Türkische Medien haben ein Problem – nicht nur aufgrund des extrem niedrigen Niveaus der Pressefreiheit, sondern auch, weil die Medien voller Hass und Diskriminierung stecken. Eine türkische NGO arbeitet heraus, wer die häufigsten Opfer davon sind: Kurden, Christen und Juden. Das Projekt zeigt erste Erfolge – doch die Organisatoren bleiben skeptisch.
„… diese blutsaugenden Vampire, die sich in ihren Kirchen nach wie vor gegenseitig versprechen, türkisches Blut zu schlürfen, gemeinsam mit unseren Mördern, die sollten sich schämen. Warum sollte irgendjemand glauben, wir könnten mit diesen rassistischen Faschisten zusammenleben, die ihre Menschlichkeit zu einem Grad verloren haben, dass sie sogar sagen können: ‚Der beste Türke ist ein toter Türke‘?“
Diese Hasstirade gegen das griechische Volk fand sich im Mai 2012 in der ultrakonservativen türkischen Zeitung „Yeniçağ“. Doch eine solche Sprache findet immer wieder Eingang in türkische Tageszeitungen – alleine zwischen Mai und August 2012 zählte die türkische Hrant-Dink-Stiftung mehr als 100 Fälle von sogenannter „Hate Speech“, also diskriminierender Hetzrede (Vorurteile, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Parteilichkeit, Diskriminierung, Sexismus und Homophobie).
Die Stiftung ist nach dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink benannt, den 2007 nach monatelanger Medienhetze ein türkischer Nationalist ermordete. Seit 2009 untersucht die Stiftung in ihrem Projekt „Nefret Soylemi“, (deutsch: Hassrede), wie die türkischen Medien hetzen und wer davon betroffen ist. „Damals war das Konzept von Hate Speech in der Türkei noch sehr unbekannt. Aber vor allem dieses Projekt brachte das Thema an die Öffentlichkeit und entzündete eine große Diskussion darüber. Nun ist das Problem in der Türkei sehr weit oben auf der Agenda“, erklärt die Projektkoordinatorin Melisa Akan gegenüber Alsharq.
Dem deutschen Psychologen Rolf Haubl zufolge besteht Hate Speech ihrem Wahrheitsgehalt nach vor allem aus Stereotypen und Klischees. Menschen, die hassen, brauchen Sprache nicht, um sich argumentativ zu verständigen, da sie gar nicht argumentieren wollen (das würde voraussetzen, dass sie sich bewusst sind, dass sie auch irren können). Stattdessen dient Hasssprache der Hetze, ihr Ziel ist es also, andere zum „Mit-hassen“ zu motivieren.
Christen und ihre "Kreuzfahrermentalität"
Um die türkischen Medien ist es ohnehin schon schlecht bestellt: Die NGO „Reporter ohne Grenzen“ listet das Land in ihrem Index der Pressefreiheit auf Rang 148 (von 179 Staaten), zwischen Malawi und dem bandenkriegsgeschüttelten Mexiko. Bei „Freedom House“ rangiert das Land mit 55 Punkten (0=ganz frei, 100=gar nicht frei) immerhin auf Platz 117 (von 197 Staaten), die Presse sei „teilweise frei“, so die Organisation. Grund für diese problematischen Zahlen aus dem Jahr 2011 sind willkürliche Inhaftierungen und Telefonüberwachungen von vor allem kurdenfreundlichen Journalisten sowie die Missachtung des Quellenschutzes seitens der türkischen Regierung. Allerdings, sagt Akan, sei dies eine von Hate Speech unabhängige Entwicklung: „Die Journalisten, die Hate Speech verbreiten, das ist ein ganz anderer Schlag Menschen als diejenigen, die von der Politik verfolgt werden.“ Hate Speech stammt damit in aller Regel aus dem rechtskonservativen, nationalistischen Spektrum. Daher sei es auch kein Fall von vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Regierung, wenn die Medien gegen Kurden hetzen, im Gegenteil: „Große Teile der Hate Speech, die wir registrieren, kritisiert die Regierung sehr scharf aufgrund ihrer Pro-EU-Politik und wirft Erdogan vor, ein Sklave des Westens zu sein, der das Land an den Westen verkauft“, erklärt Akan.
In nationalistischen türkischen Kreisen gilt, so Akan, auch heute noch das Stereotyp des „sunnitischen Türken“ - dementsprechend richtet sich auch laut dem neuesten Bericht die überwältigende Mehrheit der registrierten Hetzrede gegen die Gruppen, die diesem Bild nicht entsprechen und daher für die Nationalisten die „Waffen des Westens innerhalb der Türkei“ darstellen: Armenier (39 Prozent), Christen (36 Prozent), Juden (36 Prozent, Doppelungen sind möglich). Besonders Christen, egal ob innerhalb der Türkei oder außerhalb, sind oftmals Zielscheibe von offenem Rassismus: Laut manchen türkischen Medien haben Christen eine „Kreuzfahrermentalität“, dementsprechend falle es den bösartigen Feinden EU und USA leicht, diese „Feinde von innen“ für ihre Zwecke zu benutzen. So herrscht nach Ansicht der Hrant-Dink-Stiftung in vielen türkischen Medien seit Jahren ein nationalistischer und diskriminierender Diskurs, der letztendlich die Gesellschaft spaltet.
Der Rückgang an offener Hetze kann auch problematisch sein
Aber auch die Stiftung selbst ist ein beliebtes Ziel der Angriffe der Journalistinnen und Journalisten, besonders, wenn sie deren Texte zur Hetzrede erklärt. Angriffspunkte bietet sie genug – schon allein aufgrund ihres Namens gilt die Stiftung als Vertreterin der Armenischen Bevölkerung, außerdem erhält sie einen Großteil ihres Geldes aus dem Westen, etwa von der britischen Botschaft oder der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.
Am meisten Sorgen bereitet den Organisatorinnen und Organisatoren von „Nefret Soylemi“ aber der steigende Anteil der Hetzrede gegen die Kurden in der Türkei. Die Diskriminierung der Kurden fällt formal meistens unter „freie Meinungsäußerung“, weil sich die Hetze vor allem gegen politische Parteien richtet und nicht gegen Bevölkerungsgruppen. Damit kann sie die Stiftung auch nicht in ihren Berichten erfassen, und dementsprechend gibt es im nationalistischen Diskurs auch kein „Kurden-Problem“, sondern ein „PKK-Problem“. Denn in dem verzerrten Weltbild der rechten Medien können Kurden als Muslime unmöglich Feinde der Türkei sein, da gute Muslime die Türkei unterstützen; daher sind es zwangsläufig Armenier, Christen oder Juden, die diese „Terror-Organisation“ anführen.
Demzufolge ist der starke Rückgang an „Hate Speech“ seit dem Start des Projekts vor drei Jahren auch nicht zwangsläufig eine positive Entwicklung, sagt Melisa Akan: „Die Mainstream-Medien sind vorsichtig geworden, welche Art von Sprache sie benutzen. Sie wollen nicht als diejenigen dastehen, die mit Hass um sich werfen, die Feindseligkeit ist daher sehr viel subtiler. Allerdings kann diese professionelle Diskriminierung sehr viel effektiver wirken als offene Anfeindungen.“
Viele Medienmacher verfolgten mittlerweile aufmerksam und kommentierten es entsprechend, ob sie Teil der alle vier Monate erscheinenden Berichte der Hrant-Dink-Stiftung seien. Um ein differenzierteres Bild von der weiterhin hetzenden Berichterstattung in den Medien zu erhalten, plane die Stiftung im kommenden Jahr, auch die subtile Diskriminierung verstärkt zu untersuchen, denn, so Akan: „Wir wollen uns ganz bestimmt nicht in der Position wiederfinden, in der wir die Sprache der Mainstream-Medien gutheißen.“