27.04.2018
„Die deutsche Walnuss in Kurdistan” oder: ist die kurdische Regionalregierung im Irak schon ein Entwicklungsprojekt des deutschen Staates?
Kolumnistin Schluwa Sama forscht derzeit für ihre Doktorarbeit zur politischen Ökonomie Irakisch-Kurdistans. Grafik: Tobias Pietsch.
Kolumnistin Schluwa Sama forscht derzeit für ihre Doktorarbeit zur politischen Ökonomie Irakisch-Kurdistans. Grafik: Tobias Pietsch.

In Kurdistan-Irak macht die Regierung munter Ölgeschäfte, während den Lehrkräften nicht einmal das Gehalt gezahlt wird. Ein Glück also, dass bei der Stabilisierung der Region kräftig von außen geholfen wird!

Dieser Text ist Teil der neuen Alsharq-Kolumne „Des:orientierungen“. Alle Texte der Kolumne finden Sie hier.

Kennt ihr das, wenn man eine Auszeit von deutscher Bürokratie braucht, ein bisschen Urlaub vielleicht? Dann fährt man in den Süden. Für den ein oder anderen ist das Malle, für mich ist es diesmal Kurdistan. Ob in Malle oder Kurdistan, Deutschland ist irgendwie immer schon da. In Malle personifiziert durch betrunkene Badegäste, in Kurdistan durch die deutsche Walnuss.

Ich versuche, mir zunächst ein wenig Urlaub in Kurdistan zu gönnen und gehe auf einige Familienpicknicks, bei der die Person, die die meisten türkischen Drohnen entdeckt, das größte Stück Fleisch kriegt. Nachdem ich mich vollgegessen habe, beschäftigte ich mich wieder mit der Aufgabe, für die ich in Kurdistan eigentlich bezahlt werde: Die Erforschung des Kapitalismus im Irak und Kurdistan (In der nächsten Kolumne erkläre ich dann, wie ich es geschafft habe, dafür bezahlt zu werden).

Dazu ging ich in der Stadt Dohuk, in Kurdistan-Irak, zum lokalen Ministerium für Arbeit und Soziales und wollte wissen, was die hier so machen. Antwort: „Also, wir haben Zentren für kriminelle Jugendliche zum Beispiel. Da bringen wir die Kinder hin, wenn sie zum Bespiel geklaut haben - damit sie nicht auf der Straße bleiben.“ Kriminalität ist fraglos das größte Problem, das wir in Kurdistan haben. Den gesamtgesellschaftliche Schaden durch gestohlene Äpfel und iphone-Hüllen im Jahr 2017 muss eine internationale Expertenkommission derzeit noch ermitteln.

Eine Walnuss hinter der Shopping Mall

Aber kommen wir wieder zur deutschen Walnuss: Da die kurdische Regionalregierung ja eigentlich pleite ist, wundere ich mich, wer involviert ist in diese Projekte des Ministeriums für Soziales. Natürlich ist sie nicht richtig pleite, denn die Regierung macht immer noch ihre Ölgeschäfte mit Firmen wie Gulf Keystone und Genel Energy (wer diese nicht kennt, dem sei gesagt: es handelt sich hier um die eigentlichen Interessenvertreter Großbritanniens und der Türkei). In Kurdistan wissen wir, wo man Geld investiert, und zwar nicht im Ministerium für Soziales. Also muss die deutsche Walnuss her.

„Wir arbeiten mit vielen internationalen Organisationen zusammen, zum Beispiel mit Giz“, erklärt mir der Mitarbeiter des Ministeriums. Wir reden auf Kurdisch und dort steht Giz für Walnuss. Von einer Walnuss hatte ich vorher in diesem Kontext noch nichts gehört. Ich wundere mich: „Wer soll das sein?“ – „Giz ya almani - Die deutsche Walnuss eben“ guckt mich der Mitarbeiter erstaunt an.

Da leuchtet in mir die deutsche Sprache wieder auf. Die deutsche Walnuss? Das kann nur die GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit sein! Natürlich kenne ich die G-I-Z. Die Hälfte meiner ehemaligen Mitstudierenden aus Deutschland scheint inzwischen bei denen untergebracht zu sein. Im schicksten Wohnkomplex Dohuks, mit 24 Stunden Strom und Wasser, direkt hinter der Dohuk Mall. Das brauchen sie auch, um hier alles zu „stabilisieren“. In der Dohuk Mall gibt es, Gott sei Dank, auch guten Cappuccino. Denn diese Region zu stabilisieren, kann ganz schön an die Nieren gehen, besonders wenn frisch gebackene Uniabsolvent*innen aus Deutschland diese Herausforderung bewältigen müssen. In unseren mittelmäßigen Arabischkursen im Master wurden wir nämlich für exakt zwei Dinge ausgebildet: Den Arbeitslosenmarkt in Deutschland und die Stabilisierung von Regionen.

Der Bau der Festung Europa beginnt in Kurdistan

Ich schaue mir derzeit die Stabilisierung von Regionen mit an und lese mir hierbei die Worte von Gerd Müller, dem Chef des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) durch. Ihm bzw. dem deutschen Staat gehört ja auch die deutsche Walnuss, denn die GIZ heißt GIZ und nicht BMZ, weil die GIZ zwar auch dem deutschen Staat gehört, aber dennoch eine GmbH ist. Jedenfalls sitzt die deutsche Walnuss GIZ unter anderem in Dohuk, Kurdistan-Irak, und Gerd sagt uns Folgendes:

„Wir setzen alles daran, die Ursachen von Flucht zu mindern und den betroffenen Menschen zu helfen! Etwa die Hälfte aller Flüchtlinge sind Kinder. Sie liegen mir besonders am Herzen: (...) Was vielen bei uns gar nicht bewusst ist: rund 86 Prozent der Flüchtlinge werden von Entwicklungsländern aufgenommen. Diese Länder leisten Großartiges. (...) Diese Hilfsbereitschaft sollte uns allen ein Beispiel sein. Darum konzentriert sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seit 2012 darauf, die Ursachen von Flucht zu mindern und Flüchtlingen eine Perspektive zu bieten. Wir haben das Thema „Flucht und Entwicklung“ zu einem Schwerpunkt gemacht und mehrere Sonderinitiativen ins Leben gerufen.“

Kommen wir also zur Bürokratie, dem Lieblingsterrain der deutschen Walnuss: Die Sonderinitiativen sind in verschiedene Kategorien und Unterkategorien gefasst. Ich fasse die Gröbsten zusammen: 1. Fluchtursachen mindern 2. Aufnahmeregionen stabilisieren 3. Flüchtlinge unterstützen (Integration und Reintegration + Rückkehrerprogramm). Wem das immer noch zu bürokratisch unverständlich ist, für die GIZ gilt ganz konkret: Der Bau der Festung Europa beginnt in Kurdistan. So zum Beispiel in Punkt 3. Zusammen mit BMZ und IOM (International Organization for Migration) helfen „Reintegrations-Scouts der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“, wie im Fall der 30-jährigen Peyman geschildert wird, bei der Reintegration. Von Deutschland zurück nach Kurdistan. Eine Erfolgsgeschichte nach der anderen spielt sich hier ab.

So wird auch Peyman mit Laptop und Lächeln zitiert: “Für mich war das Leben in Deutschland voller Schwierigkeiten: [...] mein Asylantrag wurde abgelehnt. Ich hatte nie die Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen [...] oder eine Arbeit aufzunehmen. Die Beziehung zu meinem Mann wurde auch schwierig.” Dieser Fall konnte glücklicherweise schnell stabilisiert werden. In Peymans Fall kostet dies den deutschen Staat ganze 24 Schafe und einen Laptop. Dies wurde in Kurdistan-Irak als Reintegrationsmaßnahme an Peyman ausgezahlt. So kostengünstig kann der Menschenhandel also sein.

Projektindikatoren vs. Prügel für Protestierende

Wo man nur hinguckt, ist die deutsche Walnuss versteckt. Nicht bloß in den Ministerien, sondern auch in den zahlreichen lokalen NGOs steckt deutsches Walnussgeld. Ich frage mich, wer Manager des Projekts „Stabilisierung“ ist. Wissen die Projektmanager eigentlich, was sie hier stabilisieren? Es scheint jedenfalls nicht ganz zu funktionieren: Als sich Lehrer*innen vor einigen Wochen zum ersten Mal in Dohuk getraut haben, ihrer Wut über ungezahlte Gehälter und ein autokratisches System Ausdruck zu verleihen und zu protestieren, wurden sie brutal zusammengeschlagen und Wasserwerfer gegen sie verwendet, nicht zu schweigen von den geheimen Festnahmen und der nachträglichen Verhaftung von Protestierenden. Das muss im Projekt „Stabilisierung“ bestimmt für schlechte Projektindikatoren bei der deutschen Walnuss gesorgt haben. Ist die kurdische Regionalregierung also schon das Entwicklungsprojekt des deutschen Staates? Gegen wen protestieren die Lehrerinnen und Lehrer in diesem Fall eigentlich?

Trotz dieses kleinen Misserfolgs im Projekt „Stabilisierung“ leistet die deutsche Bürokratie hier ansonsten hervorragende Arbeit. Zu Punkt 1 (Fluchtursachen mindern) gehört auch das Programm „Cash-for-Work“. Dabei werden quasi Direktgehälter an irakische Binnenflüchtlinge und syrische Flüchtlinge im Irak gegeben. Die Jobs überlegt man sich dann im zweiten Schritt, sei es nun Straßenfegen oder ein neues Gebäude im Camp zu bauen. „Die berechnen tatsächlich, wieviel die Leute brauchen um zu leben- und passen dabei auf, dass sie nicht zu viel Cash reingeben, dass die Leute am Ende genug Geld für eine Überfahrt nach Europa haben“, hört man die Amis in den NGOs hier über ihre deutschen Kolleg*innen reden. Aber die Amis sind bestimmt nur neidisch darauf, dass nun auch noch die deutsche Bürokratie so erfolgreich exportiert wird.

Schluwa ist Doktorandin am Centre for Kurdish Studies, University of Exeter. Sie promoviert zur politischen Ökonomie Irakisch-Kurdistans mit einem Fokus auf das Alltagsleben von Bäuer*innen. Dabei beschäftigt sie sich u.a. mit kolonialen Kontinuitäten, globalem Kapitalismus, Krieg und Landwirtschaft im Kontext Kurdistans und dem Irak. Für ...