Die Frage drängt in der Weltpolitik wie kaum eine andere: Kommt es zu einem Krieg am Persischen Golf? Wir haben uns beim Superstar der deutschen Philosophie informiert. Von Daniel Walter
Die Welt ist bekanntlich aus den Fugen. Um die Fliesen im geordnet geglaubten Badezimmer wieder gerade zu rücken, wünschen sich Eigenheim-Deutsche daher nichts sehnlicher als zwei Männer mit Enthüllungsgestus und Windschutzmikrofon: Auftritt Tilo Jung und Richard David Precht (RDP).
Bereits zum zweiten Mal war die philosophische Beilage des ZDF zu Gast bei „Jung und Naiv“. Thema: Die Folgen der Digitalisierung, die der Autor von „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ in seinem neuen Buch beschreibt.
Auf Twitter teilte die ARD-Journalistin Natalie Amiri einen Gesprächsausschnitt mit dem beschwörenden Kommentar „Viel Wahres drin….“. Darin äußert sich Precht auch zu einem der gefährlichsten Konflikte dieser Tage: Iran versus Vereinigte Staaten von Amerika.
Wäre die Welt eine Scheibe: DJ RDP würde sie zum Scratchen nutzen. Messerscharf analysiert er die „Lage am Golf“. Ein für ihn wahrscheinliches Szenario: US-Präsident Donald Trump wird während seiner insgesamt achtjährigen Amtszeit – Wiederwahl eingepreist – einen Krieg gegen den Iran beginnen. Der Grund: Trump will von den Folgen der Digitalisierung in den USA ablenken. Für Precht werden diese „Ablenkungskriege“ im Zuge des digitalen Wandels immer wahrscheinlicher.
Und es wird noch bizarrer. „Übrigens“, so Deutschlands nachdenklichster Militärexperte weiter, wäre dies „ein Krieg, den die USA nicht gewinnen können“. Zur Erklärung verweist er auf die Irak-Invasion:
„Der Irak war ‘ne große Fläche Wüste mit relativ wenig Leuten drauf und eigentlich nur einer richtig großen Stadt. Der Iran hat so viele Einwohner wie die Bundesrepublik, ist eine sehr abwechslungsreiche Landschaft mit vielen Bergen und Tälern. Das ist ein Land, das kann man überhaupt nicht vergleichen mit so einem Flächenwüstenstaat wie der Irak, der ja dadurch zustande gekommen ist, dass mal ein paar europäische Generäle ein paar Linien in den Sand gezogen haben, und das den Irak genannt. Und der Iran ist ‘ne historisch gewachsene Kulturnation und es ist ein gigantisches Land, das man nicht mal eben so überrollen und einnehmen kann, das ist vollkommen ausgeschlossen. (…) Ich habe einen sehr, sehr großen Respekt vor dem Iran.“
Iran mit seinen „Bergen und Tälern“, mit ebenso vielen Einwohnern wie Deutschland (eine Warnung?) und der „historisch gewachsenen Kulturnation“… Was ist im Vergleich dazu schon der „Flächenwüstenstaat“ Irak mit „relativ wenig Leuten drauf“, der ja sowieso nur ein koloniales Konstrukt und – so der dröhnende Subtext – deswegen nicht wirklich ernst zu nehmen sei?
Precht watet knietief durch den rassistischen Stereotypensumpf der Araber*innen als kulturloses Beduinenvolk. Seine konstruierte Wahlverwandtschaft zwischen Deutschland und Iran lässt in einen Topos blicken, der auf die Entstehungsgeschichte des iranischen Nationalismus verweist.
Eine besondere Spielform des Nationalismus
In „The Emergence of Iranian Nationalism – Race and the Politics of Dislocation” beschreibt der Historiker Reza Zia-Ebrahimi, wie sich Ende des 19. Jahrhunderts ein rassistischer Nationalismus in Iran herausbildete.
Interessant: Intellektuelle wie etwa Mirza Fath´Ali Akhundzadeh und Mirza Aqa Khan Kermani, bezogen sich in ihrem Hass auf alles Arabische, Semitische und Islamische vor allem auf die Werke europäischer Orientalisten des 19. Jahrhunderts. Solche Forschungsreisende, darunter der Franzose Auguste Renan und der Deutsche Theodor Nöldeke, ließen ihrer Verachtung gegenüber Araber*innen freien Lauf. Iraner*innen (die sie mit Perser*innen gleichsetzten) beschrieben sie wiederum als Menschen, die Westeuropa im Grunde näher seien als Westasien.
Als „dislocative nationalism“ bezeichnet Zia-Ebrahimi diese nach Iran importierte und dort weiterentwickelte Spielform des Nationalismus, der die geografische Lage Irans für einen Unfall der Geschichte hält und der eine vereinfachende Prägung des Landes auf die ethnische Gruppe der Perser*innen verfolgt.
Das Klischee der Model Minority
Will man dem David Garrett der deutschen Philosophie irgendetwas zugutehalten, dann, dass er sozusagen den Menschen in den Fokus rückt, nicht die politischen Eliten. Seine Iran-Bewunderung begründet er schließlich mit Verweis auf die hochgebildeten Taxifahrer, denen er in Köln begegne.
Auch hierbei handelt es sich um eine Verzerrung. Die Iraner*innen, die ihre Heimat in den 1970- und 80er-Jahren aufgrund politischer Repressionen verlassen musste, waren meist studiert. Für das Land repräsentativ ist diese gebildete Schicht nicht. Sie ist es ebenso wenig wie etwa die Arbeitsmigrant*innen, die in den in 1950er- bis 70er-Jahren aus verschiedenen Ländern nach Deutschland kamen. Precht stellt die „Model Minority“ der Iraner*innen so absurd auf den Sockel, dass man nicht wissen möchte, was er über in seinen Augen „weniger gebildete“ Migrant*innen denkt.
Was Precht in seinen Einlassungen zeigt, ist ein verqueres Verständnis Irans und der gesamten Region, das auf Halbwahrheiten aufbaut und Ressentiments bedient. Damit steht Precht fest in der Tradition nationalistischer Erzählmuster, die ihren Ursprung in Europa haben und von iranischen Nationalist*innen bis heute weitergesponnen werden.
Wen wundert’s: Auf Tilo Jungs Frage, ob er schon einmal in Iran war, antwortet Precht mit: „Nein“.