Am heutigen Donnerstag findet in Aachen eine Konferenz zur aktuellen Lage in Syrien statt. Auf dem Podium sitzen u.a. je ein*e Vertreter*in der Muslimbruderschaft, der säkularen Opposition und der Kurd*innen. Im Vorfeld sprach Leon Wystrychowski mit Mustafa Ilhan, dem Initiator der Veranstaltung.
Alsharq: Ende 2012 hat sich die International Peace Initiative for Syria (IPIS) gegründet, der auch Sie angehören. Sie haben sich damals das Ziel einer politischen Lösung für Syrien gesetzt. Der Krieg aber ging weiter und tobt mittlerweile seit mehr als sieben Jahren. Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Mustafa Ilhan: Inzwischen hat das offensive Kriegstreiben einer trügerischen Grabesruhe Platz gemacht, denn dem Assad-Regime ist es gelungen, im Süden und Westen des Landes die verlorenen Städte und Gebiete mit Hilfe der russischen Luftwaffe und der iranischen Milizen zurückzuerobern. Bei dieser seit 2016 anhaltenden Offensive ist es natürlich nicht nur gegen den IS gegangen, sondern gegen alle aufständischen Rebellen.
Die Ausnahme bilden die Provinzen um Idlib, Hasaka und die Kurdengebiete um Kobane und Qamishli, wo unter der Bezeichnung »Rojava« seit drei Jahren mithilfe amerikanischer Unterstützung ein großflächiges Selbstverwaltungsgebiet errichtet wurde. Insgesamt macht dieser dem IS abgerungene Teil fast ein Drittel des syrischen Staatsgebietes aus.
Nach der Eroberung von Afrin [im äußersten Westen des Kurdengebiets, L.W.] Anfang vergangenen Jahres versucht die Türkei nun – mit wechselndem Erfolg – einen Keil in diese Gebiete hineinzutreiben, indem sie die bei Idlib eingerichtete Schutzzone unter ihre Kontrolle zu bringen versucht. Es kommt deshalb zu Spannungen nicht nur mit Russland, sondern auch mit den USA. Ein Vormarsch türkischer Truppen auf Manbij wird zwar schon länger angedroht, solange die USA und Damaskus bzw. Russland kein Okay dafür geben, wird es aber nicht dazu kommen.
Nun hat Präsident Trump ja den Abzug der US-Truppen angekündigt. Wie würde sich dieser denn auswirken, wenn er wirklich stattfindet?
Für die USA ist in Syrien, nachdem sich Russland und Iran derart massiv eingeschaltet haben, wenig zu holen. Allerdings wollen sie die Kurden nicht im Stich lassen und von deren militärischen Erfolgen profitieren. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Amerikaner nicht aufgrund des kurdischen Konflikts in Syrien sind. Für sie war es nicht einfach, eine eigene Linie im Syrienkrieg zu ziehen.
Außer den Kurden hatten die USA nie einen verlässlichen Partner innerhalb der syrischen Opposition. Die Rückzugserklärung Trumps hat die Kurden zwar enttäuscht, dieses Bündnis ist für sie aber auch nicht ohne Alternative. Andere Akteure in Syrien kritisieren zwar die Dialogbereitschaft der PYD, aus kurdischer Sicht ist diese Strategie aber letztlich nicht unklug.
Die PYD nutzte den Krieg in Syrien und den Schutz der USA, um ein eigenes politisches Projekt im Norden Syriens aufzubauen. Kann ein solcher Alleingang auf Dauer Bestand haben?
Den Kurden ist die politische Unterstützung durch die USA und die EU im Augenblick wichtiger als die militärische. Die Strategie, die die PYD verfolgt hat, war ziemlich intelligent und in einigen Orten wie in Kobane oder auch in Qamischli erfolgreich. Nur eins sollten wir nicht vergessen: Das kurdische Selbstverwaltungsprojekt wird nur existieren, solange die amerikanische Intervention anhält.
Bei den Kurden muss man zwischen den ideologischen und den pragmatischen Teilen der Bewegung unterscheiden. Die Kurden waren und sind immer noch offener für einen Dialog, sowohl mit anderen Oppositionsgruppen als auch mit Damaskus und auch verschiedenen ausländischen Mächten, als die meisten anderen syrischen Akteure.
Die Kurden nur deshalb zu kritisieren, weil sie mit den Amerikanern kooperieren, geht an der Realität vorbei und bringt auch niemanden weiter. Es muss eine gemeinsame regionale Strategie entwickelt werden. Um die Abhängigkeit der Kurden von den USA zu beenden, müssen die anderen regionalen Player wie Türkei und Iran in den Dialog einbezogen werden. Nur wenn alle diese Länder sich über die Zukunft der Kurden einigen, kann eine friedliche Lösung gefunden werden.
Ende letzten Monats hat Trump die seit 1967 von Israel besetzten und inzwischen de facto annektierten Golan-Höhen als Teil des israelischen Staatsgebiets anerkannt. Ist dieser formelle Akt auch von realer Relevanz für die aktuelle Lage in Syrien?
Die Politik der USA und Israels sind mit Blick auf die Region kaum voneinander zu trennen. Auch die Anerkennung der Golan-Höhen durch Trump ist im Kontext dieser Allianz der beiden Besatzungsmächte zu sehen. Allerdings wird auch dieser Akt den USA nicht helfen, ihre Präsenz in Syrien dauerhaft zu legitimieren.
Neben der Arabischen Liga, der türkischen und der syrischen Regierung haben die islamische und die arabische säkulare Opposition die Anerkennung Washingtons verurteilt. Und auch die Kurden bezeichnen in einer jüngsten Stellungnahme die Golan-Höhen als integralen Bestandteil des syrischen Territoriums.
Das Motto Ihrer Initiative lautet »Yes to democracy. No to foreign Intervention.« Nun scheint das Regime in Damaskus siegreich aus dem Machtkampf hervorgegangen zu sein und zugleich sind unzählige ausländische Mächte in Syrien verwickelt. Welche Perspektive sehen Sie da noch für einen gerechten Frieden in einem souveränen Syrien?
Derzeit ist eine taktische Annäherung der Kurden an das Regime zu beobachten. Zudem wurde Ende März in Kobane eine Erklärung verabschiedet, in der man sich zur staatlichen Einheit Syriens bekannte. Eine Aussöhnung zwischen der islamischen Opposition und der Regierung ist dagegen unter den gegenwärtigen Umständen wohl kaum möglich.
Dazu müsste das Regime einen ernsthaften politischen Dialog akzeptieren, was bisher nie der Fall war, nicht einmal im Rahmen der UN-Verhandlungen in Genf. Auch die Astana-Gespräche sind tot. In Sotschi dagegen finden Gespräche innerhalb der Verfassungskommission statt, an denen auch säkulare Oppositionskräfte beteiligt sind.
Um eine Änderung des momentanen Zustands herbeizuführen, müssen die ausländischen Einmischungen beendet werden. Ein ernsthafter Dialog wird nicht zustande kommen, solange sich die ausländischen Kräfte weiterhin militärisch ausbreiten.
Das oberste Ziel der IPIS war es immer schon, der syrischen Zivilgesellschaft international eine Stimme zu geben. Das ist heute notwendiger denn je, weil der Friedensprozess droht, in ein Friedensdiktat der Großmächte abzugleiten. Um einen nachhaltigen Frieden herbeizuführen, muss die Opposition an einem Strang ziehen und ihre internen Konflikte überwinden, bevor ein Dialog mit dem Regime auf Augenhöhe möglich ist. Das zu erreichen, ist jetzt das vordergründige Ziel unserer Friedensinitiative.
Soll auch die Veranstaltung am heutigen Donnerstag zu diesem Ziel beitragen?
Inwiefern sie diesem Anspruch gerecht werden kann, wird sich zeigen. Es geht darum, dass alle relevanten Oppositionskräfte ohne Stellvertreter oder die im Hintergrund stehenden ausländischen Mächte an einen Tisch zusammenkommen und direkt miteinander sprechen. Zugleich soll dies transparent gemacht und den Teilen der hiesigen Zivilgesellschaft, die sich beteiligen möchte, vermittelt werden.
Insofern handelt es sich also erst einmal um eine Informationsveranstaltung für Friedensaktivisten hier vor Ort. Wir hoffen natürlich aber vor allem, dass überdies daraus ein Auftakt für einen weiterreichenden Dialog zwischen den verschiedenen Oppositionsfraktionen entsteht. Insofern soll damit auch der Grundstein für künftige Initiativen in diese Richtung gelegt werden.
Mustafa Ilhan ist Sprecher des Rosa-Luxemburg-Clubs Aachen und aktiv in der International Peace Initiative for Syria (IPIS). Die IPIS verfolgt ihr Ziel einer politischen Lösung unter Wahrung der staatlichen syrischen Souveränität durch Konferenzen und Delegationen, die die verschiedenen Akteur*innen zum Dialog bewegen sollen. Zu den Unterstützer*innen zählen u.a. der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, der Historiker Tariq Ali und der nicaraguanische Befreiungstheologe Ernesto Cardenal.