15.09.2025
So kam der Mate-Tee nach Syrien
Das Blatt des Mate-Tees, aus dessen Aufguss das traditionelle Getränk zubereitet wird. Foto: Wikimedia Commons
Das Blatt des Mate-Tees, aus dessen Aufguss das traditionelle Getränk zubereitet wird. Foto: Wikimedia Commons

In Syrien gilt Mate als ein Symbol kultureller Identität – dabei kommt er ursprünglich aus Südamerika. Die Wurzeln dieser Verbindung reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück, als syrische Migrant:innen nach Argentinien auswanderten.

Mate ist mittlerweile so tief in der syrischen Gesellschaft verankert, dass er gelegentlich fälschlicherweise als typisch arabisch gelesen wird. 2019 setzte die Zentralbank Syriens den Tee angesichts der Wirtschaftssanktionen gegen das Assad-Regime sogar auf die Liste grundlegend notwendiger Importgüter. 81 Prozent der Menschen in Syrien werten Yerba Mate laut einer Studie sogar als integralen Bestandteil ihres kulturellen Erbes. 

Das INYM, das Instituto Nacional de la Yerba Mate, listete Syrien 2024 mit über 31 Tausend Tonnen als den größten Importeur von argentinischem Yerba-Mate. Chile folgt mit großem Abstand und 3.600 Tonnen auf Platz zwei. Wie Yerba Mate Argentina, das zum INYM gehört, auf seiner Homepage schreibt, kamen im 19. Jahrhundert viele Syrer:innen nach Argentinien. Dort verliebten sie sich in die Gewohnheit des Mate-Trinkens und integrierten das Ritual bei ihrer Rückkehr nach Syrien in ihren Alltag. 

Ursprünglich kommt Mate aus Südamerika und wurde dort schon vor der Kolonialzeit von indigenen Bevölkerungsgruppen als Getränk entdeckt. Sie betrachteten ihn aufgrund seiner positiven Wirkung als ein Geschenk der Götter. Doch wieso wanderten so viele Syrer:innen nach Südamerika aus, dass ihre Rückkehr mit Mate im Gepäck einen so tiefgreifenden Einfluss hatte?

Von Syrien nach Südamerika und zurück

Die Migration von Menschen aus dem heutigen Syrien (bis 1918 noch Teil des Osmanischen Reichs) nach Argentinien lässt sich zwischen 1860 und 1974 in drei Wellenbewegungen einteilen:

1860-1920

Bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren bereits rund 400.000 Menschen aus der arabischen Welt in ganz Südamerika ansässig; davon 46 Prozent, also etwa 184.000, in Argentinien. Sie wanderten aus verschiedenen Gründen aus dem Gebiet des heutigen Syriens und Libanons nach Südamerika aus. Ein zentrales Motiv war das starke Bevölkerungswachstum, welches das Verhältnis zwischen Menschen und verfügbaren Ressourcen zunehmend aus dem Gleichgewicht brachte. Hinzu kamen wirtschaftliche Krisen, Dürren und weitverbreitete Armut. Die Lage wurde außerdem durch sektiererisch geprägte Massaker im Libanongebirge und in Damaskus erheblich verschärft, die ihren traurigen Höhepunkt im Jahr 1860 fanden. 

Mit dem Eintritt des Osmanischen Reichs in den Ersten Weltkrieg an der Seite Deutschlands im Jahr 1914 blockierten die Alliierten seine Küstenregionen – eine Maßnahme, die nicht nur zu einer verheerenden Hungersnot führte, sondern eine legale Ausreise für die meisten unmöglich machte. 

Ein Großteil der schon in Südamerika lebenden Migrant:innen war dem Versprechen von wirtschaftlichem Wohlstand gefolgt; sie wollten Geld verdienen und mit diesem in ihre Heimat zurückkehren. Argentinien erlebte zu dieser Zeit einen ökonomischen Aufschwung, war auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen und zeigte sich mit einer offenen Einwanderungspolitik empfänglich für Zuwanderung. Studien belegen, dass rund 68 Prozent der frühen Immigrant:innen männlich waren – überwiegend ledig und durchschnittlich Mitte 20; nur etwa 12 Prozent migrierten mit Familienmitgliedern. 

2021 erinnerte sich ein 49-jähriger Syrer: „Mein Großvater ging 1915 nach Südamerika, um vor dem Ersten Weltkrieg zu fliehen. 1938 kehrte er aus Argentinien zurück und brachte einen großen Sack (ca. 50 Kilogramm) Yerba Mate mit, ich glaube, das war das erste Mal, dass Yerba Mate in unser Dorf kam.“

1920-1945

In Brasilien lebten Anfang der 1920er-Jahre zwischen 80.000 und 100.000 Menschen syrischer Herkunft. Nach dem endgültigen Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und der anschließenden Aufteilung von Bilad al-Sham in Mandatsgebiete ab 1922 nahm die Migration nach Südamerika weiter zu.

In den Aufnahmeländern bildeten sich zunehmend syrisch-libanesische Gemeinschaften. Diese Netzwerke stärkten nicht nur die soziale Bindung zwischen den Migrant:innen, sondern trugen auch zur Sichtbarkeit innerhalb der Gesellschaft bei. In diesem Zusammenhang entstanden Migrationsketten, das heißt, Angehörige und Bekannte nutzten ihre Kontakte ins Ausland und zogen hinterher.

Bemerkenswert ist, wie schnell Mate in Syrien beliebt wurde. Bereits 1936 belegte das Land mit fast 40 Tonnen den zweiten Platz unter den weltweiten Abnehmer:innen von argentinischem Mate.

1945-1974

Ausgewanderte Syrer:innen hatten sich früh für die Unabhängigkeit ihres Heimatlandes von der französischen Kolonialmacht eingesetzt. Als diese 1946 gewonnen war, bemühte sich die neue Regierung darum, die im Ausland lebenden Syrer:innen wieder stärker an Syrien zu binden. Denn die Abwanderung zahlreicher junger Menschen in den Jahren zuvor hatte für Syrien und den Libanon spürbare Folgen: Es mangelte an Arbeitskräften und dringend benötigten wirtschaftlichen Investitionen.

Doch der Libanonkrieg von 1958 führte zu einer neuen Migrationsbewegung. Viele Syrer:innen und Libanes:innen sahen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Argentinien wurde als Zielland jedoch zunehmend unattraktiv, da sich dort die politische und wirtschaftliche Lage verschlechterte. Die Migration verlagerte sich daher in Richtung USA, Kanada, Australien und Kuwait.

In den 1970er-Jahren kehrte schließlich eine beträchtliche Zahl von Migrant:innen nach Syrien und in den Libanon zurück. Argentinien war inzwischen eine Militärdiktatur. Tausende Menschen wurden verfolgt, inhaftiert, gefoltert oder ermordet – Schicksale, die Syrer:innen heute nur allzu gut kennen. 

In dieser Phase verzeichnete der Mate-Export nach Syrien und in den Libanon seinen stärksten Anstieg. Wenn auch wieder in der Heimat, wo unter Hafiz al-Assad ebenfalls eine neue Ära anbrach, wollten die Rückkehrer:innen nicht mehr auf ihren Mate-Tee verzichten. 

Das Private ist politisch – auch Mate?

Unter Baschar al-Assad galt Mate nach 2011 zum Teil als politisches Getränk. Da er selbst sowie viele seiner Anhänger:innen Mate tranken, wurde dies von einigen Syrer:innen als Symbol der Regimetreue gewertet. 

2019 gab es gar einen Skandal um den syrischen Mate-Tee: saudische Behörden beschlagnahmten 19.264.000 Pillen Captagon, eine synthetische Droge, die in Mateverpackungen der Marke Kharta über die Grenze geschmuggelt werden sollten. Kharta ist ein Produkt der Kabour International Group, dem Hauptvertreiber von Mate in Syrien. In einem offiziellen Statement reagierte das Unternehmen auf die Vorwürfe und erklärte, der Missbrauch ihrer Verpackungen im Kontext von Drogenschmuggel beschädige den internationalen Ruf der Marke erheblich.

Nach 2018/2019 hat sich Syrien zum weltweit größten Produzenten von Captagon entwickelt, das zuvor hauptsächlich als Aufputschmittel für syrische Kämpfer gedient hatte. Der illegale internationale Schmuggel, insbesondere in die wohlhabenden Golfstaaten, wurde bis 2024 zur zentralen Finanzquelle des Assad-Regimes.

Für Argentinien bedeutet der Machtwechsel in Syrien im Dezember 2024 nun eine gewisse Unsicherheit im Export: Wirtschaftliche (Ent-)Spannungen, wie die kürzlich aufgehobenen Sanktionen der USA und der EU könnten zur Folge haben, dass Mate nun nicht mehr als lebensnotwendiges Gut gilt und daher insgesamt weniger importiert wird, oder dass sich der syrische Mate-Markt diversifiziert. 

Auf die grundlegende Mate-Liebe von Syrer:innen wird der Regimesturz wohl kaum einen Einfluss haben. Im Gegenteil: Jetzt ist die Zeit, bei einem oder auch vielen Gläsern Mate zusammenzusitzen, wenn sich Familien und Freund:innen nach Jahren der Trennung und Ungewissheit endlich wiedersehen können. 

 

 

 

 

Thora promoviert an der Uni Marburg zur Entstehung und Entwicklung des syrischen Sicherheitsapparats unter dem Einfluss exilierter Nationalsozialisten zwischen 1945 und 1990. https://linktr.ee/ThoraPindus
Redigiert von Clara Taxis, Hanna Fecht