Am 14. August 2022 löste ein Kirchenbrand im Großraum Kairo Entsetzen aus. In Ägypten beschwört man die nationale Einheit und lässt strukturelle Probleme, Diskriminierung und fehlende Infrastruktur unerwähnt.
Wieder einmal hat es gebrannt. Die vielbesuchte Kirche von Abu-Seifien in Imbaba, im Großraum Kairo, liegt in Schutt und Asche. Dem Feuer sind dieses Mal 41 Menschen zum Opfer gefallen, darunter 15 Kinder. Ägyptische Medien reagieren besorgt, diskutieren über die Brände und spekulieren in banger Erwartung über die Gründe. Kommen Brandstifter wieder ins Spiel? Doch die Spannung hält nicht lange an. Es sei ein „Unfall“ gewesen, kein terroristischer Akt, sondern ein Kurzschluss im eigenen Stromgenerator sei die Ursache.
In Imbama haben es Geschäfte und Einrichtungen ohne Stromgeneratoren nämlich schwer. Der Strom fällt ständig aus. Auf den ersten Blick war das Feuer also ein „Schlag des Schicksals“. Nun bekunden Journalist:innen und Starmoderator:innen ihr Beileid für die Angehörigen der Opfer. Im selben Atemzug loben sie, wie der Staat und seine Institutionen den christlichen „Brüdern und Schwestern“ in dieser Not, wie in allen vorherigen und wohl kommenden auch, auf vollkommene Art und Weise hilft. So soll die Nation beruhigt und die Last der Tragödie auf perfide Weise gemindert werden.
Abweichende Meinungen sind unerwünscht
Die Medien erklären einen Krieg gegen „Gerüchte“; gegen all diejenigen, die anscheinend Zwietracht stiften, die die nationale Einheit und die Integrität des Staates in Zweifel ziehen. Über die genauen Inhalte solch bedenklicher „Gerüchte“ erfahren wir wenig, aber jede Art des kritischen Nachfragens ist damit gemeint. So wurde ein Tweet von Naguib Sawiris, einem berühmten koptischer Geschäftsmann Ägyptens und Gründer der Partei der Freien Ägypter, als zwieträchtig gedeutet. Darin schreibt Sawiris, er würde kein Beileid akzeptieren, ohne dass die genauen Gründe aufgeklärt werden und der wahre Täter des Brandes gefunden ist. Der Tweet sei ein Versuch „das Volk gegen den Staat aufzuhetzen“ meinte Parlamentsmitglied Mustafa Bakri und fügt hinzu, Sawiris stifte „Brand im eignen Land, das schon von innen und von außen bedroht wird.“ Zu Brandstifter:innen können also auch Kopten und Koptinnen werden - zumindest metaphorisch.
Wenige Stunden nach dem „Unfall“ gerieten die Bilder der Katastrophe in den Hintergrund und andere Bilder, allen Ägypter: innen seit Jahrzehnten im Kontext solch tragischer Vorfälle bekannt, rückten in den Fokus: Christ: innen und Muslim:innen halten sich an den Händen, küssen sich auf die Wangen, tauschen Liebeleien aus und beschwören ihre Solidarität und Geschwisterlichkeit. Die Geschichte eines muslimischen Nachbarn der Kirche namens Muhammad Yahia, der sich ins Feuer warf, um einige der Betenden aus der brennenden Kirche zu retten, machte tagelang Schlagzeilen. „Als würden die restlichen Muhammads normalerweise die Kirche lieber in Brand setzen“ kommentierte eine Freundin zynisch das Beharren der Medien, diese Geschichte immer wieder aufzubauschen.
Der Staat vereinnahmt bis in den Tod
Das Problem bei all dem ist weder, dass es unbedingt wirklich einen Brandstifter geben muss, den man nicht finden kann oder will, noch dass Yahias gute Tat keine Aufmerksamkeit verdient hätte. Das Problem liegt darin, dass das Leid der Kopten und Koptinnen scheinbar nur Anerkennung verdient, soweit es sich als Ausnahme von der Regel zeigt: eine tückische Lücke in staatlichen Schutzvorkehrungen, die ansonsten tadellos sind; ein Zufall, ein Unfall, ein Einzelfall des Versehens, der Torheit. Sollte es doch mehr sein als das, dann ist dies auf die Ideologie von außenstehenden „islamistischen“ Staatsfeinden zurückzuführen. Denn nichts entlastet den Staat so gut von seiner Verantwortung wenn die Vorfälle sich häufen, als ein gemeinsamer Feind.
Können Kopten sprechen? – Um Spivaks rhetorische Frage über das Subalterne anders zu stellen – Ja, das können sie, aber Gehör können sie sich dabei nur eingeschränkt verschaffen. Denn wenn sie über ihr Leben sprechen, muss es als Beweis für die nationale Einheit – al-wihda al-watanyya – dienen. Wenn sie also ihre Toten beklagen, dann muss der Brand wiederum als Angriff auf diese nationale Einheit erklärt werden.
Dabei gehen viele komplexe Realitäten und ineinander verwobene Geschichten verloren. Es gibt in Ägypten Mauern, die Christ:innen von Muslim:innen trennen. Und es gibt gleichzeitig gesellschaftliche und politische Verflechtungen, die sie eng verbinden. Angesichts dessen bleibt die viel beschworene „nationale Einheit“ eine leere Worthülse, in deren Namen zu viel Unrecht getan und zu viel Recht verloren geht.
Strukturelle Diskriminierung und fehlende Infrastruktur
Ein Kopte, dem es gelingt, aus dieser Narrative auszubrechen, ist Shady Lewis Botros. Sein Roman „Die Wege des Herrn“ zeichnet mit herausragendem literarischen Genie nach, wie die koptische Frage zwischen dem Hammer der strukturellen Diskriminierung und dem Amboss des repräsentativen Status der Kirche als „Vormund der Christen“ verhandelt wird.
Sein Kommentar zu dem Brandereignis macht einiges deutlich: Wenn ägyptische Christ:innen und Muslim:innen in diesem Zusammenhang als Einheit beschrieben werden könnten, dann als die des gemeinsamen Lebens „in Grauzonen zwischen Legalität und Illegalität“. Denn als solche stelle sich das Leben in vergessenen, infrastrukturschwachen Elendsvierteln wie Imbaba dar, die auch als „Slums“ bezeichnet werden. Der miserable Zustand ähnlicher Viertel spiegele nicht nur ein jahrzehntelanges staatliches Versagen, sondern sei selbst und genau durch den Diskurs der „Grauzonen,“ ein Instrument staatlicher Herrschaft, so Botros.
Die Mauern zwischen der muslimischen und der christlichen Bevölkerung Ägyptens sind aber auch das Erbe struktureller und institutioneller Benachteiligungen der koptischen Minderheit und einer Reihe von etablierten konfessionellen Spannungen. Diese sind identitätsstiftend geworden, äußern sich in mal expliziter und mal implizierter Feindschaft, oder schüren zumindest Misstrauen.
Diese Strukturen bekamen mit der Einführung kolonialer Herrschaftsformen eine konkrete Gestalt, auch wenn sie schon vorher in Ansätzen vorhanden waren. Das zeigt der Historiker Hussein Omar in einem ausgezeichneten Aufsatz zur Rolle der britischen Kolonialmacht über die Verankerung konfessioneller Unterschiede in der ägyptischen Gesellschaft, der jüngst erschienen ist. Diese Strukturen und Spannungen laufen nicht unbedingt gegen den Strich der großen Erzählungen des nationalen Zusammenhalts. Sie können auch, geprägt von staatlicher Repression und Herrschaftstechniken, im Namen der nationalen Einheit aufrechterhalten werden.
Die falschen Fragen
Unmittelbar nach dem Brand der Abu-Sefien Kirche verbreiteten sich über die Sozialen Medien Bilder und Nachrichten von anderen Kirchenbränden in derselben Woche und in anderen Orten Ägyptens. Auch ein Kurzschluss? Eine Verschwörung? Ein zwieträchtiges Gerücht? Oder wieder ein zufälliger Unfall? – Die Gerüchteküche kocht.
Ich kann diese Frage nicht beantworten.
Auch ich möchte viele Fragen stellen, es sind aber andere. Was macht einen Fall zum Un- oder Zufall? Warum sind Kirchen zu eng für Betende geworden? Und was sagt uns das über die jahrzehntelange repressive Politik des Kirchenbaus in Ägypten und über gravierende Mängel an baulichen Sicherheitsvorkehrungen, über die Mada Masr aktuell berichtet hat? Warum sind die Straßen zu voll und zu klein, sodass sogar Rettungsfahrzeuge Schwierigkeit haben, Unfallorte zu erreichen? Warum muss Strom fast täglich und stundenlang ausfallen? Was sagt uns das Leid und der Tod über das Versagen eines Staates der gleichzeitig seine bombastischen urbanen Baupläne groß feiert?
Darauf Antworten zu finden, heißt nicht einen bärtigen „Muhammed“ zu suchen, der den Brand legte, selbst wenn es einige von ihnen gibt. Kopten und Koptinnen brauchen nicht bloß Nachbarn wie Muhamed Yahia, auf die es tatsächlich manchmal ankommt. Was sie brauchen ist die Benennung der unsichtbaren Brandstifter; die Aufklärung über die langen Schatten struktureller Diskriminierung und staatlichen Versagens.