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Die Zerstörungswut extremer israelischer Siedler und ihren Hass auf Andersgläubige bekommt erneut die Brotvermehrungskirche am See Genezareth zu spüren. Politik und Zivilgesellschaft sind bestürzt über die Vorfälle. Doch die israelische Regierung unternimmt zu wenig, um diese Übergriffe zu stoppen, berichtet Kolja Brandtstedt.
Was bleibt ist der Brandgeruch, auch vier Tage nach dem Feuer liegt er noch in der Luft. Und ein Bekennerschreiben, das auf die Tat jüdischer Extremisten deutet: Graffitis in althebräischer Schrift zieren die Klosterwand: „Alle Götzenanbeter müssen vernichtet werden“. Das Zitat ist Teil des Tagesgebetes (Aleinu), das heutzutage nur noch von Ultraorthodoxen verwendet wird. Darin wird Gott ersucht, alle „falschen Götzen“ zu vernichten, wozu nicht nur Muslime, sondern eben auch Christen zählen. Die Vorkommnisse an der weltbekannten Brotvermehrungskirche, ein beliebtes Ziel von Pilgern und Touristen, idyllisch am Nordwestufer des Sees Genezareth gelegen, sind daher trauriger Ausdruck der kontinuierlichen Eskalation der Hassverbrechen gegen Religionsstätten in Israel.
Die Kirche an dem Ort, an dem laut Matthäusevangelium die Speisung der Fünftausend stattfand, fiel einem Brandanschlag zum Opfer. In der Nacht zum 18. Juni wurde an mehreren Stellen Feuer gelegt. Die Brandstiftung verursachte einen immensen Schaden im Atrium der Kirche und im Empfangsraum des Klosters, die von deutschen Benediktinermönchen verwaltet werden. Menschenleben wurden durch das Feuer in Gefahr gebracht; ein Mönch wurde bei dem Versuch, das Feuer zu löschen, leicht verletzt und eine Freiwillige kam mit Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus.
Erst am Morgen danach wurde das ganze Ausmaß der Zerstörung sichtbar: Nur die Steinwände des Atrium stehen noch, das Dach ist verbrannt. Die Kirche und ihre Mosaikböden aus der Zeit des Byzantinischen Reiches, darunter das weltberühmte Brot-und-Fisch-Mosaik, sind dem Feuer zum Glück nicht zum Opfer gefallen. Bereits am darauffolgenden Tag konnte die Heilige Messe erneut gefeiert werden. Während die Renovierung noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, hofft Pfarrer Ludger Bornemann, Rektor des benachbarten Pilgerhauses, dass die Kirche bald wieder für Besucher geöffnet werden kann. Pater Nikodemus Schnabel, Sprecher der mehrheitlich deutschen Benediktiner in Tabgha, sagt deutlich, dass dies nicht nur ein Anschlag auf die Christen und die Religion sei, sondern „ein Anschlag auf die Demokratie in Israel“.
Doch die Vertreter der Demokratie wehren sich. Nicht nur Politiker, sondern auch die Öffentlichkeit ist bestürzt über die Vorfälle in Tabgha. Solidarität kommt von überall, bereits am Morgen des 18. Juni kommen Vertreter aller Religionen zur Kirche. Der deutsche Botschafter Andreas Michaelis findet klare Worte: „Vorfälle dieser Art dürfen sich nicht wiederholen.“ Die Solidaritätsbekundungen gipfeln in einer großen Demonstration vier Tage nach dem Anschlag. Drei- bis viertausend zumeist christliche Israelis, mit Kreuzen und Vatikan-Flaggen bestückt, versammeln sich in Tabgha. Sie rufen zu friedlichem Zusammenleben auf. Dafür fordern die Plakate der Demonstranten von der Regierung und der Polizei ein entschiedeneres Durchgreifen gegen Vandalismus, eine rasche Aufklärung sowie gerechte Strafen. Gregory Collins, Abt der deutschsprachigen Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg in Jerusalem, sagt zu den Demonstranten: „Der Angriff auf die Kirche ist ein Angriff auf alle, die an eine Zivilisation der Liebe und der Koexistenz glauben.“
Das „Preisschild“-Phänomen
Eine ungeheure Form des Vandalismus bestürzt schon lange die israelische und internationale Öffentlichkeit: Meldungen über Anschläge auf Moscheen und Kirchen häufen sich. Zumeist verüben diese Angriffe national-religiöse jüdische Siedler unter dem Schlagwort Chag Me’ir (hebräisch für „price tag“/„Preisschild“). Nachdem Autos, Häuser oder Religionsstätten demoliert oder in Brand gesetzt wurden, fungieren die Schmäh-Graffitis als Bekennerschreiben. Diese „Preisschilder“ sind in Israel berühmt-berüchtigt. Man fand sie zunächst nach Angriffen auf palästinensische Autos, Häuser, Felder, Olivenbäume oder Moscheen in der Nähe von Siedlungen, infolgedessen es auch immer wieder zu Körperverletzungen kam.
Die Täter sind meist junge militante Siedler, die auch als „Hilltop Youth“ bezeichnet werden und oftmals aus der Siedlung Yitzhar, südlich von Nablus, stammen. Sie folgen den gewalt-verherrlichenden und rassistischen Aufrufen von Chabad-Rabbiner Yitzchak Ginsburgh, der einer chassidischen („die Frommen“) Gruppierung innerhalb des orthodoxen Judentums angehört und für seine umstrittenen Äußerungen gegenüber Nichtjuden bekannt ist. Die „price tag“-Bewegung, die keine nachweislichen organisatorischen Strukturen aufweist, hat ihren Ursprung demnach in der Siedlerbewegung und reicht bis in die 1970er-Jahre zurück.
Die radikalen Siedler richten ihren Hass primär gegen die palästinensische Bevölkerung. Diese solle „den Preis dafür bezahlen“, wenn sie Widerstand gegen die Besiedlung von Judäa und Samaria leistet, wie das Westjordanland in Anlehnung die jüdische Bibel bezeichnet wird. Doch zu den Zielen der Angriffe gehören immer häufiger auch christliche Einrichtungen, Siedlungsgegner und bisweilen israelische Sicherheitsbehörden. Es ist ein ebenso ideologischer wie gewalttätiger Kampf, geprägt von der Überzeugung, dass Gott den jüdischen Siedlern das Land versprochen habe, wobei insbesondere durch Brandanschläge Menschen zu schaden kommen.
Im Sommer 2014 wurde zuletzt der 16-jährige Mohammed Abu Khdeir grausam ermordet. Zuerst schlugen die Täter mit einer Eisenstange auf ihn ein, anschließend übergossen sie ihn mit Benzin und verbrannten ihn bei lebendigem Leib. Der Haupttäter, ein Bewohner der Adam-Siedlung (Geva Binyamin), nordwestlich von Jerusalem, und zwei weitere minderjährige Mittäter gestanden die Tat. Sie geschah aus Rache, kurz nach der Ermordung von drei israelischen Jugendlichen im Westjordanland. Die Liste der Übergriffe (oder bei Wikipedia, etwas aktueller) im Zuge der sogenannten „price tag“-policy, nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, wird so immer länger.
Ehud Barak: „Hausgemachter Terrorismus“
Bereits im Jahr 2012 sprach Ehud Barak, damals israelischer Verteidigungsminister, von „hausgemachtem Terrorismus“. Dabei sind auch immer häufiger Kirchen und christliche Einrichtungen das Ziel von Anschlägen, darunter auch die Verkündigungsbasilika in Nazareth. Auch auf die Brotvermehrungskirche wurde bereits ein Anschlag verübt, kurz vor dem Besuch von Papst Franziskus im Mai 2014. Christliche Symbole und Eigentum der Kirche wurden dabei beschädigt, eine Gruppe Jugendlicher bespuckte Pilger aus dem Ausland und bewarf sie mit Steinen.
„Ultranationalistische religiöse Kreise von jüdischer Seite machen mit den absurdesten Vorwürfen Stimmung: Der Papst käme, um Juden scharenweise zum katholischen Glauben zu bekehren, er wolle Jerusalem christianisieren und den jüdischen Charakter der Stadt beseitigen. Da wird mit Ängsten gespielt, was zu Gewalt führt“, erklärt Pater Nikodemus Schnabel, Pressesprecher der Dormitio-Abtei in Jerusalem, die Situation vor dem Papst Besuch. Die Dormitio-Abtei bekommt diese Aggressionen am eigenen Leib zu spüren, denn „Mönche werden angespuckt, beschimpft, Autoreifen werden aufgeschlitzt, Hassgraffitis gesprüht. ‚Jesus ist ein Hurensohn‘ oder ‚Tod den Christen‘ steht dann an Kirchen.“ Brenzlig wurde es auch Ende Mai 2014, als ebenfalls ein Brandanschlag verübt wurde, diesmal auf die Kirche der Dormitio-Abtei auf dem Jerusalemer Zions-Berg. Der Brandstifter gelangte in die Kirche, in deren unmittelbarer Umgebung sich der Papst zuvor aufhielt. Der Schaden hielt sich in Grenzen, da ein Mönch das Feuer rechtzeitig entdeckte und löschen konnte.
Die Organisation Rabbis for Human Rights hat 43 Hassverbrechen auf Kirchen, Moscheen und Klöster registriert, die in Israel, dem Westjordanland und Ost-Jerusalem seit dem Jahr 2009 begangen wurden. Oft wurden Verdächtige verhaftet, doch nur wenige Anklagen oder Verurteilungen folgten. Die israelische Zeitung Haaretz veröffentlichte Daten, wonach in den letzten vier Jahren 17 christliche und muslimische Einrichtungen in Brand gesteckt wurden. Doch allen Beweisen zum Trotz sind die Ermittlungen in jedem dieser Fälle im Sand verlaufen, Anklage Fehlanzeige. So wurden auch nach der Brandstiftung in der Brotvermehrungskirche 16 Verdächtige, zumeist minderjährige Siedler aus Yitzhar und dem nördlichen Westjordanland, vorläufig festgenommen und befragt. Doch dann wurden sie bereits nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Der Anwalt der Verdächtigen höhnte, dass „keine Beweise“ gegen seine Mandanten vorlägen.
Price Tag - eine terroristische Bewegung
Im Anschluss an die Äußerungen Ehud Baraks diskutierte das israelische Sicherheitskabinett dann 2013 über Maßnahmen zur Eindämmung des „hausgemachten Terrorismus“. Die Forderung von führenden Politikern, darunter Tzipi Livni (damalige Justizministerin), Yitzhak Aharonovich (damaliger Innenminister) und Joram Kohen (Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet), die Gruppen der militanten Siedler als terroristische Organisation einzustufen, lehnte Premierminister Netanjahu jedoch ab.
Während sich die Befürworter dieser Maßnahme dadurch einen Abschreckungseffekt erhofften, entschied sich Netanjahu für eine weichere Gangart und die Einstufung der Bewegung als „gesetzeswidrige Vereinigung“ („unlawful association“). Demnach können die Behörden Besitz, Grundeigentum und Bankkonten konfiszieren. Einen drastischeren Schritt wollten die Führer der Siedlerbewegung, Parteien wie HaBayit HaYehudi („Jüdisches Heim“) und Netanjahus eigene Regierung nicht dulden. Denn mit Naftali Bennet, aktuell Bildungsminister und Vorsitzender der Partei „Jüdisches Heim“, haben die Siedler einen treuen Fürsprecher in der Regierung.
Pater Schnabel: „Unwillen der politisch Verantwortlichen“
Pater Nikodemus Schnabel fragt sich indes, „warum diejenigen, die Anschläge verüben, so selten dingfest gemacht werden können. Das ist merkwürdig für einen Staat, der sonst berühmt ist für seine Sicherheitspolitik und für seine hervorragenden Geheimdienste. Wir erleben auch einen Unwillen der politisch Verantwortlichen, konsequent vorzugehen. Den kann ich nur damit erklären, dass momentan in der Regierung dezidierte Siedlerparteien vertreten sind. Deren Vertreter wollen ihre Stammwählerschaft natürlich nicht vergraulen, sie wollen ja wiedergewählt werden.“
Während vor zwei Jahren noch ernsthafte Bemühungen zur Bekämpfung des Phänomens auf dem Tisch lagen, geht die derzeitige Regierung bewusst nachlässig mit der Gefahr um, die von „price tags“ ausgeht. Auch Carmi Gillon, Schin-Bet-Chef zur Zeit der Ermordung von Yitzhak Rabin bekräftigt, dass der Geheimdienst die Preisschild-Aktivitäten in kürzester Zeit unterbinden könnte. Die Regierung habe aber nicht die Absicht dazu. „Wenn der Chef des Schin Bet beschließt, sich einer bestimmen Sache anzunehmen, dann wird es auch Ergebnisse geben. So wie im Fall des jüdischen Untergrunds – damals haben wir sie als Terrorgruppe behandelt.“ Pater Nikodemus Schnabel ist daher von den Reaktionen und der Solidarität aus der Zivilgesellschaft zwar berührt, doch vom israelischen Rechtsstaat tief enttäuscht, denn dieser dürfe „nicht tolerieren, dass es außerhalb von Militär und Polizei selbsternannte Ordnungshüter gibt, die selbst Gewalt anwenden“.
Die Politik betreibt ein gefährliches Spiel
Während die Übergriffe zunehmen und dem Ansehen Israels schaden, übt sich die Regierung in rhetorischen Beschwichtigungen. In seiner offiziellen Stellungnahme, die erst um 17 Uhr am Tag nach dem Angriff veröffentlicht wurde, verurteilt Netanjahu die Brandstiftung in Tabgha als „einen Angriff auf uns alle“. Es ist die Rede von einer schnellstmöglichen Untersuchung durch den Inlandsgeheimdienst, da die Aufklärung höchste Priorität genieße. Der Chef des Schin Bet, Joram Kohen, wird allerdings nicht sehr erfreut gewesen sein, dass Netanjahu gerade ihn, dessen Vorschlag zur Bekämpfung von „price tag“ Netanjahu 2013 abgelehnt hat, dazu benutzt, um jetzt seine Entschlossenheit zu demonstrieren. So sind mittlerweile zwei Jahre vergangen, seit Netanjahu vor dem Einfluss der Siedler eingeknickt ist, die Hassverbrechen unvermindert weiter gehen und Spannungen auf beiden Seiten der Grünen Linie verursachen. Die jüngsten Verbrechen werden daher zwar verurteilt, aber mehr geschieht nicht. Eher im Gegenteil, denn Netanjahus Äußerungen und die seiner Regierungsmitglieder heizen die Stimmung weiter an, bieten einen Nährboden für radikale Gruppen und können zu weiteren Übergriffen auf muslimische und christliche Einrichtungen, linke Aktivisten und israelische Sicherheitskräfte führen.
Die Joint List (oder hier bei den Times of Israel), die „Gemeinsame Liste“ der arabischen Parteien und Hadash, verurteilt die Brandstiftung in Tagbah und fordert die Regierung daher auf, die rechtsorientierten extremistischen Gruppen als terroristische Organisationen einzustufen. Ayman Odeh, der Vorsitzende der Joint List, machte klar, dass „dieser verabscheuungswürdige Akt kein Einzelfall ist; er ist Teil einer vorherrschenden Kultur des Hasses“. Die Parteivorsitzende der Meretz, Zehava Gal-On, wirft dem Ministerpräsidenten indes Untätigkeit vor: „Der Ministerpräsident mag zwar mit dem Chef des Schin Bet gesprochen haben, aber er ist mehr damit beschäftigt, die christliche Welt zu beruhigen. Es gibt keine wahren Willen, dieses Phänomen zu bekämpfen.“ Dies bestätigt auch die Aussage von Jessica Montell, Direktorin der Menschenrechtsorganisation B´Tselem: „Ich denke, es gibt ein ehrliches Interesse der Polizei, diese Taten zu verhindern und zu verfolgen. Doch von Regierungsseite ist kein Wille erkennbar, die Ursachen systematischer Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung anzugehen.“
So lange wie auf die rhetorischen Beschwichtigungen seitens der Regierung keine Taten folgen, werden die Hassverbrechen daher unvermindert weitergehen und unschuldige Menschen Opfer weiterer Übergriffe.
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