Als darstellender Straßenkünstler möchte Ehsan Yousefi Nasab Kunst für mehr Menschen zugänglich machen und gleichzeitig der Millionenmetropole Teheran zu einer kulturellen Identität verhelfen. Die Stadt habe ein ungeheuer kreatives Potential, sagt er im Interview mit Marlene Dunkel.
Alsharq: Ehsan, seit vier Jahren bist du in Teheran als darstellender Straßenkünstler unterwegs. Was treibt dich dazu, die Straße als deine Bühne zu nutzen?
Ehsan Yousefi Nasab: Ich denke, dass jede Stadt eine Kultur hat, durch die sie sich repräsentiert. In Großstädten jedoch, wie Teheran, geht die Kultur unter all den Menschen verloren. Es gibt hier so viele verschiedene Lebensweisen, die nicht immer miteinander vereinbar und deshalb im öffentlichen Bereich nicht sichtbar sind. Dabei ist es gerade wichtig, dass wir unsere verschiedenen Lebensweisen zeigen und in Dialog miteinander bringen. Straßenkunst ist für mich ein Weg, mich anderen Menschen zu präsentieren und so Reaktionen hervorzurufen.
Welche Reaktionen hast du bisher erhalten?
Überraschung, Befremdung. Die Menschen waren es nicht gewohnt, dass jemand auf der Straße jonglierte oder pantomimische Darstellungen gab. Sie hielten mich für verrückt.
Straßenkunst ist in Teheran also nicht üblich?
Darstellende Straßenkunst nicht, nein. Straßenmusik ist etwas mehr verbreitet, allerdings auch erst seit etwa zwei Jahren. Zuvor war das noch verboten.
Am kommenden Montag beginnt in Teheran das 19. International Iranian Festival of University Theater, das von und für Studierende und Lehrende nationaler und internationaler Theaterfakultäten veranstaltet wird. Künstler_innen aus sechs verschiedenen Ländern werden an den Performances und Workshops teilnehmen. Du wirst im Rahmen dieser Veranstaltung eine Straßenperformance organisieren. Um was geht es dabei?
Nun, es geht im Grunde wieder darum, mit den Leuten auf der Straße in Kontakt zu treten. Allerdings werden wir uns bei dieser Performance vom klassischen Theater abwenden und neue, experimentelle Kunstformen anwenden, vor allem Mixed Media. Das heißt wir arbeiten zum Beispiel mit Videoart und elektronischer Musik. Ehrlich gesagt ist es ein wenig schwer, das Projekt genau zu erklären. Auch, weil wir die Performance nie geprobt haben. Es machen etwa 20 Leute bei dem Projekt mit. Ich kenne sie alle natürlich und auch ihre künstlerischen Tätigkeiten. Aber ich weiß nicht, was genau sie bei der Performance machen werden.
Das heißt, du weißt eigentlich nicht was passieren wird?
Ich will es gar nicht wissen. Für mich geht es nicht um die Performance der Künstler_innen selbst, sondern um die Reaktion des Publikums auf diese Performance. Weißt du, diese Art der Kunst, die wir zeigen werden ist eine Untergrundkunst. Die meisten Menschen in Teheran kennen sie nicht. Sie werden also mit etwas völlig unbekanntem konfrontiert werden.
Es handelt sich also um eine Untergrundkunst, die an die Oberfläche drängt?
Genau. In Teheran hat sich in den letzten Jahren ein ungeheuer kreatives Potential aufgebaut. Durch politische und gesellschaftliche Restriktionen blieb es jedoch aus dem öffentlichen Bereich verdrängt. Es war schwierig für uns, denn selbst wenn wir keine politische Kunst machten, sondern nur Kunst um der Kunst willen, so war unser Schaffen doch immer gefährlich. Ich habe mich im Untergrund nie wohl gefühlt. Seit Barjam (Anm.d.R.: das Atomabkommen) hat sich die Situation jedoch verändert und die aufgestaute Kreativität wird nun sichtbar. Es ist eine ungemein dynamische Atmosphäre momentan, die auch hoffentlich weiter wachsen wird.
Was denkst du, wie die Passanten auf diese unbekannten Kunstformen eurer Performance reagieren werden?
Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Ich hoffe, dass sie ihr nicht nur Beachtung schenken, sondern sogar mitmachen, in Interaktion mit den Künstler_innen treten. Es wäre ein Traum, wenn ein paar Menschen anfangen würden, zu der elektronischen Musik zu tanzen. In meinen Augen muss Kunst zugänglicher werden. In Teheran ist es leider so, dass nur ein kleiner Teil der Gesellschaft Kunst produziert und wiederum reproduziert. Schauspieler_innen gehen in Kunstgalerien, Musiker_innen ins Theater. Aber der allergrößte Teil der Bevölkerung bleibt davon ausgeschlossen. Sie haben keinerlei Beziehung zu Kunst, insbesondere zu den neueren experimentellen Kunstformen. Die Straße als Bühne ist also ein Mittel zum Zweck: Ich möchte mehr Menschen in den kunstschaffenden Prozess integrieren und gleichzeitig neue Kunstformen den Menschen näher bringen.
Wenn das Projekt erfolgreich ist, was wird dein nächster Schritt sein?
Dann werde ich die Performance in einer Kunstgalerie zeigen.
Widerspricht das nicht deinem Prinzip, die Kunst weg aus den Galerien und mehr in die Mitte der Gesellschaft zu bringen?
Ja, eigentlich schon. Aber ich möchte auch aus dem Projekt lernen und meine Erfahrungen mit anderen Künstler_innen teilen, sodass diese vielleicht ähnliche Projekte starten. Die Performance wird auch gefilmt werden und das Filmmaterial werde ich im Anschluss auswerten, um aus den Reaktionen der Menschen zu lernen. Für mich ist diese Performance auch ein gesellschaftliches Forschungsprojekt: Sie wird stetig weiter entwickelt werden und letztlich wieder auf der Straße landen.
Vielen Dank für das Gespräch!