21.07.2024
Zeinab Badawi: „Eine afrikanische Geschichte Afrikas“
Englisches Buchcover: „An African History of Africa“, Foto: Alicia Kleer.
Englisches Buchcover: „An African History of Africa“, Foto: Alicia Kleer.

Afrikanische Geschichte wurde und wird überwiegend von Weißen geschrieben. Zeinab Badawi will das ändern. Mit „Eine afrikanische Geschichte Afrikas“ bietet sie eine umfassende Geschichte des Kontinents basierend auf afrikanischen Quellen.

Dies ist ein Beitrag unserer Reihe Re:zension. Hier stellen wir regelmäßig Bücher, Filme und andere Medien vor. Wenn Ihr Vorschläge für solche Werke habt oder mitmachen wollt, schreibt uns gerne an [email protected].

Zeinab Badawi ist im Sudan geboren und hat den Großteil ihres Lebens in Großbritannien verbracht. Studiert hat sie an der School of Oriental and African Studies (SOAS), und seit 2021 ist sie Präsidentin der renommierten Londoner Universität. Ihr Buch richtet sich vor allem an jene, die „die Kurzsichtigkeit der postimperialen Bildung hinter sich lassen wollen, und besonders junge[n] Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die mehr über ihre Geschichte erfahren wollen.”

Afrikanische Geschichte – zumindest die, die im globalen Norden bekannt ist – wurde und wird beinah ausschließlich von Weißen geschrieben: Historiker:innen, Missionar:innen und Kolonialist:innen. Dem wollte Zeinab Badawi etwas entgegensetzen:

„Ich wollte dieses Buch schreiben, weil es genau das ist, was ich vor vielen Jahren selbst hätte lesen wollen. […] ich suchte vergeblich nach einer zugänglichen und doch relativ umfassenden Geschichte Afrikas mit besonderem Fokus auf die Schlüsselmomente – und aus der Feder von Afrikanern und Afrikanerinnen.”

Dabei stellt Badawi selbstredend keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie versucht aber über Raum und Zeit hinweg, ein möglichst vielfältiges Bild zu zeichnen. So beginnt sie mit dem Ursprung der Menschheit in Afrika, darauf folgen das „Alte Ägypten“ und die antike Geschichte von Sudan, Äthiopien und Eritrea. Einige der insgesamt 17 Kapitel behandeln spezifischere Themenkomplexe. In Kapitel 14 geht es beispielsweise um den transatlantischen Sklavenhandel und in Kapitel 17 um die Befreiung vom Kolonialismus. Zum Abschluss wirft Badawi im Epilog noch einen Blick auf die Gegenwart und Zukunft Afrikas.

Geschichte schreiben, aber wie?

Um dieses umfassende Werk zu schreiben, reiste Badawi über sieben Jahre durch ganz Afrika, hat Museen und wichtige historische Stätten besucht, mit den verschiedensten Menschen Interviews geführt. Viele davon sind Wissenschaftler:innen, andere Museumsleiter:innen, Menschen aus der Zivilgesellschaft, Politiker:innen und Nachfahren früherer Machthaber:innen. In ihrer Erzählung konzentriert sie sich besonders auf wichtige Personen: „Ich stelle ausgewählte Persönlichkeiten vor, die den Kontinent stark prägten, weil ich glaube, dass Geschichte am besten verstanden wird, wenn sie sich in markanten Bildern einprägt.“

Außerdem stützt sie sich auf die Ergebnisse des Projekts “The General History of Africa” (GHA). In den 1960er Jahren beschlossen einige unabhängig gewordene Länder, ihre Geschichte ebenfalls zu dekolonisieren und traten an die UNESCO heran. Diese rief eine Kommission mit führenden afrikanischen Historiker:innen, Anthropolog:innen, Archäolog:innen und anderen Expert:innen ins Leben. Die Kommission arbeitet fortlaufend daran, afrikanische Geschichte auf Basis afrikanischer Quellen zu verfassen. Daran orientiert sich auch Badawi: „Mit der GHA als Inspirationsquelle und Kompass sind meine Quellen und Referenzen überwiegend afrikanischer und nicht europäischer Herkunft, im Unterschied zu den vielen Geschichten Afrikas von westlichen Autoren.”

Die Frage der Restitution

Auch viele aktuelle Kontroversen werden im Buch aufgegriffen. Darunter die Debatte um Restitution. Am Beispiel der Benin-Bronzen zeigt Badawi, welche absurden Töne angeschlagen werden, um gegen die Rückgabe geraubter Kunst zu argumentieren:

“Im August 2021 verfasste Michael Mosbacher für den Spectator einen Artikel über die Benin-Bronzen, in dem es hieß: ‚Die Tatsache, dass die Objekte aus einem westafrikanischen Königreich stammen, das nicht gerade eine pazifistische, vegane Gemeinschaft war [...], stillt nicht den Appetit derer, die ihre Rückgabe fordern.‛ Damit wird impliziert, dass das Volk von Benin aufgrund der ‚Sünden‛ seiner Vorfahren nicht würdig sei, seine historischen Kunstwerke zurückzuerhalten. Dieselben Leute, die derartige Ansichten vertreten, weisen in der Regel den Gedanken zurück, dass die heutigen Europäer für die ‚kolonialen Sünden‛ ihrer Vorväter verantwortlich gemacht werden sollten. Solche Paradoxe sprechen für sich selbst.“

Badawi arbeitet außerdem heraus, dass moralische Sinneswandlungen in Europa selten ein Motor für Veränderung waren, sondern wirtschaftliche Erwägungen. So wurde die Sklaverei vor allem deshalb abgeschafft, weil sich im Zuge der Industrialisierung die Nachfrage nach Arbeitskraft verändert hat. Auch die Verwaltung der Kolonialgebiete stellte sich langfristig als zu teuer heraus und es war häufig profitabler, den Ländern die Unabhängigkeit „zu gewähren“, als die eigene Macht zu verteidigen.

WANA und Afrika

Deutlich wird in Badawis Buch auch, dass Bestrebungen des Panafrikanismus sowohl arabisch/islamisch geprägte Länder im Norden Afrikas als auch Ost-, West-, Zentral- und Südafrika einschlossen. Ein Aspekt, der eher unterrepräsentiert scheint, da Nordafrika und „Subsahara-Afrika“ oft als getrennte Entitäten behandelt werden. Gerade während der Kämpfe um Freiheit und Unabhängigkeit gab es gemeinsame politische Ziele und Bündnisse. So beschreibt Badawi, der algerische Unabhängigkeitskrieg „weckte Interesse und Sympathie bei Revolutionären und Aktivisten auf dem ganzen Kontinent, und noch während die FLN[1] ihren Krieg führte, unterstützte sie andere Bewegungen, beispielsweise den Kampf des ANC[2] in Südafrika. Eine der ersten Auslandsreisen, die Nelson Mandela nach seiner Befreiung unternahm, führte ihn 1990 nach Algerien.” Als Ghana 1957 seine Unabhängigkeit errungen hatte, “kommentierte der Panafrikanist Nkrumah dies mit folgenden Worten: ­‚Die Unabhängigkeit Ghanas ist bedeutungslos, wenn sie nicht mit der vollständigen Befreiung Afrikas einhergeht.‛“ Er pflegte gute Beziehungen nach Ägypten und meinte die nordafrikanischen Staaten explizit mit.

Revolutionär im Vorhaben, nicht in der Haltung?

Das Vorhaben, eine Geschichte Afrikas aus afrikanischer Perspektive und überwiegend auf Grundlage afrikanischer Quellen zu schreiben, ist nicht nur eine enorme Leistung, sondern traurigerweise auch revolutionär. Badawis Ton hingegen ist eher versöhnlich, geradezu konservativ. Ein Beispiel ist ihre Einordnung des heutigen Umgangs mit kolonialem Erbe und der Frage nach Wiedergutmachungen: „Unabhängig von der persönlichen Haltung ist es wichtig anzuerkennen, dass die Debatte über das Erbe der Sklaverei und des Kolonialismus auf absehbare Zeit anhalten wird. Sie erfordert maßvolle Antworten ohne Vorurteile, Emotionen und Befindlichkeiten auf allen Seiten.“ Auch ihre Überlegungen zu nationaler und ethnischer Zugehörigkeit kommen wenig revolutionär daher. In Reaktion auf eine Studie, die zeigt, dass sich immer mehr Afrikaner:innen stärker mit ihrer Nation als mit ihrer Ethnie identifizieren, schreibt sie: „Ich hoffe, dass sich diese Entwicklung fortsetzt, denn sie kann einer dauerhaften Nationenbildung nur zuträglich sein.“ Nationalstaaten und nationale Zugehörigkeitsgefühle als ethnischer Zugehörigkeit überlegen zu beschreiben, wirkt angesichts der willkürlichen Grenzziehung der Kolonialmächte und des Erstarkens nationalistischer Strömungen wenig progressiv.

Badawis Buch ist allein aufgrund ihres Vorhabens und des Umfangs der Orte, Epochen und Themen beeindruckend. Es ist vollgepackt mit interessanten Fakten und liest sich ohne Vorwissen gut. Jedoch scheint es, als hätte sie im Zuge ihres Projekts viele Konzepte einfach genutzt, ohne sie zu hinterfragen und für die Leser:innen einzuordnen. Wenn sie beispielsweise unabhängig von Raum und Zeit Begriffe wie „Zivilisation“ nutzt, drängt sich die Frage auf, was an jeweiliger Stelle genau gemeint ist. Gerade weil Konzepte wie „Zivilisation“ explizit von Europäer:innen als Rechtfertigung von kolonialen Praktiken genutzt wurden, hätte Badawis Projekt sich angeboten, auch diese Konzepte genauer zu beleuchten und eventuell zu entkräftigen.

 


[1] Nationale Befreiungsfront (franz.: Front de Libération Nationale)

[2] Afrikanischer Nationalkongress (engl.: African National Congress)

 

Zeinab Badawi: Eine afrikanische Geschichte Afrikas. Piper Verlag, München, 512 Seiten, 28 Euro.

 

 

Seit Lissy zwischen 2014 und 2016 in Palästina lebte, interessiert sie sich für die WANA-Region. Besonderes Interesse gilt der Sprache Arabisch, Israel/Palästina und anti-muslimischem Rassismus. Lissy ist Dolmetscherin und Übersetzerin für Arabisch. Im Vorstand ist sie seit 2020 für die Mitgliederbetreuung zuständig.
Redigiert von Emilia SC, Sophie Romy