23.12.2017
Verfahren gegen Reza Zarrab: Erdogan unter Druck
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Ein Verfahren in den USA wird für ihn innen- und außenpolitisch zum Problem. Foto: kremlin.ru
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Ein Verfahren in den USA wird für ihn innen- und außenpolitisch zum Problem. Foto: kremlin.ru

Der Fall des iranisch-türkischen Goldschmugglers Reza Zarrab geht in seine nächste Runde: Was seine Aussage über die undurchsichtigen Deals der Erdogan-Regierung enthüllen könnte.

Die Türkei hat eine lange Geschichte politisch aufgeladener Gerichtsfälle – man denke nur an den Ergenekon-, bzw. den Balyoz-Prozess, im Zuge derer der türkische „tiefe Staat“ der gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden sollte. Dennoch verspricht vielleicht kein einzelner Fall kriminellen Fehlverhaltens so viel über die undurchsichtigen Machenschaften innerhalb der Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogans zu enthüllen, wie die Untersuchungen des US-amerikanischen Bundesgerichts im Falle des iranisch-türkischen Goldschmugglers Reza Zarrab.

Zarrabs Aussage in einem Gerichtsfall, der sich mit mutmaßlichen Verstößen gegen die US-Sanktionen gegen Iran befasst, droht Korruptionsvorwürfe gegen die Spitzen von Erdogans Gerechtigkeits- und Freiheitspartei (AKP), sowie Mitglieder seiner Familie zu erhärten. Während die AKP-Regierung und Erdogan-nahe Medien nichts unversucht lassen, um den Fall als amerikanisch-gülenistischen Plot darzustellen, scheint es unwahrscheinlich, dass die aus ihm hervorgegangenen Enthüllungen die türkische Staatsführung unversehrt lassen. Zugleich könnten Erdogans Bemühungen, die Details des Zarrab-Prozesses zu unterdrücken, tief greifende Auswirkungen auf die internationalen Bündnisse der Türkei haben.

Trotz Erdogans Unterdrückungsversuchen sagt Zarrab aus

Seit Zarrabs Verhaftung durch US-Behörden im März 2016 aufgrund des Schmuggels iranischen Goldes in die Türkei, eine Verletzung des US-Sanktionsregimes, hat Erdogan weit reichende Anstrengungen unternommen, um die Freilassung Zarrabs und seine Rückkehr in die Türkei sicher zu stellen. Im Jahre 2016 hat Erdogan wiederholt den US-Vizepräsidenten Joe Biden dazu gedrängt, Zarrab auszuliefern. Nach dem Wahlsieg Donald Trumps hatte sich der künftige Nationale Sicherheitsberater und Pro-Türkei Lobbyist, Michael Flynn, um ein Ende der Zarrab-Affäre und die Abziehung des zuständigen Staatsanwaltes Preet Bharara bemüht.

Doch das US-amerikanische Justizsystem hat sich bislang immun gegen Beeinflussungen dieser Art gezeigt. Tatsächlich scheint es, als hätte sich Zarrab am 26. Oktober 2017 in sieben Anklagepunkten schuldig bekannt, einschließlich der „Verschwörung zum Verstoß gegen das US-Sanktionsgesetz gegen Iran“. In seiner Aussage, die gegen Ende November aufgenommen wurde, gab Zarrab zu, führende Mitglieder der AKP-Regierung bestochen zu haben, und legte die Komplizenschaft der beiden staatseigenen Banken Halkbank und Aktifbank dar, die beide von einem engen Verbündeten Erdogans geführt werden.

Nicht die ersten Ermittlungen gegen Zarrab

Zarrab wurde bereits zuvor der Korruption sowie des kriminellen Fehlverhaltens beschuldigt. Im Dezember 2013 nahm die türkische Polizei Ermittlungen auf, Tatverdacht: Bestechung hochrangiger Mitglieder der türkischen Regierung, um den Austausch iranischen Öls und Erdgases gegen Gold und Bargeld zu ermöglichen. Auch gegen Erdogans Sohn Bilal, die Söhne dreier AKP-Minister, sowie verschiedene weitere Mitglieder der Erdogan-Regierung wurden Ermittlungen wegen ihrer Verstrickung in den Korruptionsskandal aufgenommen.

Abgehörte Telefongespräche zwischen Erdogan und Bilal wurden vor Gericht als Beweismittel zugelassen, was zur öffentlichen Schmach beitrug. In den Jahren 2013 und 2014 gelang es Erdogan, die Korruptionsermittlungen zu unterbinden, indem er sie als Verschwörung des türkischen Klerikers Fetullah Gülen darstellte, dessen Anhänger angeblich einen „Parallel-Staat“ führen würden.Beim Versuch, den Staat von gülenistischen Einflüssen zu „reinigen“, wurden hunderte von Richtern, Staatsanwälten und Polizisten degradiert oder zwangsversetzt, und die Anklage gegen Zarrab fallen gelassen.

Jedoch tauchten dieselben Abhörbänder, die von den türkischen Behörden im Jahre 2013 vorgelegt wurden, nun auch als Beweismittel in den gegenwärtigen Ermittlungen vor US-Gerichten auf. Es scheint somit wenig erstaunlich, dass das türkische Regime erneut versucht, die bewährten Mittel anzuwenden, um die gegenwärtigen Ermittlungen gegen Zarrab zu beenden.

Wie die Türkei versucht, Zarrab zu diskreditieren

Genauso wie in den Jahren 2013 und 2014 versucht die Erdogan Regierung, die Zarrab-Affäre zu delegitimieren und von ihr abzulenken. Dieses Mal besteht jedoch der wesentliche Unterschied darin, dass die Ermittlungen außerhalb des türkischen Staates stattfinden. Daher entschloss sich die AKP-Führung schnell, das Verfahren gegen Zarrab in den USA als amerikanisch-gülenistische Verschwörung gegen die Türkei darzustellen.

Der stellvertretende Premierminister Bekir Bozdag verurteilte das Verfahren gegen Zarrab als „Theater“ und als eine Verschwörung gegen Präsident Erdogan. In gleicher Weise erklärte der Außenminister Mevlut Cavusoglu, dass die Anklage „erfunden“, „von den Gülen-Leuten vorbereitet“ und „politisch motiviert“ sei. Die große Mehrheit der türkischen Massenmedien folgte der Regierungslinie, sprach von „erfundenen Bewiesen“ und warf den US-Richtern vor, „Pro Gülen“, sowie in eine Verschwörung gegen die Türkei verwickelt zu sein. Von den Details der Aussage Zarrabs wurde, wenn überhaupt, spärlich berichtet und oft wurden gerade die schwersten Vorwürfe in der Berichterstattung ausgelassen.

Das Ausmaß, in dem das US-amerikanische Gerichtsverfahren verurteilt wird, macht deutlich, in welchem Erdogan weite Teile des nationalen Diskurses in der Türkei monopolisiert hat. Dennoch enthüllte der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu Beweise dafür, dass die Erdogan-Familie über Gelder auf auswärtigen Konten verfügt (die mutmaßlich im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen stehen). Kilicdaroglu reagierte damit auf Erdogans Versprechen, sein Amt niederzulegen, könne man ihm nachweisen, dass auch nur ein einziger Cent auf ein auswärtiges Konto überwiesen wurde.

Was Zarrabs Aussage für das Erdogan-Regime bedeuten könnte

Abgesehen von der möglicherweise großen Peinlichkeit für Erdogan und die AKP droht Zarrabs Aussage die innere Opposition gegen Erdogan zu ermutigen, sowie die Spannungen zwischen der Türkei und deren westlichen Alliierten zu verstärken. In Anbetracht der enormen Polarisierung zwischen Unterstützern und Kritikern Erdogans in der türkischen Gesellschaft scheint es unwahrscheinlich, dass viele Mitglieder der AKP dem Regime den Rücken zuwenden werden. Erdogan hat die Partei bereits weit genug ausgehöhlt, um jedwede Bedrohung durch innerparteiliche Konkurrenten auszuschalten.

Seit dem fehlgeschlagenen Putschversuch im Jahre 2016 sind sowohl die türkischen Massenmedien als auch das türkische Justizsystem fest in seiner Hand. Von daher sind auch die Aussichten auf ein gerichtliches Vorgehen gegen den Präsidenten zu vernachlässigen.

Nichtsdestoweniger ist nicht gewiss, ob Erdogan in der Lage sein wird, sein Kunststück zu wiederholen und die Korruptionsvorwürfe verschwinden zu lassen. Die Rücktritte der AKP-Bürgermeister von Istanbul und Ankara (ohne Zusammenhang zum Fall Zarrab) deuten an, dass selbst die AKP nicht völlig frei von inneren Spaltungen ist. Wichtiger noch, die säkulare Oppositionspartei CHP und die neugegründete nationalistische „Partei des Guten“ des Politikers Meral Aksener scheinen in ihrem Appell an die diejenigen Schichten der türkischen Gesellschaft, die durch 15 Jahre AKP-Herrschaft desillusioniert sind, bestärkt.

Zarrabs Aussagen könnte Auswirkungen über die Türkei hinaus haben

International wird Zarrabs Aussage wahrscheinlich deutlich ernster genommen werden als in der Türkei selbst. Die Verwicklung des ehemaligen amerikanischen Nationalen Sicherheitsberaters Flynn in die Zarrab-Affäre scheint von außerordentlichen Interesse für die Ermittlungen des Sonderermittlers Robert Mueller in Bezug auf die Absprachen zwischen Trumps Wahlkampfteam und ausländischen Regierungen.

Sowohl die Zarrab-Affäre, wie auch der Vorwurf, dass Flynn an Unterredungen mit türkischen Offiziellen über eine eventuelle Entführung des in Pennsylvania ansässigen Gülen teilnahm, sind hierbei von zentraler Bedeutung. Die Türkei beschuldigt Gülen, zum fehlgeschlagenen Putsch 2016 angestiftet zu haben. Dementsprechend drohen Flynns mutmaßliche Verbindungen zu den zwielichtigen Machenschaften der AKP-Regierung den Ermittlungen gegen das Wahlkampfteam Trumps eine türkische Dimension hinzuzufügen. Zarrabs Aussage bezieht sich nämlich ebenso auf die in russischem Besitz befindliche Denizbank.

Jenseits des Vorwurfes der direkten Einmischung in die Angelegenheiten ausländischer Staaten drohen die Vorwürfe im Fall Zarrab ebenso Erdogans ohnehin beschädigte Glaubwürdigkeit bei den westlichen Alliierten der Türkei zu beschädigen. Korruptionsvorwürfe, die sich auf die türkische Regierung selbst, sowie den engsten Führungskreis um Erdogan beziehen, stärken das Image Erdogans als autokratischer Despot. Bis vor kurzem hatten pragmatische Überlegungen vor allem im Hinblick auf die sicherheitspolitische Kooperation mit der Türkei, sowie der sogenannten „Europäischen Flüchtlingskrise“ Priorität vor einem wertebasierten Ansatz in den EU-Türkei Beziehungen.

Jüngste Aussagen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die erklärte, dass Finanzhilfen im Kontext des Beitrittsprozesses der Türkei zur EU beschnitten werden sollen, deuten nun aber darauf hin, dass sich die Zeiten geändert haben könnten. Der Fall Zarrab wird diesen Trend nur verstärken. Es bleibt zu hoffen, dass Erdogan nicht zu noch drastischeren Maßnahmen greift, um die Aufmerksamkeit weg von den gegenwärtigen Skandalen zu lenken.

Artikel von Julius Rogenhofer, Hacer Z. Gonul
Übersetzt von Adrian Paukstat (aus dem Englischen)