08.01.2020
Ein Schritt zu weit
Mit der Ermordung Suleimanis töteten die USA  den wichtigsten General Iran und stürzten Westasien in eine Krise, die noch Jahre nachwirken wird. Quelle: Wiki Commons.
Mit der Ermordung Suleimanis töteten die USA den wichtigsten General Iran und stürzten Westasien in eine Krise, die noch Jahre nachwirken wird. Quelle: Wiki Commons.

Der Konflikt zwischen den USA und Iran droht angesichts der Ermordung von Qassem Suleimani und des Angriffs auf zwei US-Militärbasen im Irak zu eskalieren. Was sind die möglichen Folgen für Westasien? Eine Analyse.

Der Leichnam von Qassem Suleimani  war erst wenige Stunden im Boden seiner Geburtsstadt Kerman bestattet, da folgte, was die iranische Führung angekündigt hatte: Teherans „schwere Rache“ kam in der Nacht auf Mittwoch in Form von rund ein Dutzend ballistischen Raketen, die auf zwei US-amerikanische Militärbasen im Irak niedergingen. Würde es nun zum gefürchteten, offenen Krieg zwischen den USA und dem Iran kommen? Eine vorläufige Entwarnung lieferte US-Präsident Donald Trump selber kurz nach dem Beschuss: Er twitterte „alles gut“ – keine US-Soldat*innen wurden verletzt oder getötet.

Damit geschah, was sich abgezeichnet hatte: Auf die Ermordung seines Generals folgte nun Irans Gegenschlag, allerdings ohne eine militärische Reaktion Washingtons – bis jetzt zumindest. Stattdessen kündigte Trump nach stundenlanger Beratung weitere Sanktionen an. Damit scheint er seine im Vorfeld ausgesprochenen Warnung,  iranische Angriffe massiv zu vergelten, noch nicht umsetzen zu wollen. 

Irans Angriff war kalkuliert und mehr Signal als „schwere Rache“. Es war nicht beabsichtigt, US-Soldat*innen (oder irakische) direkt zu treffen und damit einen Gegenschlag der USA zu provozieren. Iran wollte eine Botschaft des Widerstands und der Stärke schicken. Das heißt jedoch nicht, dass sich die Lage nun beruhigen wird: Teheran hat deutlich gemacht, dass der Angriff auf die Militärbasen nur die erste Phase ihrer Rache ist und weitere Aktionen folgen werden. Das birgt weitere Gefahren.

Stolpernd in die Krise

Bei all ihrer Schwere nahm die Krise einen eher profanen Anfang: Laut Berichten begann sie, als Mitarbeiter des US-Militärs Donald Trump eine Liste mit mehreren Optionen unterbreiteten, um auf die Erstürmung des Botschaftsgeländes in Bagdad zu reagieren. Eine Option war ein Evergreen der möglichen Aktionen gegen Iran: Die Ermordung von Qassem Suleimani, Chef der iranischen Quds-Einheit. Eigentlich galt sie im Pentagon als „throw-away“ Option, ein psychologischer Trick, um über das Extreme am Ende eine moderate Entscheidung zu forcieren. Doch Trump wählte, zum Erstaunen seiner Militärberater, die radikalste Option.

Mit der Entscheidung, Qassem Suleimani und Abu Mahdi al-Muhandis, den Anführer einer mächtigen irakischen Miliz, hinzurichten, hat Trump die bis dato schwelenden Spannungen mit Teheran auf eine neue Stufe gebracht. Eine derartig direkte Konfrontation zwischen beiden Staaten ist beispiellos in ihrer wechselhaften Geschichte.

Dabei hätte es anders kommen können, denn die Eskalation geschah langsam und war abwendbar. Schritt für Schritt näherten sich die beiden Staaten vor den Augen der Weltöffentlichkeit einer Konfrontation - von Donald Trumps Ausstieg aus dem Atomabkommen mit Iran im Mai 2018, bis zu Teherans Abschuss einer US-Drohne ein Jahr später. Die Verhandlungsangebote beider Seiten scheiterten, wie zuletzt bei der UN-Generalversammlung im November 2019, weil sich besonders die USA, aber auch Iran, zu unflexibel zeigten und Drittparteien wie Frankreich und Japan ihre Vermittlungsversuche schlecht durchführten.

Die ohnehin geringen Chancen eines Dialogs zum Entschärfen der Eskalation verstrichen und der sich abzeichnende Knall wurde mit der Ermordung von Suleimani und al-Muhandis nun Wirklichkeit. Die USA als auch Iran drehten dazu durch stetige Fehleinschätzungen der Gegenseite die Eskalationsspirale weiter; die USA durch eine undurchdachte und mehr ideologische als rationale Politik der maximalen Sanktionen, Iran durch eine Reihe von Gegenmaßnahmen, mit denen sich die iranische Führung schlicht überschätzt hat. Nun wurde eine Stufe erreicht, bei der eine Deeskalation nur schwer möglich ist.

Eine diplomatische Lösung ist ungemein schwierig, soviel steht fest. Obwohl US-Beamt*innen in teilweise bizarren Pressekonferenzen weiterhin ihren Wunsch nach Gesprächen kundtun, sind Verhandlungen zwischen Iran und den USA schwer vorstellbar. Trumps im Anschluss an die Ermordung abgesendeten Tweets und seine unverhohlenen Drohungen, haben das nur verstärkt: Gespräche mit Washington würden im jetzigen Kontext einer Kapitulation gleichkommen. Teheran war gezwungen eine Reaktion zu zeigen, was es in einer, relativ gesehen, eher zurückhaltenden Art und Weise mit dem Beschuss der zwei Militärbasen tat und damit etwas internen Druck löste. Die ausbleibende Antwort der USA verschafft ein kurzes Fenster für externe Akteure zu vermitteln, aber Suleimanis Ermordung war ein zu drastischer Akt, als dass materieller Schaden für Teheran eine ausreichende Reaktion sein kann. Es war ein „Schlag“, so formulierte es Irans Oberhaupt Khamenei in seiner ersten Rede im Anschluss an die Angriffe, aber „nicht genug“.

Suleimani: Mythos und Wirklichkeit

Um Teherans Druck, eine Antwort zu liefern, zu verstehen, ist es wichtig, die Rolle Qassem Suleimanis in Irans Außenpolitik einzuordnen. Durch gezielte Propaganda ist die Bedeutung seiner Person ein Stück weit verzerrt.

Suleimani führte Teherans Außenpolitik in den Nachbarländern entscheidend aus. Er war es, der im September 2015 die folgenreiche Reise nach Moskau unternahm und mit Putin über den syrischen Bürgerkrieg sprach, bevor Russland seine Intervention in Syrien verkündete. Suleimani war das medienwirksame Gesicht der „schiitischen Internationale“, jenem Amalgam von Milizen aus Pakistan, Afghanistan, Irak und Libanon, die zunächst in Syrien auf Seiten der Regierung kämpften, und später auch im Irak aktiv waren. Mit Suleimanis Ermordung wurde somit der prominenteste Vertreter der militarisierten iranischen Regionalpolitik ausgeschaltet, was die Tragweite der US-Aktion und den Verlust Irans deutlich macht. Es zeigt, wieso die Zerstörung einiger Waffendepots aus iranischer Perspektive nicht ausreichend ist, um Suleimani zu rächen.

Seine Position sollte allerdings nicht überhöht werden. Suleimani wurde gezielt als Kultfigur und als Gesicht der „Widerstandsachse“ aufgebaut, um besonders schiitische Milizionäre zu mobilisieren. Er war zwar zweifelsohne ein militärisch fähiger Kommandant, aber es war nicht Suleimani allein, der Irans Handeln in der Region anführte. Er setzte effizient um, was ihm aufgetragen wurde, jedoch immer zusammen mit anderen Akteuren im iranischen Sicherheitsapparat und nicht immer unumstritten. Am Verhältnis zu den USA zeigt sich seine Funktion: Zeitweise kooperierte er mit ihnen , wie 2001 in Afghanistan, andererseits half er nach 2003 irakischen Milizen, Sprengfallen für US-Soldaten zu legen. Er agierte also im Sinne der jeweiligen iranischen Politik und nicht nach einer eigenen Agenda.

Das Attentat auf ihn bedeutet daher nicht, dass Irans Politik zusammenfällt oder sich grundlegend ändert. Durch sein jahrelanges Wirken hat Suleimani zwar durchaus ein Netzwerk gepflegt, das schwer ersetzbar sein wird, aber letztlich geht es im iranischen System mehr um Strukturen als um einzelne Personen. Suleimani hinterlässt eine Lücke, es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass Iran dadurch nachhaltig geschwächt ist oder nicht mehr in der Lage, die Konfrontation mit den USA zu führen.

Bis zu einem gewissen Grad hilft das Attentat Teheran sogar: Die Ermordung des Kommandanten mobilisiert einerseits jene schiitische Internationale und bringt sie gegen Washington auf, was besonders im Irak ein wichtiger Faktor sein wird. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass das Märtyrertum im schiitischen Glauben zentral ist und eine hohe Symbolkraft ausstrahlt. Die Situation hilft der iranischen Regierung außerdem dabei, intern die Kontrolle zu wahren und mehr Ressourcen für die Rivalität mit Washington aufzubringen.

Suleimani war in Iran durchaus beliebt und ist spätestens jetzt zum Nationalhelden aufgestiegen. Allein die Massen an Menschen, die an den Trauerprozessionen teilnehmen, zeugen von der nationalen Einheit, die die Ermordung und besonders Trumps Drohungen hervorrufen. Angesichts der Proteste im Dezember, die die Regierung noch mit beispielloser Härte niederschlug, verspricht die Aktion der USA daher eine Beruhigung der Lage für die kommende Zeit. Denn die Angst vor Krieg wird den Demonstrationswillen der meisten Iraner*innen überwiegen. Das spielt der Regierung in die Karten.

Die symbolische Rolle Suleimanis als zentrale, öffentliche Figur bedeutet zugleich, dass Teheran gezwungen ist, auf die USA in einer deutlicheren Art als den Beschuss von Militärbasen zu reagieren, um intern und extern das Gesicht zu wahren und keinen Präzedenzfall zu schaffen. Das macht die kommende Zeit gefährlich. Denn sollte Teherans Reaktion wiederum von Washington beantwortet werden, kann das schnell in direkte militärische Konfrontationen münden. Massivere Raketenangriffe auf US-Basen, das Versenken von US-Kriegsschiffen, Angriffe auf US-Konvois oder eine drastische Verschärfung des Atomprograms - Irans Optionen sind vielfältig und US-amerikanische Ziele in der direkten Nachbarschaft zur Genüge vorhanden.

Teheran wird zwar aus nachvollziehbaren Gründen keinen konventionellen Krieg provozieren wollen und bei seiner Reaktion die mögliche Gegenreaktion Washingtons berücksichtigen, wie bei dem Angriff geschehen. Das ist jedoch offensichtlich risikoreich.

Auswirkungen im Irak...

Ob eine direkte militärische Konfrontation folgt oder nicht, die Konsequenzen des Attentats sind auch davon abgesehen weitreichend. Sie verändern die regionale Lage nachhaltig, was die gegenwärtige Krise zu einem entscheidenden Moment für das neue Jahrzehnt in Westasien macht.

Zum einen betrifft das den Irak, wo das Attentat eine seit längerem bestehende Diskussion über das Beenden der Kooperation mit den USA massiv verschärft hat. Die Ermordung von al-Muhandis ist für den irakischen Kontext ebenso gravierend wie die von Suleimani. Al-Muhandis war offiziell Vize-Anführer eines Teils der irakischen Streitkräfte und damit hochrangiger Funktionär in Iraks Armee. Nun wurde er vom zentralen Verbündeten des irakischen Staates in dessen Staatsgebiet ermordet, obwohl die USA offiziell nur für den Kampf gegen Da’esh [so genannter Islamischer Staat, Anm. d. R.] im Irak sein dürfen. Das macht den Anschlag zu einem Politikum, das in eine interne Krise mündet.

Schon nach den Luftschlägen gegen Militärlager der Miliz, die al-Muhandis anführte, der Kataib Hezbollah, waren viele Iraker*innen über die Verletzung der Souveränität des Iraks erbost, was ein Faktor für die Erstürmung der US-Botschaft war, auch wenn die meisten Beteiligten selbst Mitglieder der Miliz waren.

Wie viel Wut das erzeugte, zeigt die Reaktion der irakischen Demonstrierenden besonders deutlich, die seit Oktober für mehr Rechte protestieren und mit exzessiver Gewalt von Sicherheitskräften, unter anderem durch die Kataib Hezbollah, konfrontiert waren: Sie verurteilten die Ermordung von al-Muhandis, gemeinsam mit anderen mächtige irakische Figuren. Damit haben es die USA geschafft, die im Streit liegenden schiitischen Akteure Iraks gegen sich zu einen, was ein Ende der US-Militärpräsenz im Irak bedeuten könnte. Eine entsprechende Abstimmung im Parlament, trotz Boykott sunnitischer und kurdischer Abgeordnete, die die US-Präsenz als notwendig betrachten, hat das bereits vorbereitet.

Angesichts Trumps Aussagen, einen Abzug nicht zu akzeptieren und notfalls Sanktionen gegen den Irak zu verhängen, wodurch dessen Wirtschaft kollabieren würde, sowie Irans Ankündigung, ein Ende der US-Präsenz im Irak als Teil ihrer Rache zu bewirken, stehen dem Land schwierige Zeiten bevor. Gleichzeitig haben irakische Milizen, nicht nur allein wegen Suleimanis Ermordung, sondern auch von al-Muhandis Vergeltungsaktionen gegen US-Soldaten angekündigt, was Erinnerungen an das Chaos zwischen 2003 bis 2009 wachruft. Hinzu kommt, dass der Irak momentan offiziell ohne Regierung dasteht und mit einer andauernden Protestwelle konfrontiert ist. Dass nach dem Attentat sowohl ausländische Ausbildungsmissionen für Iraks Armee, als auch jegliche Militäroperationen gegen Da’esh aus Sicherheitsgründen eingestellt wurden, verschärft die Situation zusätzlich.

...und in der Region

Auch über den Irak hinaus wird das Attentat die regionale Rolle der USA maßgeblich verändern. Wie Suleimanis Treffen mit Putin zeigt, war er, anders als beispielsweise al-Muhandis, nicht nur reiner militärischer Kommandeur, sondern auch eine Art Diplomat. Seine Ermordung hat daher nicht nur für Iran eine rote Linie überschritten, sondern auch für viele regionale Staaten und hat zudem Zweifel an der Rationalität der USA und ihrem Interesse an Stabilität gesät. Der Schock war nicht nur in Katar zu spüren, das postwendend seinen Außenminister nach Teheran schickte. Auch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain zeigten sich über das Attentat besorgt.

Die regionalen Akteure wissen, dass die aktuellen Entwicklungen die Region an den Rand eines katastrophalen Krieges bringen könnte, mit negativen Auswirkungen für alle. Zudem werden dadurch die zaghaften Annäherungsversuche der Golfstaaten mit Iran gestört, die seit einigen Monaten laufen. In diesem Zusammenhang ist die Aussage des irakischen Interimspremiers zu verstehen, der geplant hatte, mit Suleimaini über eine saudische Initiative zu diskutieren und eine hochrangige saudische Delegation, die nach Washington geschickt wurde, um die US-Regierung zur Zurückhaltung zu drängen.

Daher beschädigt das Attentat auf Suleimani das Image der USA in der Region weiter; nicht, weil sein Tod von einigen Regierungen bedauert wird, sondern wegen der Rationalität dahinter. Zusammen mit dem hastig befohlenen Truppenabzug aus Syrien und der Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt, wächst die Erkenntnis, dass die USA kein stabilisierender Akteur in der Region sind. Sollte Washington seine Präsenz im Irak aufgeben müssen, was derzeit wahrscheinlich scheint, und seine Zusammenarbeit mit regionalen Staaten reduzieren, wirkt sich das auf die regionale Ordnung aus. Gleichzeitig ist es genauso möglich, dass sich Iran und die USA in den kommenden Monaten verschätzen und in einen Krieg geraten, der die Region auf den Kopf stellen würde.

Parham Kouloubandi studiert an der Sciences Po in Paris International Security und beschäftigt sich hauptsächlich mit sicherheitspolitischen Fragen und zwischenstaatlichen Beziehungen in Westasien. Sein Fokus liegt auf bewaffneten Konflikten und Diplomatie, vor allem in Hinblick auf die UN. Er ist zudem als Berater für eine ägyptische...
Redigiert von Clara Taxis, Anna-Theresa Bachmann