Am vergangenen Sonntag haben sich einige hundert Menschen auf den Straßen Beiruts versammelt, um gegen die immer länger dauernde Regierungskrise und das politische System im Libanon zu demonstrieren. Dabei trugen einige der Protestierenden gelbe Warnwesten in Anlehnung an die „Gelbwesten-Bewegung“ in Frankreich. Von Michael Nuding
„Revolution, Revolution“. So hallte es kurz vor Weihnachten durch die Straßen Beiruts, als sich am Sonntag, den 23.11.2018 Protestierende auf dem Märtyrer-Platz im Zentrum Beiruts versammelt haben, um gegen das politische System des Libanon zu demonstrieren. Unterschiedliche Medienhäuser berichten von zwischen „hunderten“ und „mehreren tausend“ Menschen, die ihrem Ärger über die aktuelle Regierungskrise und die grundsätzlichen Lebensbedingungen Luft machten. Die anfangs noch kleinere Gruppe wuchs kontinuierlich auf ihrem Weg Richtung Regierungsbezirk, da sich Beistehende und Passant*innen in die Demonstration einreihten.
Im Anschluss verlief sich die zentrale Demonstration, wobei sich über den gesamten Tag verteilt immer wieder Menschenansammlungen von mehreren hundert Personen an verschiedenen Orten der Stadt bildeten, die weiterhin protestierten und zentrale Verkehrswege zeitweise blockierten.
Die Demonstrierenden waren zu einem Großteil junge Männer, trug teilweise gelbe Warnwesten und skandierten „Das Volk will den Sturz des Regimes“ (ein aus dem ‚Arabischen Frühling‘ von 2011 bekannter Slogan) und „Revolution, Revolution“. Nachdem ein weiterer Versuch der Regierungsbildung im Rahmen einer inzwischen acht-monatigen Staatskrise im Libanon am vergangenen Samstag geplatzt ist, haben verschiedene soziale Organisationen und zivilgesellschaftliche Akteure in den Sozialen Medien zu Protesten am Sonntag aufgerufen. Darunter befand sich beispielsweise die Sabaa-Partei, eine recht neue Erscheinung im libanesischen Parteiensystem, die sich bewusst als „über-konfessionelle Plattform zur Organisation von Bürgerbeteiligung in öffentlichen Angelegenheiten versteht“. Aber auch die kommunistische Partei hat zu Protesten gegen das Regime aufgerufen. Auf Twitter und Facebook wurde dabei in Anspielung auf die französischen Gelbwesten-Proteste vielfältig das Bild einer gelben Warnweste mit der libanesischen Zeder, dem Symbol der Landesflagge, auf der Brust geteilt.
Die zentrale Forderungen der Demonstrierenden, die sich bewusst keiner konfessionellen Gruppe im konfessionellen politischen System des Libanon zugehörig fühlen wollten, waren eine sofortige Lösung der Regierungskrise, Korruptionsbekämpfung, mehr Arbeitsplätze und verbesserte Gesundheitsversorgung. Unter anderem wurde dabei immer wieder „Wir sind alle Mohammed Wahbe!“ skandiert, um sich mit dem Schicksal eines palästinensischen Kindes, das aufgrund fehlender finanzieller Mittel in der vergangenen Woche von einem Krankenhaus im nördlichen Tripolis abgelehnt wurde und daraufhin verstarb, zu solidarisieren.
Einzelne Zusammenstöße mit dem Militär
Schon während der großen Demonstration zur Mittagszeit war das libanesische Militär mit massivem Aufgebot vor Ort, um nach eigenen Angaben potentiellen Ausschreitung Einhalt zu gebieten, doch die Demonstration blieb weitestgehend friedlich. Zu vereinzelten Ausschreitungen kam es dann am Nachmittag als sich erneut einige hundert hauptsächlich männliche Demonstrierende auf dem Märtyrer-Platz versammelten und im Anschluss auf einer der zentralen Verkehrsachsen der Stadt Richtung Süden liefen. Das libanesische Militär folgte diesen mit ungefähr zwei Dutzend vollbesetzen und bewaffneten Panzerfahrzeugen und erhöhte eindeutig das eigene Personalaufgebot. Als dann einige Demonstrierenden versuchten, den Verkehr durch (teils brennende) Müllcontainer zu blockieren und die Panzerfahrzeuge mit Plastikflaschen bewarfen, kam es vereinzelt zu direkten Konfrontationen mit dem Militär, bei denen unter anderem einige Journalisten und Zivilisten von Soldaten mit Schlagstöcken traktiert wurden.
Auch bei einer anschließend Menschenkette im zentralen Hamra-Distrikt kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Armee, bei denen einige der Protestierenden zusammengeschlagen wurden. Bis zum Abend gab es weiterhin spontane Demonstrationen, die sich auf zentralen Verkehrsstraßen bewegten, nach wie vor die gleichen Sprechchöre skandierten und teils Müllcontainer und deren Inhalt auf die Straße warfen.
Insgesamt verliefen die Demonstrationen größtenteils friedlich und aus den Berichten der Medien und Sozialen Netzwerken sind zwar einige wenige Verletzte aber keine Verhaftungen oder ernsthafte Einsätze bewaffneter Gewalt zu erkennen.
Einordnung der Proteste
Zu kleinen Protesten kam es ebenfalls in einigen anderen Städten des Landes und vereinzelte Medienhäuser berichteten, dass es am Mittwoch, den 26.12.2018, erneut zu Demonstrationen kommen solle. Allerdings berichteten Medien am Mittwoch nur von einer Handvoll Demonstrierender, die für kurze Zeit eine Straße im Zentrum der Stadt blockierten.
Es ist unklar, welche Konsequenzen diese unerwarteten Proteste in der libanesischen Hauptstadt haben werden, und ob es überhaupt zu weiteren Protesten oder Reaktionen der Offiziellen kommen wird. Bisher haben sich weder die Regierung noch die etablierten Parteien oder deren Spitzenpersonal medienwirksam zu den Protesten geäußert. Die einzigen direkten Reaktionen kamen von der libanesischen Armee, die sowohl am Sonntag, als auch bei der kleinen Protestaktion am Mittwoch zu friedlichem Protest ohne Sachbeschädigungen oder Behinderung des Straßenverkehrs aufrief, und dabei die Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Libanon betonte. Zur Gewaltanwendung der Soldaten hat sich die Armee nicht geäußert.
Dass es an den Folgetagen bisher nicht zu weiteren Protesten kam, und es auch keine wirklichen Reaktionen der Vertreter*innen des angesprochenen „Regimes“ gibt, scheint darauf hinzudeuten, dass die Proteste vom Sonntag ohne weitere Konsequenzen oder Folgeaktion bleiben könnten. Dies kann unter anderem auch damit zusammenhängen, dass die Proteste von einer Vielzahl unterschiedlicher Gruppierungen und Einzelpersonen mit nicht unbedingt konvergierenden Interessen ins Leben gerufen wurden und die Forderungen der Demonstrierenden sehr unkonkret und allgemein waren. Es bleibt daher abzuwarten, ob die Proteste eine einmalige Sache waren, oder vielleicht bald wieder der Slogan „Revolution, Revolution“ durch die Straßen Beiruts hallt.