01.10.2019
Ein Plädoyer für die Vielfalt
Jeder Beitrag ist mit einer Illustration der Künstlerin Moshtari garniert. Illustration: Moshtari Hilal.
Jeder Beitrag ist mit einer Illustration der Künstlerin Moshtari garniert. Illustration: Moshtari Hilal.

Weiß, männlich, privilegiert: Noch immer sind viele Redaktionen so aufgestellt – und damit wenig repräsentativ für die Gesellschaften, über die sie berichten. Das neue Buch „Unbias the News“ zeigt, wie Journalismus inklusiver werden kann. Gut so. Von Maximilian Ellebrecht

Fake-News-Vorwürfe, prekäre Arbeitsverhältnisse und heftige Finanzierungsprobleme: Die Probleme des Qualitätsjournalismus sind nicht nur groß, sie sind auch vielfältig. Und es ist wichtig, dass die Gesellschaft immer wieder darüber diskutiert. Eine Problematik erhält bislang jedoch unverhältnismäßig wenig mediale Aufmerksamkeit: Viele Redaktionen sind kaum repräsentativ für die Gesellschaften, über die sie berichten.

Ein Beispiel: In Deutschland hat statistisch gesehen jede vierte Person einen sogenannten Migrationshintergrund, trotzdem machen diese Menschen Schätzungen zufolge lediglich fünf Prozent der deutschen Journalist*innen aus. Der*die „typische“ deutsche Journalist*in ist – wie übrigens auch der Autor dieser Zeilen – weiß, männlich und Akademiker. In anderen Ländern ist es um Vielfalt in den Redaktionen nicht besser bestellt: Wer in britischen Newsrooms arbeitet, ist zu 94 Prozent weiß und zu 55 Prozent männlich. Auch in den USA dominieren in den Redaktionen überwiegend weiße Männer.

Dieses Missverhältnis hat weitreichende Folgen. Denn so sehr Journalist*innen sich auch um objektive Berichterstattung bemühen mögen, einen unvoreingenommenen Blick gibt es nicht. Wir alle sind geprägt von persönlichen Erfahrungen, Sozialisation und Kultur – und betrachten die Welt somit aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Für den Journalismus heißt das: Wenn Frauen, People of Color, queere Menschen oder Menschen mit Behinderung in den Redaktionen unterrepräsentiert sind, fehlen ihre Perspektiven. Darunter leidet schließlich die Qualität der Berichterstattung.

Das Buch „Unbias the News: Warum Journalismus Vielfalt braucht“ (2019) versucht, diesen Missstand aufzuzeigen und ihm entgegenzuwirken. Vom internationalen Journalist*innennetzwerk Hostwriter zusammen mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv herausgegeben, versammelt der Band journalistische Stimmen von Deutschland bis Venezuela, von Ägypten bis Madagaskar und von Tadschikistan bis zu den Philippinen.

Weltreise zu den blinden Flecken des Journalismus

So berichtet die Journalistin Amurada Sharma von ihren schmerzlichen Erlebnissen in indischen Newsrooms. Gestartet hatte sie ihre journalistische Karriere voller Idealismus und Tatendrang, zu einer Zeit, als Frauen gerade begannen, allmählich in männliche Bastionen vorzudringen. Doch es folgten sexuelle Belästigung und ständige Behinderung durch männliche Kollegen. Ein knappes Jahrzehnt später flüchtete sich Sharma notgedrungen in die Freiberuflichkeit, die „Raubtiere im Newsroom“ hatten sie in eine prekäre Existenz getrieben.

Mehrere tausend Kilometer weiter westlich, auf der anderen Seite des Arabischen Meers, kritisiert der emiratische Journalist Ahmad Sabri die „mediale Panikmache“ in den Golfstaaten, wo Journalist*innen – von vorurteilsbeladenen Stereotypen und Sensationsgier angestachelt – die Schuld für Kriminalität immer wieder bei Ausländer*innen suchen. Dass Statistiken den Schlagzeilen dabei oft widersprechen, scheint Sabris Kolleg*innen wenig zu irritieren. Unermüdlich zeichnen sie realitätsferne Zerrbilder wie das des kindermordenden Dienstmädchens aus Äthiopien, so Sabri.

Sabri selbst erkennt einen weitaus bedeutsameren Zusammenhang, der im öffentlichen Diskurs in der Region allerdings so gut wie keine Rolle spielt: In den Golfstaaten gilt das sogenannte Kafala-System. Es macht ausländische Arbeitskräfte rechtlich abhängig von einem Bürgen, der in der Regel der Arbeitgeber ist. Dieses System, so Sabri, ermögliche der einheimischen Bevölkerung nicht nur, ungestraft Verbrechen an Ausländer*innen zu begehen. Es begünstige auch skrupellose Ausbeutung, die ausländische Arbeitskräfte schnell in finanzielle Notlagen bringen könne. Das wiederum sei ein erwiesener Grund für steigende Kriminalitätsraten. Am Ende ist die Welt eben oftmals doch komplexer, als reduktionistische Narrative glauben lassen.

Ähnliche Erfahrungen hat Emran Feroz gemacht, der sich in seinem Beitrag über die Afghanistan-Berichterstattung westlicher Medien empört. Feroz – selbst Austro-Afghane – meint, westliche Journalist*innen seien in Afghanistan vor allem an „orientalistischen Märchen“ interessiert. Der Grund: Die Story, dass westliche Soldat*innen am Hindukusch für die Befreiung der Frauen kämpfen, passe einfach zu gut ins eigene Weltbild. Doch damit nicht genug: Während prekär beschäftigte afghanische Übersetzer*innen und Fixer*innen für solche Recherchen oft ihr Leben riskierten, heimsten westliche Journalist*innen am Ende die Lorbeeren ein.

 Moshtari Hilal.

Doch „Unbias the News“ wäre nicht so vielfältig wie es ist, wenn mit dem US-amerikanischen Journalisten Daniel Bates nicht auch ein Vertreter eben dieses Typus Fallschirmjournalist*in selbst zu Wort kommen würde. Bates hatte für die britische Boulevardzeitung „Daily Mail“ eine knappe Woche auf Haiti recherchiert, zu den skandalösen Sex-Partys, die Oxfam-Mitarbeiter mit Prostituierten gefeiert hatten. Bates weiß: Ohne die Zusammenarbeit mit einem lokalen Fixer wäre dabei wenig rumgekommen. Trotzdem wurde dieser in den veröffentlichten Texten mit keinem Wort erwähnt. Bates gelobt Besserung. Beim nächsten Auftrag werde er sich bei den Redakteur*innen energischer dafür einsetzen, dass Fixer*innen, die genannt werden möchten, auch namentlich erwähnt werden. Na immerhin.

Worauf warten wir noch?

Dass allerdings sehr wohl Wege existieren, den Dilemmata des Fallschirmjournalismus noch etwas grundlegender vorzubeugen, macht die kroatische Journalistin Jelena Prtorić klar. Seit fünf Jahren berichtet sie über den Balkan, dutzende Male hat sie für ausländische Medienteams gefixt – und dabei  nur selten Wertschätzung erfahren. Dabei gebe es verschiedene Plattformen, über die größere Medien lokale Journalist*innen mit relevanter Fachkenntnis buchen könnten – nicht als Fixer*innen, sondern als gleichberechtigt Mitwirkende. Klingt vielversprechend? Ist es auch.

Viel zu selten werden solche Stimmen hörbar. Wie viele von uns haben tatsächlich schon aus erster Hand gehört, wie es sich für eine*n queere*n Autor*in anfühlt, wenn Redakteur*innen nichtbinäre Pronomen aus der Autor*innenzeile streichen? Auch wenn systematisches Online-Mobbing gegen Frauen* kein Geheimnis ist, ist uns allen klar, dass dies ein Grund dafür ist, warum so viele Redaktionsstuben männlich dominiert sind? Was bedeutet es für die Arbeit als Journalist*in, im Rollstuhl zu sitzen? „Unbias the News“ macht sichtbar, was für Unbetroffene allzu oft unsichtbar bleibt.

Das Schöne: Auch an Lösungsvorschlägen mangelt es nicht. Ob Förderprogramme für unterrepräsentierte Communities, transinklusive Styleguides, Fernunterricht für Menschen mit Behinderung oder schlichtweg mehr Moderator*innen auf Social-Media-Plattformen – „Unbias the News“ ist voll von klugen Ideen, die eine breitere gesellschaftliche Diskussion wert sind. Dabei macht das Buch deutlich: Um politische Korrektheit geht es hierbei zuerst nicht, sondern vor allem um die Qualität der Berichterstattung.

„Am besten, alle weißen Männer im Journalismus lesen dieses Buch“, empfahl Ebru Tasdemir in einem Beitrag für die taz. Der Autor dieses Textes ist ihrem Ruf mit Freude gefolgt. Und er kann festhalten: „Unbias The News“ wirkt. Die Weltreise zu den blinden Flecken des globalen Journalismus ist erhellend. Doch nicht nur das: Sie macht auch Spaß. Das liegt sicher auch an den geistreichen Illustrationen der Künstlerin Moshtari Hilal, deren Texte übrigens regelmäßig in der dis:orient-Kolumne „Des:orientierungen“ erscheinen. Aber noch mehr ist es die Vielfalt an Themen, Perspektiven und geographischen Kontexten, die diese Antologie so erfrischend macht. „Unbias The News“ ist so vielfältig wie die Welt, in der wir leben.

Damit führt das Buch zugleich erbarmungslos vor Augen, wie viele Baustellen noch vor uns liegen, um einen inklusiveren Journalismus globale Realität werden zu lassen. Doch so klar auch wird, dass der Weg zu mehr Vielfalt im Journalismus kein leichter wird, „Unbias the News“ vermittelt positive Aufbruchsstimmung. Das Potenzial ist da, an Talent mangelt es nicht. Worauf warten wir noch?

Maximilian hat in Leipzig, Amman und London Politik, Arabisch und internationale Entwicklung studiert. Er lebt in Leipzig, arbeitet mit Geflüchteten und schreibt nebenher als freier Autor. Bei dis:orient betreut er seit 2020 die Kolumne „Des:orientierungen“ und ist unter anderem Teil des Social-Media-Teams.
Redigiert von Bodo Weissenborn, Ayşe Çelik