Shida Bazyars neuer Roman erzählt von der Freundschaft dreier Frauen, die wegen ihrer Herkunft und ihres Geschlechts ständig in Frage gestellt werden. Dis:orient sprach mit der Autorin über den literarischen Umgang mit Diskriminierungserfahrungen.
Die Schriftstellerin Shida Bazyar wurde 1988 in Hermeskeil (Rheinland-Pfalz) geboren. 2016 erschien ihr gefeierter Debutroman „Nachts ist es leise in Teheran“, 2021 folgt nun „Drei Kameradinnen“. Bazyar lebt in Berlin.
Shida, dein neuer Roman setzt sich intensiv mit Rassismus, Sexismus und rechtem Terror in Deutschland auseinander. Nicht gerade heitere Themen. Wie hat sich das während des Schreibens für dich angefühlt?
Während des Schreibens ging es mir gut, weil es mich aus der Passivität holt. Die Vorbereitungen waren hingegen unheimlich belastend, da ich sehr viel Material zu rechtem Terror in Deutschland gesammelt habe – zu Hanau, Solingen, Rostock, Lichtenhagen und dem NSU, zu den zahlreichen Fällen, die von staatlicher Seite nicht als rechter Terror verbucht wurden, obwohl die Zeichen eindeutig waren. Während dieser Zeit ging es mir sehr schlecht, aber das war auch gut so. Für das Beschreiben dieser Art der Involviertheit fehlt oft noch die richtige Sprache.
Während Rassismus und rechter Terror häufig nicht als solche erkannt werden (wollen), bezeichnet man Straftaten muslimisch gelesener Menschen oft reflexartig als islamistischer Terror. Das beschreibst du auch eindrücklich in deinem Buch. Warum ist dir dieses Thema ein wichtiges Anliegen?
Weil wir selbst diesen Zuschreibungen tagtäglich auf den Leim gehen. Ich merke so oft nicht, wenn mir beispielsweise gerade jemand als Einzeltäter verkauft wird. Ich nehme es hin und hinterfrage nicht: „hätte diese Person Mohammed geheißen und dieselbe Tat begangen, wären wir jetzt in einem ganz anderem Diskussionsfeld gelandet“.
Viele dieser Bilder sind so stark, dass sie auch bei den kritischsten Menschen im ersten Moment Sinn zu machen scheinen. Deswegen ist die muslimische Markierung, wie sie auch meine Figuren vielfach erfahren, etwas, das ich nicht unbenannt lassen konnte. Wir betiteln weiße Attentäter:innen ja auch nicht als christliche Attentäter:innen. Weil christlich als Norm, als Neutralität und als unsichtbares Etwas gesehen wird. Dabei handelt es sich beim antimuslimischen Rassismus um ein so schlicht zusammengebasteltes, albernes Feindbild. Das ärgert mich auch insofern, dass dadurch richtige Probleme aus dem Blick geraten.
Kannst du hierfür ein Beispiel geben?
Nach der Kölner Silvesternacht wurde in den Medien das Bild eines übersexualisierten muslimischen Mannes verbreitet. Ich hatte das Gefühl, dass hier verpasst wurde, über das große Problem sexualisierter Gewalt zu sprechen, indem man versucht hat, es über eine bestimmte Kultur oder Religion abzuhandeln. Am Ende haben alle verloren, außer die Rechten und die Konservativen. Frauen wurden hier bloß wieder instrumentalisiert und benutzt. Diese Bilder sind fest verankert bei ganz normalen Menschen, solchen, die zu meinen Lesungen kommen und die unglaublich irritiert sind, wenn so etwas hinterfragt wird.
Wie versuchst du in deinem Roman solche Zuschreibungen und Stereotypen aufzubrechen?
Beispielweise dadurch, dass sich Saya [eine der Protagonist:innen in „Drei Kameradinnen“ , Anm. d. Red.] an keiner Stelle des Romans in irgendeiner Form zum Islam positioniert, weder ablehnend noch zugehörig. Außer, wenn ihr Zuschreibungen begegnen. Es gibt diese Unterscheidung in willkommene und weniger willkommene backgrounds, und die Erfahrungen meiner Protagonist:innen können aufzeigen, dass diese eigentlich total variabel sind. Man würde Saya einen lateinamerikanischen background abkaufen, genauso wie man ihr aber auch diese muslimische Markierung zuschreibt. Das zeigt die Absurdität, an solchen schlussendlich willkürlichen Zuschreibungen festzuhalten.
In „Drei Kameradinnen“ steht die Freundschaft dreier Frauen im Vordergrund. Weshalb war es dir wichtig, aus einer weiblichen Perspektive zu erzählen?
Weil mein Roman auch Probleme anspricht, die sich spezifisch Frauen in den Weg stellen. Hierzu zählen beispielsweise die Beziehungen, die meine drei Protagonist:innen führen, die Alltagssexismen, denen sie dabei begegnen, die Arten und Weisen, wie sie ihre Sexualität ausleben, und wie jede dafür auf verschiedenste Art und Weise verurteilt und kategorisiert wird. Ich habe mich immer gefragt, wo entstehen Allianzen? Warum entstehen sie (nicht)?
Deine Protagonist:innen gehen dabei in sehr unterschiedlicher Weise mit rassistischen Erfahrungen um. Was möchtest du hierdurch zeigen?
Wenn wir über Rassismus reden, möchten wir oft behaupten, wir wären uns alle einig. Dabei gibt es so viele verschiedene Zugänge und Umgänge damit. Gerade Hanis Haltung und Perspektive stellt eine dar, die eigentlich Raum haben müsste, diesen jedoch nur selten bekommt: „Ja, das ist unfair, aber ich halte mich nicht damit auf, ich ignoriere es, soweit es geht, weil es mir damit besser geht.“
Demgegenüber stellt diese Wut, dieses ständige sich kritisch Auseinandersetzen, wie es Saya betreibt, auf eine Art ein Privileg dar. Ich will das auf keinen Fall klein machen. Aber das sind auch Ressourcen, die man haben muss, ständig wütend zu sein und auf all die Missstände hinzuweisen, während andere Leute in ihrer Wut schnell unbeweglich und machtlos werden. Sie wirken stets so held:innenhaft, Figuren wie Saya. Das sind sie für mich auch, das will ich gar nicht schmälern.
Aber ich finde es zeitgleich problematisch, wenn wir damit verschweigen, dass eine Person wie Saya das eben auch kann, weil sie gewisse Privilegien hat, weil sie eine gewisse Bildung, weil sie gewisse Sicherheiten hat, und dass wir auch deswegen diese Stimmen in der deutschen Gegenwart verhältnismäßig lauter hören. Das sind die Personen, die abgesichert sind, die Romane schreiben oder für Zeitungen arbeiten.
Inwiefern hängt das Vorhandensein gewisser Privilegien mit der Frage der Generation für dich zusammen?
Wir erleben es jetzt gerade, dass die sogenannten postmigrantischen Stimmen, die sehr laut sind und kein Blatt vor den Mund nehmen, diejenigen sind, die seit zweiter oder dritter Generation hier leben. Die öffentliche Position ist momentan meist eine derer, die nicht erst ankommen müssen. Gleichzeitig gibt es viele Geflüchtete in Deutschland, sie hören wir nicht, sie haben ja vielleicht auch nochmal eine ganz andere Perspektive auf Rassismus. Aber diese Stimmen bekommen eben keine Kolumne, sie bekommen keine Verträge in großen Publikumsverlagen, weil sich die hierfür nötigen Strukturen noch nicht geändert haben.
In deinem neuen Roman brichst du auf formaler Ebene mit klassischen Strukturen des Erzählens. Kasih, eine der drei Protagonist:innen, erzählt dabei auch die Geschichten anderer Personen. Was hat dich dazu bewogen?
Das Erzählen über Diskriminierungserfahrungen kann nur durch mehrere Perspektiven erfolgen. Dadurch, dass wir wissen: die dominante Perspektive ist die, die beschwichtigt, die uns immer wieder zu vermitteln versucht: „Das ist jetzt doch aber nicht rassistisch, das bildest du dir ein, stell dich mal nicht so an!“, kann ich diese Perspektive beim Schreiben nicht rauslassen, weil sie stets mitliest. Auch meine Lesenden könnten diese Haltungen in sich tragen. Das ist der weiße Blick, den wir durch Literatur ständig erfahren, welcher natürlich auch einen Teil meines Schreibens darstellt. Deshalb muss ich ihn ein Stück weit selbst beanspruchen, um ihn aufbrechen zu können.
Es wäre mir inkonsequent vorgekommen, wenn Kasihs Perspektive als nicht-weiße, junge, gut ausgebildete Frau die einzige Linse ist, durch die wir schauen. Dadurch hätte ich eine Dichotomie aufgemacht, die ich nicht haben will, weil sie ja auch verdeckt hätte, an welchen Stellen Kasih privilegiert ist. Schwarze Personen erfahren eine unterschiedliche Form von Rassismus als andere People of colour. Deshalb war es mir wichtig, diese Form des Rassismus ebenfalls zu beschreiben.
Der Text thematisiert dadurch auch eine andere, wichtige Frage: was machen wir sonst, wenn wir Geschichten mit einer auktorialen Erzähler:innen lesen? Sie als das Neutrale, das Objektive sehen? Obwohl das ja sehr oft eine weiße Instanz ist, die da spricht.
Dein Roman spart genaue Ortsangaben aus. Glaubst du, dass sich dadurch mehr Lesende in der Geschichte wiederfinden können?
Es war zumindest mein Wunsch, ob es klappt, weiß ich nicht. Gerade weil der Roman Erfahrungen thematisieren möchte, die man vielleicht selber nicht hat oder die andere nicht haben. Die eigene Fantasie muss häufig Teile ergänzen und wenn wir nicht aufpassen, tut sie das schnell auf sehr problematische Art und Weise, auf rassistische oder auch antisemitische Art und Weise. Gleichzeitig gibt es natürlich Ebenen, in denen es sehr schön und wichtig ist, wenn die eigene Fantasie sie ergänzt, die keine Gefahr bergen. Ich wollte mich auch davor wehren, dass man am Ende den Roman liest, betroffen ist und denkt: „Ganz schlimm, aber so ist ja Deutschland 2020 auch gewesen, dann können wir mit diesem Kapitel abschließen“.
Selbst wenn die Geschichte bloß ein Jahr zurückliegen würde, hätte das Buch auch vor 20 Jahren erzählt werden können. Dann hätte es vielleicht niemand gedruckt und niemand gelesen, weil die Welt noch nicht so weit war, die Geschichte selbst aber trägt etwas gegenwärtig-zeitloses mit sich. Rechter Terror als Kontinuität, Mikroaggressionen, Alltagsrassismen, Alltagssexismen sind nicht Neues. Darüber hinaus ist es für eine internationale Geschichte viel schöner, wenn man es nicht an die deutschsprachige Welt koppelt. Denn viele dieser Probleme, gerade von Frauen, sind universell.
Was ist dir wichtig zu erwähnen und im bisherigen Diskurs über dein Buch zu kurz gekommen?
Für mich ist von Anfang an immer klar gewesen, dass es in dem Buch um die Verflechtungen von Diskriminierungserfahrungen geht. Gerade deshalb finde ich es interessant, dass in der Rezeption aber meist nur von Rassismus die Rede ist und der mir so wichtige Intersektionalitätsaspekt so selten fällt. Ich finde das total irritierend, über den Roman wurde jetzt schon einiges gesagt und geschrieben, aber Intersektionalität war fast nie ein Punkt, dem die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Ich weiß dann oft nicht, ob diese Diskussionen, auch im Feuilleton, einfach noch nicht so weit sind und man das Wort nicht kennt, oder ob mein Roman auf den Rassismusfaktor reduziert wird.