18.12.2019
Iraner*innen protestierten – und mit ihnen die Welt

Im November protestierten Iraner*innen im ganzen Land gegen eine Erhöhung der Benzinpreise. Über 300 Menschen verloren ihr Leben. Dabei sind die jüngsten Proteste Teil einer weltweiten Aufruhr - ein Rückblick. 

Im Vergleich zu den meisten seiner Nachbarstaaten, welche unter nationaler Zerrüttung leiden, ist Iran ein verhältnismäßig stabiler Staat. Dafür sorgt allein schon der Sicherheitsapparat des Landes. Dennoch kam es am 15. November 2019 erneut zu Protesten: Nachdem die iranische Regierung am 14. November eine Erhöhung der Benzinpreise ankündigte, gingen in über 100 Städten landesweit tausende Menschen auf die Straße – mit tödlichen Folgen. Laut Deutsche Welle wurden in den zwei Wochen der Proteste 366 Menschen von den Sicherheitskräften getötet und mehr als 3000 verletzt. Eine genaue Zahl von Festnahmen wurde bisher nicht bekannt gegeben. Naghavi Hosseini, Mitglied der nationalen Sicherheitskommission, schätzt ihre Zahl auf über 7000.

Auslöser für diese Ausschreitungen war der Plan der Regierung, den Preis für einen Liter Benzin von zuvor 10.000 Rial auf 15.000 Rial zu erhöhen. Das entspricht umgerechnet rund 12 Cent. Gelten soll dieser Preis jedoch nur für eine Ration von 60 Litern pro Monat und PKW. Wer mehr verbraucht, zahlt pro Liter das Doppelte. Hintergrund für diese Preiserhöhung ist eine Lücke im iranischen Finanzhaushalt: Als Präsident Hassan Rohani den Haushalt für das kommende iranische Kalenderjahr vorstellte, waren zwei Drittel des Jahresbudgets ungedeckt.

Diese Lücke sollte unter anderem durch die Erhöhung der Benzinpreise gefüllt werden – das immense Echo folgte umgehend. Denn die Benzinpreise beeinflussen auch die Preisentwicklung anderer Grundmittel. Ironischerweise sollten die Einnahmen aus den erhöhten Benzinpreisen Programmen für sozial Bedürftigen zu Gute kommen, auf die bis zu 60% der Iraner*innen angewiesen sind. Außerdem sollte die Rationierung von Benzin auch der Umwelt zuliebe geschehen sein – in einem Land, das Umweltaktivist*innen als Spion*innen brandmarkt und inhaftiert.

Seitdem US-Präsident Donald Trump im Mai 2018 das Atomabkommen gebrochen und die US-Sanktionen wieder eingeführt hat, stieg der Druck sowohl auf die Führung des Landes, als auch auf die Bevölkerung enorm. Laut der staatlichen Arbeitergewerkschaft Irans leben mittlerweile rund 90 Prozent der iranischen Arbeiter*innen unter der Armutsgrenze, rund ein Drittel der Jugendlichen sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Hinzu kommt eine hohe Inflation, welche jegliche Hoffnungen auf wirtschaftliche Stabilität zunichte macht. 

Für große Teile der Bevölkerung des unter den Sanktionen leidenden Landes, geht es mit ihren Geldsorgen demnach um ihre Existenz. Somit waren es in erster Linie auch jene Sorgen, welche die Menschen zum Protestieren brachten. Das wurde etwa in der Hauptstadt Teheran deutlich: Während der verarmte Süden der Stadt Schauplatz zahlreicher, intensiver Proteste war, blieb der wohlhabendere Norden der Stadt vergleichsweise ruhig. 

Die Regierung zieht den Vorhang zu

Die Proteste gegen diese Finanzpolitik gewannen wie im Schneeballprinzip an Masse. Schnell wurde ein Rücktritt der Regierung gefordert. Die Reaktion darauf folgte prompt: Staatsoberhaupt Ali Khamenei griff auf die übliche revolutionäre Rhetorik zurück und bezeichnete die Demonstrant*innen als vom Ausland gesteuerte Marionetten, Präsident Hassan Rohani stimmte ein. Gemeinsam warnten sie die Menschen davor, zum Protestieren auf die Straßen zu gehen.

Davon sollte die Weltöffentlichkeit jedoch nichts mitbekommen, weshalb sich die iranische Führung zu einem radikalen Schritt entschloss und den Vorhang vor ihren Augen zuzog: Einen Tag nach dem Beginn der Demonstrationen, schaltete die Regierung am 16. November ab 18 Uhr das gesamte Internet Irans ab. In dieser Zeit drangen Bilder und Videos der gewalttätigen Auseinandersetzungen nur spärlich durch. Einige wenige Videos, die es trotzdem nach draußen in die Außenwelt schafften, zeigten gewaltsame Zusammenstöße zwischen Demonstrant*innen und Sicherheitskräften; Autos und Häuser brannten. Diese Internetsperre hielt bis zum 27. November an. 

Mit der Rückkehr des Internets wurde deutlich, dass die Proteste vom Sicherheitsapparat erfolgreich eingedämmt wurden. Zurück bleibt die schmerzhafte Gewissheit, dass der Ausdruck der Unzufriedenheit der Menschen mit brutalsten Mitteln zurückgewiesen wurde – und mit ihr die Frage, wie es nun weitergehen soll. 

Teil einer weltweiten Aufruhr

Was die Proteste jedoch verdeutlichten, war die Wut der Menschen über das neoliberale System. Zwar sind der Internationale Währungsfonds und die Weltbank aufgrund der Sanktionen in Iran nicht aktiv, dennoch geht es im Kern um die selben Forderungen wie bei den Protesten in zahlreichen anderen Ländern auf allen Kontinenten - der Kritik an zunehmenden Privatisierung und der immer weiter auseinanderklaffenden Einkommensungleichheit: Während die Oberschicht profitiert, dünnt die Mittelschicht immer weiter aus.

In Chile war es die Erhöhung der Kosten des öffentlichen Nahverkehrs, die zu landesweiten Protesten führte, im Libanon brachte die geplante Einführung einer Steuer auf WhatsApp-Anrufe und Benzin die Massen zum Protest. In Frankreich provozierte die Ankündigung von Präsident Emmanuel Macron über eine geplante Steuererhöhung von Diesel zur Finanzierung der Energiewende monatelange Ausschreitungen im Land. Auch wenn sich Iran hinsichtlich seines Systems und Demographie deutlich von diesen Ländern unterscheidet, eint die Proteste der Ruf nach einer Wirtschaftspolitik, die nicht zulasten der Unterprivilegierten agiert. 

In einer Rede nach der Eindämmung der Proteste sprach der Kommandeur der Revolutionsgarden davon, dass sich Iran in einem „weltweiten Krieg“ befände, geführt von der üblichen Triade aus den USA, Israel und Saudi-Arabien. Das weltweite Aufbegehren gegen Austerität, Korruption und Missmanagement vereint inzwischen alle Kontinente. Doch das wird er mit besagtem Krieg wohl kaum im Sinn gehabt haben.  

Sebastian Wirth ist Absolvent der Regionalwissenschaften Asien/Afrika an der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitet als freiberuflicher Journalist und Dolmetscher. Er beschäftigt sich unter anderem mit dem Iran, wo er studierte und dessen Landessprache er fließend spricht.
Redigiert von Anna-Theresa Bachmann, Julia Nowecki