„Eyes of a Thief“ ist der zweite Spielfilm der Regisseurin Najaw Najjar. Es geht um Gewalt, Widerstand, Moral und Leben unter Besatzung. Sama Younes fragt im Interview mit der Filmemacherin nach ihrer Botschaft und der Entstehung des Filmes.
Sama Younes: Ihr Film „Eyes of a Thief“ basiert auf einer wahren Begebenheit. Im März 2002 tötete Thaer Hamad im Zuge der Zweiten Intifada bei Nablus sieben israelische Soldaten und drei Siedler. Viele Palästinenser haben einen Dokumentarfilm erwartet, der sich mit dem Leben von Thaer Hamad und den Hintergründen seiner Tat befasst. Warum haben Sie sich entschieden, daraus Ihren zweiten Spielfilm zu machen?
Najwa Najjar: Ich habe bereits einige Dokumentarfilme gedreht, was mir auch viel Freude bereitete. Doch ich habe mich bewusst entschieden, aus dieser Geschichte keinen Dokumentarfilm zu machen. Denn es geht nicht nur um Thaer. Für mich geht es um die Frage, wie weit man Menschen unter Besatzung treiben kann.
Wie handelt man, wenn man täglich darum kämpfen muss, seine Würde aufrecht zu erhalten, jede Minute seines Lebens. Was bringt man seinen Kindern bei?
Thaer hat keines der politischen Lager der Palästinenser repräsentiert. Was er getan hat, tat er für sich und sein Land. Seine Geschichte hat mich inspiriert. Sie hat die Frage aufgeworfen: Wann ist man ein Freiheitskämpfer und wann ein Terrorist?
Menschen haben das Recht, für ihr Land zu kämpfen. Vorzugsweise ohne zu morden. Ich toleriere Gewalt nicht und würde so einen Weg nie für mich oder für meine Kinder wollen. Doch wie weit kann man Menschen drängen? Das ist der Kern des Films.
Es war nicht leicht, mich in jemanden hineinversetzten, der getötet hatte. Ich saß da und habe mich gefragt: Wie weit würde ich für meine Kinder gehen? Meiner Meinung nach ist das eine legitime Frage. Ich verstehe natürlich, dass das ein sehr sensibles Thema ist, doch es ist auch die Realität.
Thaer wird im Film zur Figur des Tareks, der nach seiner Tochter Malak sucht. Was ist seine Botschaft an seine Tochter? Will er ihr vermitteln, dass es eine Lösung nur durch gewaltsamen Widerstand geben kann? Ist das auch Teil Ihrer Botschaft?
Ich sage noch einmal deutlich, dass ich Gewalt nicht toleriere. Es ist keinesfalls meine Intention gewesen, diese Botschaft zu vermitteln. Trotzdem muss man sagen, dass gewaltsamer Widerstand immer eine Option bleibt. Gerade dann, wenn keine andere friedvolle Lösung zu existieren scheint.
Es geht nicht darum, was die einzig richtige Lösung ist, sondern wie die Menschen vom Leben unter Besatzung beeinflusst werden und damit umgehen.
Es wurde bereits oft versucht, sich filmisch mit der israelischen Besatzung und ihren Auswirkungen auf das Leben der Palästinenser auseinander zu setzen. Welchen Schwierigkeiten begegneten Sie dabei als palästinensische Regisseurin?
Die eigentliche Schwierigkeit lag darin, die Verantwortung für die Sicherheit unseres Teams zu tragen. Wir haben hart gearbeitet und immer viel vorausgeplant und es hat auch gut funktioniert, doch wir wussten nie, was uns am nächsten Tag wirklich erwarten würde.
Einmal mussten wir den Dreh in der Altstadt von Nablus abbrechen, weil jemand aus der Stadt erschossen wurde. Es sind eben diese äußeren Einflüsse der Besatzung, mit denen man auch bei einem Filmdreh umgehen muss.
Wir haben den Dreh nach 25 Tagen abgeschlossen. 21 Tage haben wir in Nablus gedreht und vier Tage in Betlehem. Wir wurden herzlich aufgenommen und haben eine unglaubliche Unterstützung der Menschen dort erfahren. So hat uns der Film letztendlich drei mal weniger gekostet, als eigentlich gedacht.
Wenn man als Fremder kommt und sich so verhält, dann wird man auch so behandelt. Wir kannten uns aus und haben uns immer angemessen verhalten. Außerdem hatten wir großes Glück, dass unser Produzent, Hani Kort, viele Kontakte in Nablus hatte. Dank ihm wurden wir an faszinierende Schauplätze gebracht und konnten nicht nur für den Film, sondern auch für uns persönlich viel gewinnen.
Wie hat das eigentlich funktioniert, Schauspieler für die Rollen der Soldaten zu finden und vor allem das Equipment bereitzustellen?
Ich war ehrlich gesagt sehr überrascht, wie gut sie ihre Rollen gespielt haben. Es handelt sich um Laienschauspieler. Wir haben mit Leuten vor Ort aus Nablus und Betlehem gearbeitet. Sie waren begeistert, so eine Möglichkeit zu bekommen und haben sich sehr bemüht.
Das Equipment, wie Waffen, haben wir aus der israelischen Stadt Ma’alot Tarshiha, wo es einen Verleih für solche Requisiten gibt. Die Schwierigkeit lag darin, diese nach Nablus und Betlehem zu transportieren. Wir hätten auf dem Weg von Soldaten angehalten werden können, die das Equipment konfisziert hätten. Wir wussten nie, was auf uns zukommt.
Die Soldaten in Ihrem Film bleiben namenlose Charaktere. Warum geben Sie ihnen keine Eigenschaften oder Gefühle?
Wenn man sich mit der Situation vor Ort befasst, so erkennt man die extreme gesellschaftliche Trennung zwischen Palästinensern und Israels. Es gibt keinen Austausch, keine Kommunikation. Das ist die Realität.
Ich denke, für die meisten Palästinenser sind israelische Soldaten einfach nur Teil ihres Alltags. Sie stoppen dich am Checkpoint, sie hindern dich daran, vorbeizukommen, sie erniedrigen dich. Und das täglich. Das ist ihre Rolle in der palästinensischen Gesellschaft. So werden sie wahrgenommen. Diese Rolle behalten sie auch im Film bei.
Im Film zeigen Sie unterschiedliche Wege, mit der Besatzung umzugehen. Auf der einen Seite Tarek, dessen sich widersetzender Charakter in Ihrem Film ein relativ positives Image zu bekommen scheint, während der Kollaborateur Adel hauptsächlich negativ dargestellt wird.
Es war nicht meine Absicht, Adel komplett negativ darzustellen. Die Besatzung ermöglicht Menschen wie Adel, eine gewisse Machtposition zu erlangen und diese wird häufig missbraucht. Dadurch war er in der Lage, Passierscheine und andere Genehmigungen ausstellen zu lassen, während er gleichzeitig dabei half, das den Palästinensern zustehende Wasser in eine nahegelegene Siedlung umleiten zu lassen.
Auf der anderen Seite ist da Tarek, der elf Soldaten tötete, zehn Jahre seines Lebens und seine Frau verliert, seine Tochter zwar am Ende wiederfindet und trotzdem nicht für sie da sein kann.
Der Punkt ist, dass wir gar nicht mehr wissen, wer eigentlich der wahre Feind ist. Für mich war es wichtig, die Zuschauer zu ihrem eigenen Schluss kommen zu lassen und ihnen dabei ein so realitätsnahes Bild wie nur möglich zu vermitteln.
Wie waren die Reaktionen auf die Rolle Tareks und seiner Tat? Gab es in den unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Reaktionen?
Wir waren in Rio de Janeiro, Kairo und Indien. Und immer waren die Vorstellungen ausverkauft. In Rio haben wir den Film sogar sechs Mal gezeigt, weil das Interesse so groß war.
Einige sprachen in Zusammenhang mit dem Film über die Verherrlichung von Gewalt. Doch warum von Gewaltverherrlichung sprechen, wenn Tarek letzten Endes alles verloren hat? So wie ich die Reaktionen wahrgenommen habe, denke ich, dass die meisten Zuschauer in dem Film mehr gesehen haben, als nur die Tat selbst.
Als die israelische Zeitung Haaretz einen Artikel über den Film veröffentlichte, gab es viele Stimmen in Israel, die gesagt haben, man solle einen Film über die Ermordung von 29 betenden Palästinensern in der Moschee von Hebron 1994 machen. Doch die Ermordung von 29 Zivilisten in einer Moschee und die von 11 Soldaten an einem Checkpoint lassen sich nicht vergleichen.
Aber selbst wenn hier nicht alle einer Meinung sind, so bin ich trotzdem froh, wenn ich durch meinen Film immerhin einen Diskurs zu diesem Thema anregen konnte. Vermutlich ist das der einzige Weg, um voran zu kommen.
Die algerische Sängerin Souad Massi spiel in ihrer Rolle als Lila eine sehr moderne Frau. Ist sie ein Symbol für Ihre Wahrnehmung der Rolle der Frau in der palästinensischen Gesellschaft?
Für mich wäre es wirklich schwierig, über eine konservative Frau zu schreiben. Ich kenne das nicht. Lila ist eine Frau, die ein Kind adoptiert hat und es alleine groß zieht, was in unserer Gesellschaft nicht gerade üblich ist. Das heißt nicht, dass es keine starken, unabhängigen Frauen in der palästinensischen Gesellschaft gibt. Lila ist die Art Frau, die ich für den Film gebraucht habe. Sie ist ein bisschen anders als die anderen, doch erst durch sie funktioniert die Geschichte.
Bei der Diskussion nach der Filmvorführung sprach der Produzent, Hani Kort, viel über das Thema Wasser. Wie sehr beeinflusste dieses Thema Ihren Film?
Als ich die Geschichte über Tarek schrieb, fragte ich mich: Wer ist er? Was tut er? Er brauchte Arbeit. Also machte ich ihn zu einem Wasseringenieur. Ich hatte großes Glück, weil ich durch unseren Produzent, Hani Kort, viel über das Thema Wasser erfahren konnte.
Doch das war nicht der einzige Grund für meine Wahl. Wasser ist Leben. Uns Palästinensern wird unser eigenes Wasser weggenommen, um es uns dann wieder zu verkaufen. Das ist so absurd. All unsere natürliche Ressourcen werden gestohlen. Wasser ist ein grundlegender Gegenstand des Konflikts. Diesen in meinen Film einzubauen, ermöglichte es mir, eine weitere Facette des Lebens unter Besatzung zu beleuchten.
Daneben war es für mich sehr wichtig, viel Natur und Landschaft zu zeigen, um zu vermitteln, worum es uns Palästinensern in diesem Konflikt eigentlich geht. Nämlich um ein wunderschönes Land. Und nicht um sinnloses Kämpfen.
Sie haben bereits mit einem neuen Projekt begonnen.
Das habe ich. Ich möchte etwas erschaffen, dass in der gesamten arabischen Welt spielt. Es soll ein Musical werden, das in den 1930er Jahren spielt. Davon träume ich schon lange.
Vielen Dank für das Gespräch.