Das Magazin „What’s Afghan Punk Rock, Anyway?!“ bietet einen einzigartigen Raum für Stimmen aus der globalen Diaspora. Dis:orient sprach mit Gründerin Armeghan Taheri über Misfits, Traumabewältigung und Tabus.
Wie soziale Nähe herstellen trotz aufgezwungener körperlicher Distanz? Diese Frage stellen sich im Zeichen der Corona-Pandemie mehr Menschen als je zuvor. Für die Diaspora ist dies jedoch nichts Neues. An wichtigen Festen nicht beisammen sein zu können, ist in vielen Familien mit Flucht- oder Migrationsgeschichte kein Ausnahmezustand, sondern Alltag.
Eine ähnliche Frage, wie sich über Grenzregime und unterschiedliche Sprachen hinweg Gemeinsames teilen lässt, umtrieb Armeghan Taheri: „Ich wollte andere Leute finden, die gesellschaftlichen Widerstand leisten, die sich weder in der Mehrheitsgesellschaft noch in der Community wirklich aufgehoben fühlen“. Kurzerhand gründete sie das „What’s Afghan Punk Rock, Anyway?!“, ein jährlich erscheinendes Magazin, das sowohl gedruckt als auch digital erscheint.
Eine Plattform für das Dazwischen
Die Reaktion auf den ersten Open Call beschreibt die 31-Jährige, die im Alter von vier Jahren mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland kam, als „umwerfend“. Aus der ganzen Welt hätten sie Zusendungen erreicht. Dabei entschied sie sich bewusst dafür, die Formate möglichst breit zu halten. „What’s Afghan Punk Rock, Anyway?!“ beinhaltet Gedichte, Kurzgeschichten, Essays sowie Comics, Bilderstrecken und andere visuelle Formate. Das Cover der ersten Ausgabe, die Mitte 2019 erschien und deren Printversion schon lange vergriffen ist, steuerte Künstler*in ggggrimes bei.
Anders als der Name es vermuten lässt, sind die Inhalte thematisch auch keineswegs auf eine bestimmte Community beschränkt. „Es geht nicht ums Afghanischsein, sondern darum, sich gewissen gesellschaftlichen Normen nicht anzupassen“, sagt Armeghan Taheri, die nach Studium in London und New York inzwischen in Berlin wohnt. Mit Nichtanpassung ist keineswegs nur die Mehrheitsgesellschaft gemeint. Vielmehr geht es darum, Probleme und Tabus innerhalb der Communities anzusprechen: Intergenerationelle Traumata, Sucht, Sexualität, Gewalt, Queerfeindlichkeit. „Wir müssen die interne Kontrolle über diese Diskurse gewinnen, die wegen der Stigmata der Mehrheitsgesellschaft nicht ausreichend besprochen wurden,“ beschreibt Armeghan ein Ziel des Magazins. Gleichzeitig wird so auch die Absolutheit von Kategorien wie „People of Color“ herausgefordert, die allzu häufig eine Solidarität implizieren, die es in der Realität häufig nicht gibt.
Daher auch die Entscheidung zur analogen Magazinform anstelle eines Online-Magazins oder Blogs. Das Heft solle ganz bewusst in der Hand von Leuten landen, die Interesse haben und sich mit dem Profil identifizieren können. Auf hässliche Online-Kommentare hat Armeghan keine Lust.
Alles im Alleingang, dafür ohne Agenda
Die zweite Ausgabe steht unter dem Motto „Love“. Auch dies ein aufwändig gestaltetes, originelles Heft, dessen Collagenartigkeit ein ganz eigenes Leseerlebnis kreiert. Immer wieder ertappt man sich dabei, ein weiteres Mal durch die Seiten zu blättern, sei es, um ein kurzes Gedicht erneut zu lesen oder eine Fotostrecke mit neuen Gedanken anzusehen.
Das ist umso bemerkenswerter, als dass die redaktionelle Arbeit bislang quasi von Armeghan im Alleingang gemacht wird. Einnahmen erzielt sie nur aus dem Verkauf der Print- und PDF-Ausgaben des Magazins. Sie wolle sich nicht abhängig machen von externen Geldgeber*innen und deren möglicher Agenda, sagt sie. Und so ist es nicht zuletzt eine ungewohnt angenehme Erfahrung, ein Magazin ohne jegliche ablenkende Werbung zu lesen.
„What’s Afghan Punk Rock, Anyway?!“ tastet sich an Gemeinsamkeiten ran, ohne in starren Kategorien zu denken. Ein fraglos schöner Weg, um Nähe herzustellen.
Übrigens: Seit kurzem ist der Call for Submissions für die dritte Ausgabe von „What’s Afghan Punk Rock, Anyway?!“ online. Thema diesmal: Zukunft.