26.09.2019
Neue Welle von Verhaftungen in Ägypten
Der ägyptische Bauunternehmer Mohamed Ali kritisiert seit zwei Wochen die ägyptische Regierung auf Facebook und YouTube. Hunderte gingen daraufhin auf die Straße. (YouTube-Screenshot von https://www.youtube.com/watch?v=jSq0OUFq9KU.
Der ägyptische Bauunternehmer Mohamed Ali kritisiert seit zwei Wochen die ägyptische Regierung auf Facebook und YouTube. Hunderte gingen daraufhin auf die Straße. (YouTube-Screenshot von https://www.youtube.com/watch?v=jSq0OUFq9KU.

Hunderte Ägypter*innen hatten am vergangenen Freitag gegen den ägyptischen Machthaber al-Sisi demonstriert. Dieser reagierte mit Repression – und bizarren Erklärungsversuchen. Von The Pharaoh's Goats*

Die mit dem Ludovic Trarieux Award ausgezeichnete Menschenrechtsaktivistin Mahienour El-Masry wurde am Sonntag nach Verlassen des Hauptgebäudes der Generalstaatsanwaltschaft in Kairo verhaftet. Als Anwältin hatte sie dort gerade mehrere Demonstrant*innen vertreten, die letzten Freitag und Samstag an den Protesten in Kairo und anderen Städten Ägyptens teilgenommen hatten. Mahienour El-Masry ist eine politische Aktivistin und Menschenrechtsanwältin, die bereits 2013 und 2015 aufgrund ihrer politischen Aktivitäten und Teilnahme an Demonstrationen verhaftet wurde und dafür einige Monate im Gefängnis verbringen musste.

Was führte zu den Demonstrationen?

Mindestens mehrere hundert Ägypter*innen waren dem Aufruf des ägyptischen Bauunternehmers Mohamed Ali gefolgt, am Freitag auf die Straße zu gehen und den Rücktritt des amtierenden Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi zu fordern. Mohamed Ali, der lange Zeit für die ägyptische Armee und die Regierung gearbeitet hatte, veröffentlichte in den letzten Wochen täglich mehrere Videos auf seiner Facebook-Seite „Mohamed Ali Secrets“, in denen er beschreibt, wie die ägyptische Regierung mit öffentlichen Geldern des Landes umgeht.

Ali legte in diesen Videos Korruption und Verschwendung offen. So wurden laut seiner Aussage beispielsweise mehrere Präsidentenpaläste gebaut, wobei nach Fertigstellung aufgrund der Unzufriedenheit der Ehefrau des Präsidenten zusätzliche Umbauten vorgenommen wurden, die weitere Millionen ägyptische Pfund kosteten. Mohamed Ali selbst profitierte lange Zeit von der Arbeit für die Regierung, doch als diese ihm nun mehrere hundert Millionen Pfund schuldete, begann er mit der Veröffentlichung der Videos. Al-Sisi reagierte auf die Vorwürfe mit der Aussage: Ja er habe Präsidentenpaläste gebaut und er werde noch mehr davon bauen lassen, wenn dies für das Land nötig sei.

Nachdem zunächst fast niemand auf dem berühmten Tahrir-Platz zu sehen war, versammelten sich im Laufe des Abends und der Nacht immer mehr Demonstrant*innen an verschiedenen Orten in mehreren Städten Ägyptens und forderten lautstark den Rücktritt des Amtsinhabers. „Hau ab!“ und „Es reicht!“ waren die alles durchdringenden Rufe, die Demonstrant*innen an Präsident al-Sisi richteten. Laut dem Egyptian Center for Economic and Social Rights sind daraufhin mittlerweile fast 2.000 Menschen verhaftet worden.

Viel Grund zur Unzufriedenheit

Abseits der Korruptionsvorwürfe kritisiert Mohamed Ali die zahlreichen Probleme, die al-Sisi seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2014 nicht in den Griff bekommen hat. Während die Lebenshaltungskosten immer höher werden, leidet das ägyptische Volk stark unter weit verbreiteter Armut, fehlenden Arbeitsplätzen, dem schlechten Bildungssystem, der mangelhaften Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt der Unterdrückung von Meinungs- und Pressefreiheit.

Laut Human Rights Watch befinden sich mehrere hundert Menschen in Gefängnissen, weil sie sich kritisch gegenüber dem Regime geäußert haben. Auch einige Kandidaten, die sich für die Präsidentschaftswahl Anfang des letzten Jahres hatten aufstellen lassen, wurden verhaftet. Hinzu kommt die Sperrung mehrerer Internetseiten: Seit dem 23. September 2019 ist sogar die internationale Version des Online-Nachrichtenportals der BBC gesperrt. Es gibt Berichte, dass die Regierung auch dafür verantwortlich sei, dass der Facebook Messenger und die Facebook Live-Video-Funktion derzeit nicht oder nur gestört funktionieren. Weitere gesperrte Seiten sind unter anderem die ägyptische, unabhängige Nachrichtenseite Mada Masr und Human Rights Watch.

Angeblich veraltetes Bildmaterial

Während al-Sisi in New York von Donald Trump zur UN-Generalversammlung herzlich begrüßt wird und dieser die außerordentlich guten Beziehungen zu Ägyptens Präsident bestätigt, versucht die ägyptische Regierung nach neuesten Aussagen die auf Facebook veröffentlichten Videos als altes Bildmaterial darzustellen. Dass bei den Protesten vom vergangenen Freitag und den damit verbundenen Videos andere Sprechchöre zu hören sind als jene, die bei Demonstrationen gegen Mubarak 2011 und Mursi 2013 skandiert wurden, wird so erklärt, dass eine andere Audio Spur über die Videos gelegt wurde. In einer transparenten Medienlandschaft könnte dies einfach widerlegt werden, würden die Videos unabhängig analysiert.

Ebenfalls versuchte die Regierung mit Hilfe des staatlichen Fernsehens die Proteste und die Vorwürfe durch Mohamed Ali mit der in Ägypten verbotenen Muslimbruderschaft in Verbindung zu bringen und ihn damit zu diskreditieren. Dies wurde jedoch recht schnell von vielen Ägypter*innen als verzweifelte Falschaussagen enttarnt, da keine Verbindung Mohamed Alis zur Muslimbruderschaft nachgewiesen werden kann. Ebenso sind diese Aussagen in Zusammenhang mit Alis langer Zusammenarbeit mit der ägyptischen Regierung wenig plausibel.

Aufruf zu neuen Protesten

In einem seiner jüngsten Videos rief Mohamed Ali zu einem „Million Men March“ am kommenden Freitag auf und kündigte seine Rückkehr nach Ägypten an. Ob dies allerdings möglich ist, nachdem er laut eigenen Aussagen sogar im selbst gewählten Exil in Spanien von „officers“ verfolgt werde, bleibt fraglich. Bei einer Ankunft in Ägypten wäre sehr wahrscheinlich, dass er von ägyptischen Behörden festgenommen wird.

 

*Die Autorin ist eine deutsch-ägyptische Bloggerin, die hier aus Sicherheitsgründen unter dem Namen ihres Blogs "The Pharao's Goats" veröffentlicht, wo dieser Beitrag zuerst erschien.

Artikel von The Pharaoh's Goats
Redigiert von Maximilian Ellebrecht, Lissy Kleer