeugen. Der charismatische Ayatollah aber machte deutlich, dass er das letzte Wort behalten würde und setzte der Debatte ein klares Ende: „Islamische Republik –  kein Wort mehr, kein Wort weniger“. Bis heute ist diese Aussage als Ausdruck für Khomeinis unbeeinflussbare Entschlossenheit im kollektiven Gedächtnis des iranischen Volkes geblieben. Auch der Vorschlag, das Konzept der „Islamischen Republik“ zunächst zu konkretisieren, zum Beispiel mit Hilfe eines Verfassungsentwurfs, über den dann das Volk abstimmen sollte, fand bei ihm kein Gehör.

Zwar genoss Khomeini hohe Akzeptanz in der Bevölkerung sowie der politischen Elite, dennoch gab es durchaus Parteien, Gruppierungen sowie politische Figuren, die versuchten, sich gegen diese Mehrheit Gehör zu verschaffen und das Referendum zu boykottieren. Und das in einem Klima der Angst und Unterdrückung, nachdem im Anschluss an die Revolution alltäglich die Anhänger:innen des vorherigen Regimes ohne faire und transparente Prozesse aufgehängt oder erschossen wurden. Unter den Aufbegehrenden war die Organisation der Volksfedajin-Guerilla, die selbst eine entscheidende Rolle beim Sturz des Schah gespielt hatte, die Nationale Union der iranischen Frauen und zahlreiche Parteien in den kurdischen Gebieten des Landes. Sie prangerten die Bedingungen der bevorstehenden Volksabstimmung als undemokratisch an und versuchten, die Alternativen zu propagieren, für die sie in der Revolution gekämpft hatten.

Am Tag nach dem Referendum und damit vor (!) vollständiger Auszählung der Stimmen, verkündete Khomeini dann das Ende der Monarchie in Iran, gratulierte dem Volk und ernannte den Tag zum offiziellen Feiertag. Es sei in der Geschichte Irans beispiellos, dass Menschen im ganzen Land mit solcher Leidenschaft an die Wahlurnen gestürmt seien und mit ihrem „Ja“ die Monarchie zur Geschichte gemacht hätten, so Khomeini.

„Ja“ zu was?

Damit wurde die neue Staatsform in Iran etabliert und bis heute rechtfertigen die Machthaber und ihre Anhänger:innen die Legitimität der Islamischen Republik mit ebendiesem Referendum. Schaut man sich die Hintergründe rückblickend jedoch genauer an, so wird deutlich: Mit einer demokratischen und gerechten Abstimmung, die den Grundstein für eine Republik mit einem demokratischen System hätte legen können, hatte dieses Referendum rein gar nichts zu tun.

Zudem wusste damals kaum jemand, was eine „Islamische Republik“ überhaupt ist und wofür sie stehen soll. Das gaben auch viele damalige Jasager:innen, die in den folgenden Jahren zur Opposition wechselten, später zu. So erklärte Abolhassan Banisadr, der erste Präsident Irans, 30 Jahre später gegenüber der BBC , bis zum Tag des Referendums habe niemand die geringste Vorstellung gehabt, was genau Khomeini unter dem Begriff „Islamische Republik“ überhaupt verstanden und eigentlich damit geschaffen hatte. Und dabei war Banisadr ein Vertrauter Khomeinis, hatte ihn im Pariser Exil begleitet und in Interviews mit ausländischen Medien als Dolmetscher unterstützt. Wenn selbst Banisadr nicht wusste, wofür genau abgestimmt werden sollte, liegt der Schluss nahe, dass auch die anderen 20 Millionen wahlberechtigten Iraner:innen damals keine wirkliche Vorstellung vom Konzept der „Islamischen Republik“ hatten.

Auch was die praktische Seite der Abstimmung anging, war selbst den Funktionären im Innenministerium nicht klar, wie genau die Wahl durchgeführt werden sollte. So erschien Khomeini beispielsweise am Abend vor den Wahlen im Fernsehen und erklärte plötzlich, wer sich eine andere Staatsform wünsche als die „Islamische Republik“, könne das ja auf den roten Stimmzettel vermerken und den Vorschlag mit abgeben. Das widersprach den vorherigen Aussagen der Wahlkommission, die immer wieder betont hatte, dass es nur um ein „Ja oder Nein“ zur „Islamischen Republik“ ginge und nicht um andere mögliche Staatsformen.

Auch an den Wahlurnen selbst wurden demokratische Standards nicht gewahrt: Die Sicherheitskräfte, allesamt eingeschworene Anhänger Khomeinis, konnten bereits anhand der Farbe des Stimmzettels, den die Wahlbeteiligten offen in der Hand halten mussten, feststellen, wer womöglich beabsichtigte, gegen den Willen des Ayatollah zu stimmen. Wahlgeheimnis? – Fehlanzeige. Doch solche Widersprüche schienen die Befürworter:innen des unbekannten Konzepts „Islamische Republik“ nicht gestört zu haben, und nun flimmern sie weiter jährlich über die iranischen Bildschirme.

 Blick auf die Zukunft

Denn die daraus erwachsene islamistische Diktatur ist weiterhin stolz auf das Referendum von 1979 und verkauft es in ihren Medien und Schulbüchern nach wie vor als Grund für ihre Legitimität und Akzeptanz. Sie hält ihren Gegner:innen und allen, die sich für ein säkulares System aussprechen, entgegen, es hätten sich damals doch über 98 Prozent der Bevölkerung für die Islamische Republik entschieden.

Doch die Bürger:innen Irans lassen sich heute immer weniger davon überzeugen. Während vor einigen Jahren zwar argumentiert wurde, man könne sich das Abstimmungsergebnis vorheriger Generationen heute nicht mehr aufzwingen lassen, standen die horoskopisch hohen Zahlen noch kaum in der Kritik. Heute hingegen lehnt bereits ein Großteil der Bevölkerung das angeblich so überdeutliche Ergebnis des Referendums von damals ab, denn das Bewusstsein für die fehlenden demokratischen Standards ist in den jüngeren Generationen immer weiter gewachsen. Zwar erlebte die Eltern- und Großelterngenerationen die Horrorstimmung nach der Revolution unmittelbar mit, doch konnten und wollten sie damals nicht wahrhaben, dass das Referendum allen voran eine Show war.

Dabei geht es den Jüngeren nicht in erster Linie darum, ihnen für dieses Ja-Sagen zu einer unbekannten „Islamischen Republik“ Vorwürfe zu machen. Vor allem setzen sie sich heute für tatsächlich freie Entscheidungsmöglichkeiten ein, um der iranischen Gesellschaft den Weg in ein wirklich demokratisches System zu ebnen.

 

Mehr Arbeiten der Illustratorin Zaide Kutay finden sich auf ihrem Instagram-Account.

 

 

Omid Rezaee ist ein iranischer Journalist. 2012 verließ er seine Heimat, nachdem er aufgrund seiner journalistischen und politischen Tätigkeiten einige Monate im Gefängnis verbracht hatte. Bis Ende 2014 berichtete er aus dem Irak vor allem über den Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat. 2015 kam er nach Deutschland und schreibt seitdem...
Redigiert von Johanna Luther, Sophie Romy