Frankreich hat den Kurs gewechselt und ist mittlerweile der stärkste Unterstützer von Marokkos Souveränität über die Westsahara. Worum es wirklich geht und wie französischsprachige Medien aus dem Maghreb dazu berichten, stellt dis:orient in dieser Presseschau dar.
Rachida Dati, französische Kulturministerin, reiste vom 15. bis 18. Februar diesen Jahres nach Marokko - und die Westsahara. Dort besichtigte sie kulturell geprägte Orte - und erkannte Marokkos Souveränität über die Westsahara an.
Der eigentliche Grund ihres Besuches: Kooperationsabkommen im kulturellen und kreativen Bereich mit Marokko zu unterschreiben. Aber ihren letzten Tag verbrachte Rachida Dati in Laayoune, der größten Stadt der Westsahara. Dort gab sie in ihrer Rede bekannt, dass in der Stadt eine Regionalstelle der Alliance française, des französischen Kulturinstituts für die Verbreitung der französischen Sprache, eröffnen werden soll: „ein Ort der kulturellen Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Marokko“.
Im Namen der französisch-marokkanischen Beziehungen
Der Besuch ist ein Zeichen für die Verfestigung der französischen Anerkennung der Vorherrschaft Marokkos über die Westsahara. Rachida Datis Äußerungen kommen ein paar Monate nach der Rede Macrons vor dem marokkanischen Parlament, in der er die marokkanische Souveränität über die Westsahara anerkennt, was er bereits davor in einem persönlichen Brief an Mohammed VI, den König Marokkos, versprochen hatte.
Frankreich priorisiert damit die wirtschaftliche Kooperation durch Verträge in Milliardenhöhe, ohne dabei Rücksicht auf das Völkerrecht zu nehmen. Schon 1975, direkt nach dem Ende der spanischen Herrschaft in der Westsahara, erkannte der Internationale Gerichtshof in Den Haag das Selbstbestimmungsrecht der Sahrawis an. Auch der Europäische Gerichtshof hat im Oktober 2024 gegen ein Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko geurteilt, da Marokko dieses auf die Westahara erweitert hatte – obwohl weder eine de jure Souveränität Marokkos über diese Gebiete besteht noch eine Zustimmung der Sahrawis.
Andere Staaten wie Israel (2023), Deutschland (2023), Spanien (2022) und die USA (2020) haben bereits in der Vergangenheit Marokkos Souveränität über die Westsahara anerkannt. All diese Staaten beziehen sich auf den sogenannten Autonomieplan Marokkos, den Marokko 2007 vor der UN vorgestellt hatte. Dieser besagt, dass die Westsahara in administrativen, steuerlichen und kulturellen Angelegenheiten selbstständig sein soll; Marokko soll Kompetenzen über Außenpolitik, Sicherheit, Religionsfragen und Rechtsprechung bekommen. Die Polisario-Front und der algerische Staat lehnten damals diesen Plan ab, er verweigere der Westsahara die Unabhängigkeit und den Sahrauis die Selbstbestimmung, die ihnen die UN 1975 anerkannte.
Solidarität unter Kolonialmächten
Das algerische Außenministerium hat am 18. Februar in einer Pressemitteilung auf die „besondere Schwere“ des Besuchs von Rachida Dati reagiert. Dieser Besuch zeige die Verachtung Frankreichs des internationalen Rechts und führe nur zur weiteren Kolonisierung der Westsahara durch Marokko. Auch sei der Besuch ein gutes Beispiel für gegenseitige Solidarität unter alten und neuen Kolonialmächten.
Kritik an dem Besuch kommt auch aus der algerischen Medienlandschaft. El Watan titelte nach Macrons Besuch in Algerien im Oktober 2024: „Frankreich missachtet internationales Recht“. Der Brief an Mohammed VI habe im Juli 2024 dazu geführt, dass „die französisch-algerischen Beziehungen gesprengt sind“ und Macron „mit dem Feuer spielt“, sagt L’Expression.
El Moudjahid sieht Algerien als Hüter der Unabhängigkeit der Westsahara und erinnert Frankreich an seine völkerrechtlichen Verpflichtungen, insbesondere da Frankreich ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates ist. Die französisch-algerischen Beziehungen hatten sich bereits durch Macrons Aussagen um einiges verschlechtert, Rachida Datis Besuch in Marokko und in der Westsahara brachte das Fass zum Überlaufen.
Französisch-algerische Beziehungen bröckeln
Am 25. Juli 2024 schrieb das algerische Außenministerium als Reaktion auf Macrons Brief in einer Pressemitteilung, dass die französische Entscheidung zweifelhaftes politisches Kalkül zeige. Es mahnte, dass Algerien entsprechende Konsequenzen ziehen würde, die allein Frankreich zu verantworten hätte. Einige Tage später gab Algerien bekannt, seinen Botschafter aus Paris zurückzurufen.
Am 23. Februar 2025, knapp eine Woche nach Rachida Datis Besuch, traf Gérard Larcher, Präsident des Senats und dritter Staatsmann Frankreichs, offiziell in Marokko ein. In der Pressemitteilung des französischen Senats heißt es, die interparlamentarische Zusammenarbeit und die Freundschaft zwischen Frankreich und Marokko solle verstärkt werden. Das tunesische Online-Magazin Tunisie numérique spricht dahingegen von einer „offensichtlichen Provokation Frankreichs“. Zwei Tage nach seiner Ankunft trat auch er in Laayoune auf, wo er „die neue Position Frankreichs, in der die Gegenwart und Zukunft der Westsahara innerhalb marokkanischer Souveränität stattfindet, wiederspiegeln soll“. Ein Tag später kommt die Meldung aus Algier: der Rat der Nation bricht alle Beziehungen zum französischen Senat ab.
Mehrere marokkanische Medien, wie Telquel, Le Matin oder barlamane.com, stellen die Rede der französischen Kulturministerin in den Vordergrund: es handele sich um einen historischen Besuch, der als eine Wende in den französisch-marokkanischen Beziehungen angesehen werden kann.
Aufruf an die Vereinigten Nationen
Vom betroffenen Maghrebstaat Westsahara kommt über den Sahara Press Service ebenfalls viel Kritik: mehrere Vertreter:innen des sahrawischen Volkes äußern sich kurz nach dem Besuch Rachida Datis.
Mohamed Ali Zerouali, Vertreter der Sahrawis in Frankreich sagt dazu am 18. Februar: „Indem sie ohne Absprache oder Anerkennung der rechtmäßigen Vertreter des sahrauischen Volkes in diese Region reiste, ermutigte Dati die unnachgiebige Politik der marokkanischen Besatzer“. Dies führe zu einer Verstärkung der Unterdrückung des sahrawischen Volkes in den besetzten Gebieten. Zerouali wies zudem auf die Doppelmoral Frankreichs hin, das einerseits die territoriale Integrität der Ukraine vehement verteidige, zugleich aber seine eigenen völkerrechtlichen Grundsätze missachte, indem es das Selbstbestimmungsrecht der Sahrawis ignoriere.
Am selben Tag rief die sahrawische Regierung unter anderem die UN, EU und UNESCO auf, „dringend einzugreifen, um die Ausbeutung der Kultur als Kolonialinstrument durch die marokkanische Besatzung zu verhindern und jede internationale Komplizenschaft mit ihren Verbrechen zu unterbinden“.
Dr. Sidi Mohamed Omar, Mitglied des sahrawischen Nationalsekretariats und Vertreter der Polisario-Front bei der UN und Koordinator der MINURSO (UN-Mission für das Westsahara-Referendum) äußerte sich am 22. Februar in einem Interview im algerischen Fernsehen: „Auf die Frage nach der Rolle Frankreichs im Sicherheitsrat betonte der sahrawische Diplomat, dass es kein Geheimnis sei, dass Frankreich seit der Invasion der sahrawischen Gebiete der wichtigste Unterstützer des Besatzungsstaates Marokko war und ist. Er betonte, dass die jüngsten feindseligen Positionen Frankreichs ein weiterer Schritt zur Eskalation dessen Feindseligkeit gegenüber dem sahrawischen Volk sind.“
Am 24. Februar prangerte der Verein der Freunde der Demokratischen Arabischen Republik Sahara Frankreichs Verachtung des Völkerrechts an: „[Die Anerkennung Marokkos Souveränität über die Westsahara] widerspricht der Position des Sicherheitsrats, der an einer respektvollen Haltung gegenüber dem Recht der Dekolonialisierung, dem Recht des sahrawischen Volkes auf Selbstbestimmung, festhält, sowie der neueren Position des Gerichtshofs der Europäischen Union.“
In seiner Rede zum 49. Jahrestag der Gründung der Demokratischen Arabische Republik Sahara, am 26. Februar, äußerte sich Brahim Ghali, Präsident der Republik und Generalsekretär der Polisario Front, ebenfalls zu Frankreichs Verachten der Grundsätze von Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit sowie Menschenrechten. Er fügte hinzu, dass es offensichtlich geworden sei, dass Marokkos aggressives Vorgehen, sowie die Besatzung, Besiedlung, Ressourcenplünderung und die Einbeziehung externer Parteien in illegale Aktivitäten in den besetzten sahrawischen Gebieten legitimiert werde. Hierbei werde Marokko durch dieselben Kolonialmächte ermutigt und unterstützt, die sich zur Invasion Marokkos der Westsahara seit dem 31. Oktober 1975 verschworen hätten.
Frankreichs jüngste Haltung zur Westsahara zeigt nicht nur, dass Macron internationale Rechtsnormen missachtet, sondern dass er die Spannungen in der Region sogar weiter befeuert, indem er eine längst überfällige Lösung für das Selbstbestimmungsrecht der Sahrawis weiterhin mit der Anerkennung Marokkos Souveränität über die Westsahara verhindert.