31.12.2019
Bilder, die fehlen: Portrait einer unbequemen Fotografin
Eine junge Iranerin währen der Proteste 1979. Mit Genehmingung der Fotografin Maryam Zandi. https://maryamzandi.com/
Eine junge Iranerin währen der Proteste 1979. Mit Genehmingung der Fotografin Maryam Zandi. https://maryamzandi.com/

Welche Bilder prägen das kollektive Gedächtnis an die Iranische Revolution? Was wird bewusst nicht gezeigt? Maryam Zandi hat die Proteste 1978/79 eingefangen. Bis heute kämpft sie für einen unverstellten Blick auf die Ereignisse von damals.

Maryam Zandi ist heute eine der wichtigsten Fotograf*innen Irans. Mit der Kamera um den Hals und ihrer Tochter unter dem Arm, hielt sie ab 1978 die beginnende Iranische Revolution in Teheran fest. Ihre Fotos blieben der iranischen Öffentlichkeit jedoch fast 35 Jahre lang verborgen. Denn was sie aufnahm, widerspricht den offiziellen Erinnerungen der Islamischen Führung an die Iranische Revolution von 1979.

Die Fotografin Maryam Zandi. © M. Amini

Ein neuer Film, der auf dem diesjährigen iranischen Filmfestival „Revolution der Bilder“ in Köln vorgestellt wurde, beleuchtet nun  Maryam Zandis Leben. „Mir war immer klar, dass ich meine Fotos unzensiert im Iran zeigen muss. Denn sie sind ein Teil der iranischen Geschichte und wir müssen die ganze Geschichte sehen, nicht bloß einen Teil von ihr“, sagte sie auf der anschließenden Podiumsdiskussion.

Zandi fotografierte protestierende Frauen ohne Kopftuch, bewaffnete Frauen mit Kopftuch, Banner mit dem Konterfei des 1953 abgesetzten Premierminister Mossadegh, marxistische Slogans und islamische Graffitis an Häuserwänden. In den ersten Jahren nach der Revolution versuchte sie die Veränderungen und Konflikte in der iranischen Gesellschaft zu dokumentieren, wie etwa die Demonstrationen iranischer Frauen für und gegen die neuen Kleidungsvorschriften und das obligatorische Kopftuch.

© Maryam Zandi

Einige dieser Bilder, wie das einer unverschleierten jungen Frau mit entschlossenem Blick, die Faust gen Himmel gereckt, passten nicht in das Narrativ der Islamischen Führung, der zufolge die Revolution in erster Linie eine islamische Bewegung war. Als Zandi ihre Fotos der Revolution in einem Bildband veröffentlichen wollte, wurden einige der darin abgebildeten Motive von der iranischen Kulturbehörde zensiert. Sie wehrte sich gegen die Zensur. Sechs Jahre lang kämpfte Zandi dafür, ihre Fotos uneingeschränkt im Iran zeigen zu dürfen. Als 2013 Hassan Rouhani zum Präsidenten gewählt wurde und Zandi ihn in einem Brief um Unterstützung bat, hatte sie schließlich Erfolg und durfte den Bildband mit allen Bildern drucken.

Archiv der Zensierten

In Gorgan nahe dem Kaspischen Meer geboren, führte ihr Studium sie in den Sechzigern an die School of Law & Political Sciences nach Teheran. Dort entdeckte sie die Fotografie und arbeitete bis zur Iranischen Revolution als Fotografin beim staatlichen Fernsehen.

Bereits kurz nach der Revolution begann die Islamische Führung unter Ayatollah Khomeini die Arbeit von Kulturschaffenden nach angeblich islamischen Maßstäben einzuschränken. Maryam Zandi ist der Meinung, „wenn es keine Erinnerungen an Menschen und Ereignisse gibt, dann ist das so, als ob sie nie existiert hätten.“ Mit ihren Fotos versucht Zandi daher Menschen und Ereignisse im Gedächtnis und vielleicht auch am Leben zu halten. Zwei Jahre nach der Revolution begann sie iranische Künstler*innen und Intellektuelle, die von Zensur betroffen waren, zu porträtieren. So entstand ein bis heute wachsendes Bild-Archiv über die zeitgenössische intellektuelle Elite Irans.

© Maryam Zandi

Neben der Porträtfotografie widmete sie sich nach der Revolution vor allem der Landschaftsfotografie, künstlerischen Fotocollagen und Motiven aus dem ländlichen Leben Irans, wie etwa in der turkmenischen Provinz. Gemeinsam mit zwölf anderen einflussreichen iranischen Fotografen gründete sie 2005 die „National Iranian Photography Society“ um die Interessen iranische Fotograf*innen besser vertreten zu können. Zandi wurde zur ersten Vorsitzenden gewählt, durfte das Amt jedoch auf Druck der nationalen Kulturbehörde nicht annehmen. „Ein Problem war, dass ich eine Frau bin, das andere, dass ich dafür bekannt bin meine Meinung zu sagen,“, sagte die dazu in Köln.  

Eine unbequeme Fotografin

Zandi nutzte ihren Einfluss immer wieder, um auf die staatlichen Beschränkungen des Kulturbetriebes aufmerksam zu machen. So lehnte sie die höchste staatliche Auszeichnung für iranische Künstler*innen mit der Begründung ab, dass Fotograf*innen in Iran keine Freiheit und professionelle Würde genießen würden.

© Maryam Zandi

Eine Erstveröffentlichung ihrer Fotos von der Revolution 1979 im Ausland, durch die sie der iranischen Zensur entgehen könnte, stand für Maryam Zandi allerdings außer Frage. Zwar gab es ein Angebot von einem Verlag aus Paris, doch Zandi lehnte ab. Die Fotos seien schließlich ein Teil der iranischen Geschichte und müssten daher auch zu allererst dort gezeigt werden. Maryam Zandi selbst hatte trotz aller Schwierigkeiten nie vor, den Iran langfristig zu verlassen.

Auf die Frage, ob iranische Fotograf*innen sich heute aus Angst vor Repressionen vor allem unkritischen Motiven widmen, antwortete Zandi mit einem Schmunzeln: „Nein. Gewiss ist: iranische Fotograf*innen machen auch heute ihre Arbeit. Sie fotografieren zum Beispiel die aktuellen Proteste. Aber es kann gut sein, dass wir ihre Bilder erst in 40 Jahren sehen.“

Marlene studiert in Freiburg Liberal Arts and Sciences mit dem Schwerpunkt Governance und lebte in Palästina und Iran. Im Rahmen ihres Studiums setzt sie sich insbesondere mit kritischen Perspektiven auf Internationale Beziehungen, Migration und Menschenrechte auseinander.
Redigiert von Anna-Theresa Bachmann, Johanna Luther