Aharon Megged, der mehr als 30 Bücher schrieb, ist einer der berühmtesten Autoren Israels. Seine dezidierte Meinung zum Nahost-Konflikt weicht von der vieler linksliberaler Schriftsteller-Kollegen ab, findet dafür aber viel Anklang im israelisch-jüdischen Mainstream. Im Angesicht der anhaltenden arabischen Bedrohung müsse Israel militärische Stärke demonstrieren, um weiter als Staat bestehen zu können, so Megged im Interview mit Alsharq im Rahmen unserer Serie zu 20 Jahren Oslo-Abkommen.
Alsharq: Herr Megged, verstehen Palästinenser oder palästinensische Intellektuelle Israel?
Aharon Megged: Es herrscht große Unwissenheit vor. Sie kennen weder die Geschichte des jüdischen Staates oder des Zionismus, noch wird diese Geschichte akzeptiert.
Zum Beispiel der Teilungsplan durch die Vereinten Nationen 1947, der von den Arabern abgelehnt wurde. Wir nahmen ihn an - sie nicht. Aber sie erinnern sich nicht oder wollen sich nicht daran erinnern, dass sie uns angegriffen und uns mit der völligen Ausrottung bedroht haben. Stattdessen erinnern sie sich nur an die Naqba, was ihr größtes Unglück bedeutet.
Ohne Zweifel, Palästinenser litten viel, weil so viele von ihnen das Land verlassen mussten, ihre Dörfer zurückließen – aber sie lehnen jede mögliche eigene Schuld daran ab. Selbstverständlich ist es zutreffend, dass es Vertreibungen während des Krieges gab. Aber die Palästinenser müssen verstehen, in welcher Position wir zu dieser Zeit waren. Es ging um Leben oder Tod. Wenn die Araber den Krieg gewonnen hätten, wäre nicht nur „ein“ Krieg verloren gegangen, sondern es hätte das Ende des jüdischen Staates bedeutet und wir wären total ausgerottet worden.
Akzeptieren die Palästinenser heute die Existenz Israel?
Wenn Sie mit Diplomaten sprechen, würden diese sagen, dass sie Israel neben einem palästinensischen Staate anerkennen. Aber die Wahrheit kommt in den Aussagen auf Arabisch zum Vorschein. Sie müssen palästinensische Medien und besonders ihre Schulbücher anschauen. Dort steht immer unabänderlich das Gleiche: die Juden haben kein Recht, hier zu sein! Die antisemitische Propaganda ist schrecklich: die Juden werden mit Nazis verglichen, obwohl die Araber während des Zweiten Weltkriegs auf deren Seite standen. Sie haben zwei Gesichter: ein diplomatisches und das populäre, welches darauf abzielt, uns Juden loszuwerden. Daran habe ich keinen Zweifel.
Sie scheinen überzeugt, dass das Ziel der palästinensischen Führung die Zerstörung Israels ist.
Ja, ohne Zweifel! Besonders, da sie das selbst erklärt haben. Sie verstecken das nicht. Sie sagen zu ihren Leuten, dass sie so lange neben dem jüdischen Staat leben würden, bis sie stärker sind, um ihn zu zerstören. Was sollen wir tun? Die einzige Hoffnung ist, dass wir so stark werden, dass sie von dieser Mond-Ideologie Abstand nehmen.
Welche Herausforderung bedeutet dies für Sie als Intellektuellen?
Ich kann nicht entsprechend dem Gedanken handeln, dass sie uns zerstören wollen. Bemühen muss ich mich, damit sie das Stadium erreichen, dass sie feststellen, dass dies unmöglich sein wird und dass die Wirklichkeit stärker ist als ihre dämonischen Träume. Wir müssen stark sein, es gibt keine andere Wahl.
Sie meinen also, Israel muss militärisch allen Nachbarstaaten überlegen sein?
Schauen Sie sich an, was in der Welt seit Jahrzehnten passiert. Ich bin entsetzt, in den Medien zu sehen, wie Israel für das Verteidigen seiner Rechte angegriffen wird. Das steht in keinem Verhältnis zu weltweiten Reaktionen auf irgendeinen anderen Kampf gegen Terrorismus. Sie sehen keine Demonstrationen in Frankreich oder Australien gegen die USA, selbst wenn zum Beispiel viele tausend Menschen in Afghanistan getötet wurden.
Warum reagiert die Weltöffentlichkeit so?
Gegen uns agiert ein ganzer Strom von Antisemitismus. Dies ist eine tief verwurzelte Tendenz, die seit Hunderten von Jahre besteht. Nach dem Zweiten Weltkrieg fühlten die Leute sich unbehaglich, negativ über Juden oder Israel zu sprechen. Oft wurde Kritik wegen der Erinnerung an die Shoah (hebr.: Holocaust) unterdrückt. Doch jetzt, nach einigen Jahrzehnten, glauben Viele, dass es Zeit sei, das Rad zurückzudrehen. Die Gelegenheit scheint wegen des gräulichen Kampfes von Israel gegen die „unschuldigen“ Palästinenser günstig, um alle anti-jüdischen Gefühle wieder auferstehen zu lassen.
Sobald Israel militärisch aktiv wird, fordern auf der ganzen Welt Menschen einen Stopp der Militäraktionen?
Stellen Sie sich im Zweiten Weltkrieg einen BBC-Korrespondenten in Hamburg und Frankfurt vor, der schreiende und sterbende deutsche Kinder, Mütter und Verletzte fotografiert. Was würden Sie zu dieser Zeit gesagt haben? Dass die Briten und die USA den Krieg wegen der Grausamkeiten an Deutschen stoppen sollten?
Aber das ist genau das, was geschieht, wenn Leute sehen, wie wir den Terrorismus bekämpfen. Es stimmt, dass wir Häuser in arabischen Städten zerstören. Aber kann die Lösung sein, dass wir den Kampf gegen den Terror beenden, weil die Unterstützer des Terrorismus leiden? Sie leiden, weil ihre Führung sie nicht stoppt!
Was verstehen Menschen außerhalb Israels ihrer Meinung nach nicht in diesem Konflikt?
Sie müssen sich daran erinnern, dass wir nie zuerst angegriffen haben, nicht während der Intifada und nicht früher. Wenn Araber getötet werden, dann nur in Reaktion auf ihre Terrorangriffe gegen uns. Viele realisieren nicht, dass ein großer Unterschied besteht zwischen dem absichtlichen Terror gegen unschuldige Leute und dem Töten aus Selbstverteidigung.
Die Kugeln der Armee zielen nur auf Angreifer - und nie gegen Unschuldige. Die Armee unterliegt starken Beschränkungen, die uns viele Leben gekostet haben, weil unsere Soldaten angehalten sind, das Töten unschuldiger Menschen unter fast allen Umständen zu vermeiden. Das bedenken die meisten Leute nicht.
Der Krieg von 1967 zeigte doch aber bereits eindeutig, welche Konfliktpartei militärisch die stärkere ist. Daher gibt es seitdem auch viele Stimmen in der israelisch-jüdischen Gesellschaft, die die Besetzung und die Besiedlung der Gebiete als Fehler sehen.
Menschen vergessen immer wieder, dass dieser Krieg anfing, weil uns die totale Zerstörung durch all unsere Nachbarländer angedroht wurde. Deren Ziel war es, uns ins Meer zu treiben. Sie dachten, dass sie ziemlich einfach gewinnen würden, ohne dass von uns irgendetwas übrig bleiben würde. Es war also ein Verteidigungskrieg und als Gewinner blieben wir temporär in den Gebieten. Der Humorist Kishon witzelte über die Beschwerden, dass wir die Gebiete hielten: „Entschuldigung, entschuldigt bitte, dass wir den Krieg gewonnen haben!“
Seitdem belasten sich viele Intellektuelle und Schriftsteller mit Selbst-Anklagen. Sie denken, dass wir eine große Sünde begehen. Es gab sehr extreme Ausdrücke dieser Tendenz und starke Forderungen, die Westbank aufzugeben, bis hin zur Wehrdienstverweigerung. Es gab einen Prozess in Israel. Dabei haben wir langsam das Vertrauen in uns selbst und den Glauben verloren, dass es unser Recht war, zu kommen und in Palästina zu siedeln. Es begann nach dem großen Sieg im Sechs-Tage-Krieg 1967. Wir blieben in der Westbank, obwohl es nicht unsere Absicht war, diese zu annektieren. Einige Intellektuelle dachten damals, dass wir den Arabern Böses antun, wenn wir uns nicht sofort zurückziehen. Allerdings gab es gar keinen Staat, dem wir das Land hätten zurückgeben können: Jordanien beanspruchte es nicht mehr und es gab gar keine palästinensische Autorität. Wir blieben dort und wir hatten das Recht dazu.
Einige Linke in Israel sehen das anders.
Das ist eine Illusion! Aber es gab immer Illusionen in unserer Geschichte, da man nicht glauben wollte, dass der Feind wirklich so böse war - sogar zu Hitlers Zeit glaubten es Leute nicht. Das ist eine menschliche Eigenheit, das Schlechte nicht sehen zu wollen. Wenn Sie hoffen möchten, täuschen Sie sich selbst.
Sympathisieren „linke“ Intellektuelle mehr mit den Opfern der Nachbarn als mit Israels eigenen Opfern?
Jüdischer Selbsthass hat durchaus eine Tradition in unserer Geschichte, da es immer Juden gibt, die dazu neigen, unsere Feinde zu rechtfertigen, darunter sogar Antisemiten, wie insbesondere in Österreich und Deutschland im 19. Jahrhundert. Die Assimilation brachte Juden dazu, gegen ihre eigenen Brüder zu sprechen, im Wunsch, akzeptiert und gemocht zu werden und den Nicht-Juden zu ähneln. Es gibt ein Buch des Historikers Frederick Greenfield („Propheten ohne Ehre“), welches eine lange Liste der deutschen Juden enthält, die - wie Mahler, Schoenberg, Karl Marx, Marcuse, Ernst Toller, Kurt Tuckolsky, Döblin, Hermann Broch - ihr eigenes Judentum verleugneten. Tragischerweise war es für viele von ihnen zu spät, sich zu retten - und sie fielen den Nazis zum Opfer. Dieser Aspekt der jüdischen Schwäche sickerte meiner Ansicht nach auch in dieses Land ein, obgleich wir auf uns selbst so stolz waren und dachten, dass es nie dazu kommen würde.
Dabei sägen mittlerweile auch die „Neuen Historiker“ am historischen Bild des Zionismus.
Einige Professoren - Historiker - begannen, auf die Geschichte des Zionismus zurückzuschauen und kamen zu sehr merkwürdigen Ergebnissen, die in den 1920er und 30er Jahren ausschließlich von Kommunisten vertreten wurden. Sie beschuldigten den Zionismus, dem Kolonialismus gleich zu sein. Kolonialismus bedeutet, ein Land zu erobern, um seine Ressourcen und Eingeborenen auszunutzen. Der Zionismus vertritt aber etwas ganz anderes: Von Anfang an beinhaltete sein Ethos die Hoffnung, neben den Arabern zu leben und nicht, sie zu ersetzen, sondern ihnen zu helfen, sich zu entwickeln. Vom Kolonialismus ist der Zionismus also weit entfernt.
Eine der Grundideen des sozialistischen Zionismus war, eine Revolution im jüdischen Volk durchzuführen: die „Luftmenschen“ in der Diaspora zu arbeitenden und produktiven Leuten in ihrem eigenen Land zu machen. Dazu gab es einen Slogan der „Eigen-Arbeit“, entsprechend dessen arabische Arbeiter nicht in unseren Farmen angestellt werden sollten, damit aus den einwandernden Juden Arbeiter werden würden.
Die „Neuen Historiker“ begannen, die Grundlage des Zionismus vollständig in Frage zu stellen und beeinflussten damit viele Menschen, denen es an Selbstsicherheit mangelt. Das schwächt uns. Aber was die Masse der „einfachen Leute“ betrifft, die leben entsprechend ihren wahren Instinkten, und es gibt einen starken Instinkt der Selbsterhaltung im jüdischen Volk.
Die meisten auch außerhalb Israels bekannten Schriftsteller assoziieren sich aber eher mit der israelischen Linken.
Ich denke, das trifft auf viele Länder zu, auf Deutschland, Frankreich und sogar die USA. Es ist sehr schwierig zu definieren, was „links“ in Israel bedeutet. Heutzutage bedeutet dieses „links“ eine Tendenz, die Forderungen der Araber zu rechtfertigen. Diejenigen, die als „links“ angesehen werden, sind meistens für einen Rückzug aus den besetzten Gebieten (dem Westjordanland, dem Gazastreifen und Ostjerusalem), um einen palästinensischen Staat herzustellen. Traditionsgemäß bedeutet es jedoch eigentlich, die Ideale des sozialen Fortschritts, der Gleichheit undsoweiter hochzuhalten. Diese Themen spielen allerdings keine Rolle unter den hiesigen „linken“ Intellektuellen.
Haben Sie irgendwann Ihre Meinung zum Zionismus geändert?
Meine Ansicht vom Zionismus war immer dieselbe. Ich bin ein Zionist und sicher, dass die Gerechtigkeit in Bezug auf die Araber auf unserer Seite steht. Wir sind der einzige Staat in der Welt, der von den meisten islamischen Staaten nicht anerkannt wird. Das liegt daran, dass wir der einzige jüdische Staat in der Welt sind. Und ich denke, dass uns niemand helfen wird, wenn wir uns nicht selbst behaupten.
Kennen Sie arabische Intellektuelle?
Ich traf einige Male palästinensische Schriftsteller, zusammen mit anderen israelischen Autoren. Sieben Jahre stand ich dem israelischen PEN-Club als Präsident vor und in dieser Funktion schrieb und appellierte ich häufig nicht nur an palästinensische, sondern auch an ägyptische und andere arabische Autoren, sich auf einen Dialog mit Israel einzulassen. Doch dieser Appell wurde immer grundsätzlich abgelehnt. In den 80er Jahren traf ich auf einem PEN-Kongress in Wien zwei ägyptische Repräsentanten, die sich sogar weigerten, uns zu grüßen.
Wie sahen Begegnungen zwischen israelischen und palästinensischen Intellektuellen aus?
In Israel und in den besetzten Gebieten, in Ramallah, liefen die Sitzungen immer nach dem gleichen Muster ab: die arabischen Autoren lasteten uns all ihre Probleme an – ohne sich jemals selbst für irgendetwas zu tadeln, nicht einmal für die Ermordung von Juden vor dem Sechs-Tage-Krieg. Die Schuld lag immer auf der israelischen Seite. Das ist traurig genug, doch einige meiner israelischen Kollegen akzeptierten, was sie hörten, und verteidigten sich nicht gegen die Anklagen, sondern gaben ihnen Recht. Mea culpa, mea maxima culpa.
Vor diesem Hintergrund, wie sehen Sie den Oslo-Prozess im Rückblick?
Anfangs gehörte ich zu den Befürwortern, weil ich grundsätzlich eine Verhandlungslösung anstrebe. Prinzipiell bin ich für den Rückzug von fast den gesamten besetzten Gebieten. Gleichzeitig bin ich aber dagegen, alle Siedlungen aufzugeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein großer Teil von Eretz Israel, in unserem von der Bibel geprägten historischen Land, auf das sich alle zionistischen Hoffnungen und Träume bezogen, „judenrein“ sein wird. Es kann nicht sein, dass das Land, in dem unsere Kultur geboren wurde, für Juden gesperrt sein soll.
Wie könnte eine Lösung stattdessen aussehen?
Der Schlüssel zu einer Lösung liegt meiner Meinung nach darin, den jüdischen Siedlungen in einem Staat Palästina Autonomie zukommen zu lassen. Natürlich haben die Palästinenser das Recht auf einen Staat, den sie bisher noch nie hatten. Aber die „Palästinensische Nation“ bildete sich erst, nachdem der Zionismus zur Realität geworden war. Vorher gehörten die Araber in Palästina zu Syrien. Die genauen Grenzen dieses Staates werden aber erst noch ausgehandelt werden müssen.
Vielen Dank für das Gespräch.