Am 15. April blinkten die Handys mit Nachrichten von Familienmitgliedern aus dem Sudan. Viele mussten überstürzt fliehen, einige erreichten Ägypten. Eine in Kairo ansässige Initiative berichtet über ihre Bemühungen, zu helfen.
Khartum ist zum tödlichen Kriegsgebiet geworden. Betroffen sind unter anderem strategisch wichtige Orte wie der internationale Flughafen Karthum, von dem nur noch eine Ruine übrig ist, der Präsidentenpalast, das Militärhauptquartier, das staatliche Radio und Fernsehen, aber auch die besten Universitäten. Zum ersten Mal in der Geschichte des unabhängigen Sudan ist die Hauptstadt Khartum die am schwersten betroffene Region. Die Situation ist geprägt von ununterbrochenen Kämpfen, einem Mangel an Lebensnotwendigem, Plünderungen und sexueller Gewalt.
Seit dem 15. April 2023 mussten mehr als zwei Millionen Menschen ihr zu Hause, mitsamt den daran hängenden Erinnerungen, verlassen und bei Verwandten unterkommen. Etwa 70 Prozent von ihnen wurden aus Khartum vertrieben. Die meisten suchen Schutz innerhalb des Sudan. Einige Hunderttausend überquerten die Grenzen der Nachbarländer.
Die Situation an der Grenze
Viele von ihnen reisten an die sudanesisch-ägyptische Grenze, wo sie Reisedokumente und Visa für Ägypten beantragen wollten. In den ersten Wochen des Krieges galt nur für Männer zwischen 16 und 50 Jahren eine Visapflicht. Alle anderen konnten aufgrund eines bilateralen Abkommens ohne Visa einreisen. Ab dem 10. Juni jedoch führte Ägypten eine Visapflicht für alle Männer, Frauen und Kinder ein, die die Grenze überqueren oder auf dem Luftweg einreisen.
Aufgrund der neuen Regelung, müssen Flüchtende nun mit noch längeren Wartezeiten und schlechten Bedingungen an der Grenze rechnen. In Wadi Halfa und Port Sudan, wo Visa bearbeitet werden, wurden bereits Wartende von der sudanesischen Armee (SSF) angegriffen. In Reaktion darauf schrieb die Gruppe Emergency Alliance for Displaced Sudanese in Egypt einen Offenen Brief an die Republik Ägypten, den UNHCR Ägypten und das Außenministerium:
Eine der dringendsten Forderungen der Gruppe ist das Aufheben der Einreisebedingungen für alle, die vor dem Konflikt im Sudan fliehen. Das soll auch für diejenigen gelten, die nur temporäre Dokumente der sudanesischen Grenzbehörde besitzen. Ein Aufnahmezentrum um die Gestrandeten mit Essen, Wasser, Unterkunft und Toiletten zu versorgen, war genauso Teil der Forderungen wie medizinische Notversorgung.
Schon vor der Verschärfung der Regeln kam es bei Visumsanträgen und an den Grenzübergängen zu erheblichen Verzögerungen. Viele Familien mussten ihre männlichen Mitglieder an der Grenze zurücklassen. Trotzdem hat Ägypten bisher die meisten sudanesischen Flüchtenden aufgenommen, vor allem Frauen und Kinder. Bis heute haben es über 215.000 Personen geschafft, trotz der steigenden Ticketpreise, den Strapazen der langen Reise und den schwierigen Bedingungen auf beiden Seiten der Grenze.
Der Zugang zur Grundversorgung ist schwierig
Das Echo des Krieges hallt in Ägypten nach, nicht nur bei den Neuankommenden, sondern auch bei vielen Sudanes:innen, die schon vor dem Konflikt hier lebten. Andere wollten nur kurz in Ägypten bleiben und sitzen jetzt fest. Ein Vater kam beispielsweise für die medizinische Behandlung seines Sohnes nach Ägypten und kämpft jetzt darum, seine Miete bezahlen zu können. Eine junge Frau wurde mit ihrem älteren Vater und ihrem Baby auf die Straße gesetzt, da sie die Miete nicht bezahlen konnte.
Die fliehenden Sudanes:innen befinden sich in einer schwierigen Lage: Sie suchen Schutz in Nachbarländern, die sie nur zögerlich aufnehmen. Wer einen Flüchtlingsstatus beantragen will, muss sich auf lange Wartezeiten einstellen. Ägypten hat zwar sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, als auch die Flüchtlingskonvention der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) von 1969 unterschrieben. Aktueller Forschung zufolge wendet der UNHCR Ägypten jedoch meist die strengere Definition von 1951 an. In dieser werden bewaffnete Konflikte nicht als Begründung für einen Flüchtlingsstatus anerkannt. Um dies zu ändern, wurde die OAU Konvention 1969 verabschiedet.
Unabhängig von den aufenthaltsrechtlichen Fragen ist der Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum für Neuankommende entscheidend. Zwischen den Rechten von Sudanes:innen auf Papier und der erlebten Realität klafft jedoch eine große Lücke.
Sudanesische und ägyptische Staatsbürger:innen haben gleichberechtigen Zugang zum öffentlichen Bildungssystem. Während manche sudanesischen Familien dieses Recht nutzen, zeigt aktuelle Forschung, dass viele es aus Gründen wie Mobbing, Fremdenfeindlichkeit und allgemeiner Überlastung des Schulsystems nicht tun.
Auf dem Papier hat Ägypten auch bezüglich der Gesundheitsversorgung eines der progressivsten Gesetze in der Region: Sudanes:innen haben dieselben Rechte wie ägyptische Staatsangehörige. Das ägyptische Gesundheitswesen leidet jedoch unter Überlastung, Hygienemängeln und verfügt nicht über ausreichend medizinisches Personal. Nicht alle Medikamente sind verfügbar und bezahlbar. Patient:innen mit speziellen Bedürfnissen wie Dialyse, müssen diese aus eigener Tasche bezahlen.
Die größte Herausforderung ist der Wohnraum. Leider werden viele neuankommende Migrant:innen ausgenutzt, vor allem von Vermieter:innen, die zu hohe Mieten verlangen und sich weigern, Mietverträge auszustellen. Viele Migrant:innen und Geflüchtete leben zudem in informellen Siedlungen. Diese sind billiger, bedeuten aber schlechten Zugang zu Schulen und medizinischen Anlaufstellen, sowie Mobbing und Belästigung. Letzteres betrifft vor allem junge, alleinstehende Frauen und unbegleitete Minderjährige.
Wie die Menschen versuchen, an der Basis zu helfen
In Ägypten gibt es eine große Anzahl von Initiativen und Gruppen, die sudanesische Geflüchtete unterstützen. Selbstorganisierte Gruppen von Sudanes:innen kennen die Bedürfnisse der Leute am besten, doch auch sie sind überlastet. Viele dieser Gruppen sind nicht registriert, was bedeutet, dass sie kein Spendenkonto betreiben können. Selbst diejenigen mit Bankkonto können nur Geld aus Ägypten annehmen, jedoch nicht aus dem Ausland. Der Krieg im Sudan wiegt außerdem schwer auf den Mitarbeiter:innen, die selbst Familie in Khartum haben. Um sie ganzheitlich zu unterstützen, müssen wir über das Finanzielle hinausgehen.
Unsere Initiative wurde von Amira Ahmed ins Leben gerufen, einer in Kairo lebenden Migrationsforscherin. In einer WhatsApp-Gruppe teilten wir zunächst Informationen zu Hilfsangeboten für Sudanes:innen, die über Nacht nach Ägypten fliehen mussten und für diejenigen, die an der Grenze festhingen. Durch eine Gofundme-Kampagne sammelten wir 5.000 US-Dollar für medizinische Versorgung, Schulmaterial und für Unterkünfte für Familien mit Kindern.
Wir wollen außerdem die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren. Gemeinsam mit dem Center for Migration and Refugee Studies und der American University in Kairo organisierten wir eine Veranstaltung zum Sudankonflikt und seine humanitären Auswirkungen. In den nächsten Wochen und Monaten bieten wir rechtliche Beratung für Neuankommende aus dem Sudan an. Wir planen Solidaritätskonzerte und Informationsveranstaltungen um Sudanes:innen in Kairo willkommen zu heißen.
Was kann noch getan werden?
Neben privaten Initiativen haben sowohl Unternehmen als auch staatliche Stellen in Ägypten Unterstützung geleistet. Das Ministerium für Gesundheit und Bevölkerung bietet medizinische Versorgung für Schutzsuchende in allen Krankenhäusern nahe der Grenze an. Verschiedene Netzwerkanbieter haben die Roaminggebühren zwischen Ägypten und dem Sudan aufgehoben, um die Kommunikation zu vereinfachen. Ägyptische Jugendgruppen schließen sich der sudanesischen Initiative For Our Sudan an, die in Kairo, Aswan und anderen Städten in Oberägypten Geflüchtete unterstützt. Professor Ibrahim Awad, Direktor des Center for Migration and Refugee Studies, veröffentlichte einen Kommentar in einer der größten Tageszeitungen, Al-Shorouk. Darin forderte er die ägyptische Regierung auf, aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um sudanesische Geflüchtete willkommen zu heißen.
Tag für Tag kommen weitere Menschen in Ägypten an. Wir fordern daher nachdrücklich mehr Unterstützung und die Förderung einer öffentlichen Kultur, die Neuankommende mit offenen Armen aufnimmt.