27.03.2024
Rezension: Mit Mosab Abu Toha dem deutschen Schweigen entkommen
Der palästinensische Dichter Mosab Abu Toha steht vor einem prall gefüllten Bücherregal. Credit: Courtesy of City Lights Books
Der palästinensische Dichter Mosab Abu Toha steht vor einem prall gefüllten Bücherregal. Credit: Courtesy of City Lights Books

Im Lyrikband „Things You May Find Hidden In My Ear“ erzählt der palästinensische Dichter Mosab Abu Toha von seinem Leben in Gaza.  Als er im November 2023 in israelische Gefangenschaft entführt wird, findet unser Autor Zuflucht in seinen Texten. 

Dies ist ein Beitrag unserer Reihe Re:zension. Hier stellen wir regelmäßig Bücher und Filme vor. Wenn Ihr Vorschläge für solche Werke habt oder mitmachen wollt, schreibt uns gerne an [email protected].

Ich bin mir nicht mehr sicher, wann mir Abu Tohas Buch in den Sinn kam. Möglicherweise, als er online an seinen getöteten Freund, den Professor und Poeten Refaat Alareer erinnerte, dessen Gedicht über einen Drachen, der seine Geschichte in die Welt tragen soll, berühmt wurde. Oder stieß ich auf seine Poesie, nachdem seine Gefangenschaft durch das israelische Militär auf englischsprachigen Medien diskutiert wurde? 

Abu Toha war auf der Flucht in den Süden Gazas, als das israelische Militär ihn eigenen Angaben zufolge im November 2023 gezielt aus einer Menschenmenge rausgriff und in ein Gefängnis verschleppte. Nach einigen Tagen und internationalem Druck von Nichtregierungsorganisationen wie PEN International und bekannten Autor:innen, wurde der Dichter freigelassen und konnte mit seiner Familie nach Ägypten fliehen. 

Gaza durch Abu Tohas Augen

Erzählungen lassen sich nicht von den Menschen trennen, die sie erzählen. Bei Abu Toha wird mir das wieder deutlich. Am Anfang des Gedichtbands steht das Langgedicht Palestine A-Z. Darin findet der Dichter für jeden Buchstaben des lateinischen Alphabets Bilder, die sein Leben in Gaza beschreiben. Dabei leiht er sich Worte seiner Freund:innen aus und erinnert mit uns gemeinsam an die Verstorbenen. Vielleicht ist es sein Versuch, uns das Schreiben in und über Gaza unter Besatzung und ständiger Bedrohung näher zu bringen: 

Das Schreiben wird Teil der Besatzung. Der Körper legt unausweichlich Zeug:innenschaft ab. Abu Toha erläutert, dass sich Lyrik für ihn keinen Regeln beugen dürfe, und weist auf den arabischen Stamm des Wortes hin. Sha’ir (شِعْر) verweise eher auf ein Gefühl als auf eine feste Struktur. So entzieht er sich auch der klassischen arabischen Dichtung und interpretiert Poesie als eine bewegliche Idee. 

Die Edward Said-Bibliothek

Die seit dem 7. Oktober regelmäßig dokumentierten Angriffe des israelischen Militärs auf Bibliotheken, Archive, Universitäten und Schulen, richten sich auch gegen die von Abu Toha 2019 gegründete Edward Said-Bibliothek. Es ist die erste englischsprachige Bibliothek in Gaza, benannt nach dem berühmten palästinensischen Denker Edward Said. Über ihren derzeitigen Zustand liegen keine genauen Informationen vor.  Mit der Bibliothek könnten über 2000 Bücher zerstört worden sein und ein Ort, der viel mehr war als eine Ansammlung von Bücherregalen: In Workshops und Veranstaltungen schaffte die Bildungsinstitution regelmäßig Räume zur Traumabewältigung für Kinder und Jugendliche.

Ein wichtiger Teil der Arbeit von Abu Toha und dem Team der Bücherei ist das Archivieren von Wissen, auch das über palästinensische Gegenwart und Geschichte. Abu Toha betonte die Lebendigkeit seiner Texte selbst gegenüber dem US-Magazin The New Yorker: „Seit ich das letzte mal meine eigene Lyrik gelesen habe, habe ich viele neue Gedichte gelebt, die noch aufgeschrieben werden müssen.“ 

Dort reflektierte er auch, dass seine Freilassung am 4. Dezember 2023 aus der Folter des israelischen Militärs womöglich mit seinen vielen internationalen Freundschaften zusammenhänge. Er konnte mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Ägypten fliehen, zu verdanken war das vor allem der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft seines jüngsten Sohnes. Abu Toha quält die Frage, was mit den anderen Palästinenser:innen geschieht, die aufgrund falscher Behauptungen verschleppt worden sind und niemanden im Ausland haben, der:die für sie Artikel schreibt.

Gedichte als Zeug:innenschaft

Wenn ich mir Reportagen und Interviews mit Abu Toha durchlese, betont er immer wieder die Zeug:innenschaft, die sein Körper trägt. Seitdem ich seinen Lyrikband habe, schlage ich immer wieder nach und suche nach Worten für die Gewalt, die Palästinenser:innen in Gaza erleben müssen. Ich suche in den Worten das, was ich im dröhnenden Schweigen der Menschen um mich vermisse. 

In seinem Gedichtband finden Leser:innen Widmungen an Edward Said, Mahmoud Darwisch, Ghassan Kanafani, Audre Lord und andere, die die Lyrik vieler Schreibenden prägen. Manchmal lehnt er sich an ihren Stil an, andere Male schreibt er über die Protagonist:innen ihrer Geschichten. Nur wenige palästinensische Autor:innen sind so dicht ins Deutsche übersetzt wie Ghassan Kanafani. Der 1972 vom israelischen Auslandsgeheimdienst im Libanon ermordete Autor, wurde mit seinem Kurzroman „Männer in der Sonne“ berühmt. Die Protagonisten verstecken sich in einem Wassertank, um aus Palästina zu fliehen. Im Gedicht „Desert and Exile“ spricht Abu Toha genau diese Männer in der Sonne an und schreibt: 

 

Ich erinnere mich an mein erstes Semester zurück, als ich Kanafanis Texte im Studium kennenlernte und auch ich mich fragte: Warum klopft ihr nicht? Jetzt klopfen Zehntausende und die Frage scheint mir ironisch, fast schon zynisch. 

Wir lernen viel über das Leben von Abu Toha in Gaza. Nicht die Sonne liebt er, sondern den Regen. Er sagt, er wurde während starken Regens geboren und das seine Laune bis heute besser wird, wenn die ersten Tropfen auf dem Boden aufschlagen. Viele seiner Gedichte werden von einer Traurigkeit begleitet. Nicht verwunderlich, bei einem Leben inmitten von Besatzung und Unterdrückung. Er reflektiert, dass es ihm leichter falle, aus der Distanz über Gaza zu schreiben. Ein Abstand, der sich aufgrund von Staatslogiken nur selten erreichen lässt. Zwischen der Traurigkeit findet Abu Toha jedoch Momente eines zarten Glücks und erinnert uns daran, dass Gaza an jeder Ecke vor Schönheit strotzt: 

Im Interview am Ende des Lyrikbandes thematisiert Abu Toha die heilende Wirkung von Lyrik, die beim „Verbennen der Albträume“ helfe. Die Gedichte ziehen sich über Jahre, Abu Toha verliert enge Freund:innen, sein Zuhause, seine Kindheit. All das findet Einzug in seine Dichtkunst, so werden die Kriege zu Erinnerungsankern. Doch sein Schreiben lässt sich nicht auf den Schmerz reduzieren – in seinen Worten findet sich so viel Zärtlichkeit und Hoffnung auf ein freies Palästina. Ein grandioser junger Autor, den jede:r kennen sollte. 

Mosab Abu Toha: Things You May Find Hidden in my EarCity Lights Publishers, 2022, 126 Seiten, ca. 16 Euro

 

 

 

 

 

Armin Djamali kuratiert, sowie lektoriert Buch- und Magazinprojekte. Bei copwatchffm organisiert er sich aktivistisch gegen rassistische Polizeigewalt und Racial Profiling. In seiner Arbeit interessieren ihn die Verbindungen von revolutionären Bewegungen und Kunst. 
Redigiert von Dorian Jimch, Hanna Fecht