21.01.2024
Palästinas Exilmuseen: Gründung unter widrigen Umständen
Kollektives Gemälde aus Gaza. Es repräsentiert das imaginäre Museum, das in einer Wolke schwebt. Bild: Claire DT
Kollektives Gemälde aus Gaza. Es repräsentiert das imaginäre Museum, das in einer Wolke schwebt. Bild: Claire DT

Exilmuseen besitzen eine eigene Sammlung, aber keine Adresse. Dennoch verfügen sie über Ausstellungen. In Paris fand kürzlich eine solche Ausstellung zu Palästina statt – dis:orient war vor Ort.

Die Ausstellung „Ce que la Palestine apporte au monde“ (dt.: Was Palästina zur Welt beiträgt) fand am Institut du monde arabe (dt.: Institut der arabischen Welt) in Paris, Frankreich, vom 31. Mai bis zum 31. Dezember 2023 statt. Dort konnten Besucher:innen gestiftete Werke aus aller Welt betrachten. Einige der Kreationen stammten von Künstler:innen aus Europa und Lateinamerika, insbesondere aber aus Maghreb und Maschrek sowie von palästinensischen Künstler:innen im Exil. Ein Kunstwerk stach dabei aus der Menge hervor: ein Gemälde, das durch ein Kollektiv von 14 palästinensischen Künstler:innen während eines Workshops im Gazastreifen entstand. 

Zoom auf das  kollektive Gemälde, dass während des „Wolkenateliers“ in Gaza entstand. Bild: Claire DT.

 

Das Sahab Museum und „L’Atelier du nuage“

Das Kunstwerk zeigt eine Wolke in verschiedenen Blautönen mit einem grauen Betongebäude in der Mitte. Das Gebäude hat keine Wände. Die Treppenstufen, die Etagen und das Dach schweben frei in der Luft. Verteilt auf den Stufen und den verschiedenen Stockwerken sind ganz klein und in bunter Kleidung Menschen zu sehen. Das Gemälde ist ungefähr eineinhalb Meter hoch und drei Meter lang und besteht aus 18 zusammengenähten Vierecken.

Das Kunstwerk  entstand  im Frühjahr 2023 in einer Kunstgalerie in Gaza-Stadt auf Initiative des Hawaf Kollektivs. Das Kollektiv hatte lokale Künstler:innen zu einem Workshop mit dem Titel „L’Atelier du nuage“ (dt.: Wolkenatelier) eingeladen, um das erste Kunstwerk des Sahab Museums (dt.: Wolkenmuseum) zu entwerfen, das sich im Entstehungsprozess befindet. In Anlehnung daran stellt das Gemälde ein imaginäres Museum dar, das die Träume der Künstler:innen repräsentiert und die Einsamkeit des Gazastreifens durchbricht. Bis heute hat das Sahab Museum kein zu Hause gefunden. Es ist ein Museum im Exil.

Exilmuseen

Auch das Musée national d‘art moderne et contemporain de la Palestine (dt.: Palästinensisches Nationalmuseum für moderne und zeitgenössische Kunst; folgend Musée) ist ein Exilmuseum, das es noch nicht gibt und keine Anschrift hat. Trotzdem besitzen sowohl das Sahab Museum als auch das Musée eine eigene Sammlung.

Das Sahab Museum ist ein digitales Museum. Die blaue Wolke des Gemäldes stellt also nicht nur das imaginierte Museum des Hawaf Kollektivs dar, sondern auch die Cloud, auf der die Sammlung des Museums liegt. Es handelt sich um eine solidarische Sammlung. Die Workshop Teilnehmenden wurden gebeten ein Kunstwerk, einen Artefakt oder Alltagsgegenstand auszusuchen und es dem Museum zu stiften. Danach erfolgte die Digitalisierung der Spenden, die mit Hilfe von Augmented Reality für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.

Algier, Sarajevo und Santiago de Chile

Solidarische und kollektive Sammlungen gibt es bereits einige auf der Welt. Die Idee dahinter ist, dass internationale Künstler:innen Kunstwerke für ein künftiges Museum stiften, das zu dem Zeitpunkt noch nicht existieren kann. Die Kunstwerke wandern dann von Museen und Kunstgalerien zu Gemeinschaftsräumen weltweit oder sind digital zugänglich.

Eine solche Sammlung entstand 1963 nach dem algerischen Unabhängigkeitskrieg durch das Projekt des Musée public national d‘Art moderne et contemporain d‘Alger (dt.: Öffentliches Nationalmuseum für moderne und zeitgenössische Kunst in Algier). 2007 bekam das Museum schließlich ein Gebäude. Auch das Museo de la Solidaridad Salvador Allende (dt.: Museum der Solidarität Salvador Allende) in Santiago de Chile basiert auf einer solidarischen Sammlung von Künstler:innen, die den Widerstand des chilenischen Volks gegen die Pinochet-Diktatur unterstützten. Das Museum musste 17 Jahre auf sein Gebäude warten. Ein weiteres Beispiel ist das „Ars Aevi“ Projekt, das während des Bosnienkrieges und der Belagerung Sarajevos 1992 entstand. Im Sinne des kulturellen Widerstands wurden dabei Kunstwerke gestiftet, die über die Jahre hinweg ihren Weg in Ausstellungen außerhalb Sarajevos fanden. Seit 2002 ist das von Italien finanzierte Museumsgegäude im Bauprozess.

 Wer solidarisch gegen die Besatzung ist, spendet ein Kunstwerk

2015 kam erstmals eine solidarische Sammlung für Palästina ins Gespräch durch den französischen Künstler Ernest Pignon-Ernest. Dieser hatte schon Anfang der 1980er-Jahre ein ähnliches Projekt „Kunst gegen Apartheid“ für Südafrika gegründet und sich in anderen politischen Kontexten engagiert, zum Beispiel gegen den Algerienkrieg oder für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Ernest Pignon-Ernest war es also, der sagte: „Wer solidarisch gegen die Besatzung ist, spendet ein Kunstwerk“.

Um seinem  Aufruf gerecht zu werden, gründete 2016 Jack Lang,  Präsident des Institut du monde arabe und ehemaliger französischer Kulturminister, zusammen mit Elias Sanbar, UNESCO Botschafter Palästinas, den Verein Association d‘Art moderne et contemporain en Palestine (dt.: Verein für moderne und zeitgenössische Kunst Palästinas). Die Aufgabe des Vereins sollte die Gründung des Museums und die öffentliche Zugänglichkeit der Sammlung umfassen. Enerst Pignon-Ernest wurde Koordinator der Sammlung, die im Institut du monde arabe in Paris aufbewahrt wird bis das Musée national d’Art moderne et contemporain de la Palestine über geeignete Räumlichkeiten in Ostjerusalem verfügt, der Hauptstadt Palästinas.

Die erste Ausstellung fand 2017 statt. Die aktuellste „Ce que la Palestine apporte au monde“ endete am 31. Dezember 2023 in Paris, wo die Besucher:innen das Kollektivgemälde des Sahab Museums aus dem Gazastreifen bestaunen konnten.

 

Claire studierte in Berlin, Paris, Montréal und Tel Aviv Sozialwissenschaften mit einem Schwerpunkt in Rechtswissenschaften. Sie recherchierte und arbeitete viel zu Grundrechten in Demokratien und den israelisch-palästinensischen Konflikt. 
Redigiert von Vanessa Barisch, Bruna Rohling