27.02.2019
Iranisches Kino: Abbild einer heterogenen, vielfältigen Zivilgesellschaft?
Iranisches Kino ist weltweit bekannt, viele Regisseur*innen werden für ihre Filme ausgezeichnet. Wie werden ethnische Minderheiten in iranischen Filmen dargestellt? Bildquelle: https://www.travestyle.com/wp-content/uploads/2018/01/iranian-films.jpg
Iranisches Kino ist weltweit bekannt, viele Regisseur*innen werden für ihre Filme ausgezeichnet. Wie werden ethnische Minderheiten in iranischen Filmen dargestellt? Bildquelle: https://www.travestyle.com/wp-content/uploads/2018/01/iranian-films.jpg

Der iranische Film ist trotz kulturpolitischer Hürden ein Zeugnis der Entwicklung der iranischen Gesellschaft und Alltagskultur sowie der persischen Sprache. Wie werden Vielfalt, Moderne, Identität im iranischen Film dargestellt? Welche Positionen und Sichtweisen werden vertreten? Der Islamwissenschaftler und promovierte Iranist Homayun Alam analysiert die Repräsentation ethnischer Minderheiten im iranischen Film.

Der iranische Film und das iranische Kino sind weltweit bekannt und werden von internationalen Filmkritiker*innen hoch gelobt, so wurden iranische Regisseur*innen und Drehbuchautor*innen in den letzten Jahren für ihre Werke ausgezeichnet. Die Themenvielfalt im iranischen Film ist tatsächlich umfangreich. Viele Filme geben präzise Einblicke in die Vielschichtigkeit des alltäglichen Lebens in Iran.

Im heutigen Iran leben zahlreiche ethnische, religiöse und sprachliche Gruppen, die im Verhältnis zur Nationalsprache (Persisch), Nationalreligion (schiitisch-islamisch) und Nationalethnie (Perser) als Minderheiten gelten. In diesem Artikel versuche ich den folgenden Fragen nachzugehen: Wie werden die ethnischen Minderheiten im iranischen Film thematisiert? Welche Rolle sollen sie spielen und wie werden sie dargestellt? Welchen Einfluss hat die Kulturpolitik der Islamischen Republik Iran auf die Produktion von Filmen im Land?

Ethnizität im iranischen Film

Um diesen Fragen nachgehen zu können, habe ich zehn Filme ausgewählt, die durch ihren kommerziellen Erfolg einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden konnten. Mein besonderes Interesse galt der filmischen Darstellung der ethnischen Vielfalt Irans. Diese sind manchmal nicht schwer zu entdecken, sodass ich mir folgende Fragen stellte: Orientieren sich iranische Filme in ihren Darstellungen zum Thema Ethnizität an stereotypen Merkmalen, oder setzt der Film voraus, dass Filmemacher*innen und Publikum eine ähnliche Vorstellung von einer Ethnie haben? Können iranische Filme generell etwas über den Minderheitendiskurs in der iranischen Öffentlichkeit aussagen?

Auf Antworten stößt man nicht auf den ersten Blick, wenn man sich einen iranischen Film anschaut. Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass Vorurteile und ihre Entstehung oder auch das Verhältnis des Nationalstaates zu Ethnizität und Religion sich stets in den Filmen wiederfinden. Ethnizität wird in den Filmen außerdem als Variable benutzt, um ethnische Marker, ethnische Elemente, identitätsstiftende Momente und multiple Identitäten zu gestalten. Einige gängige Stereotype sind beispielweise, dass Kurden durch ihren politischen Aktivismus, Afghanen durch ihr Sozialverhalten und Balutschen durch ihre Kleidung auffallen.

Die Rolle der Kulturpolitik

Die Kulturpolitik seit 1979 ist eines der Themenfelder, die man mit Sorgfalt und Vorsicht betreten sollte. Iranische Kulturpolitik geht mit einer vorgeschalteten Inspektion und einer nachträglichen inhaltlichen Zensur einher. Seit den Anfängen der Revolution sind alle Schriftsteller*innen, Kunstschaffende, Wissenschaftler*innen und Filmemacher*innen von der Zensur betroffen. Hier sollte man sich die Bedeutung des Ministeriums für Kultur und der Auflagen für den iranischen Film und das Kino vor Augen führen.

Diese staatlichen Grenzen führen, so behaupten manche, zu einem etwaigen Verfall der „freien“ Kultur. Sie werden von den Betroffenen nicht einfach hingenommen, es kommt immer wieder zu Widerstand. Dagegen schwören die Zensurbehörden auf ihre Ideologie, die eng mit dem Irak-Iran-Krieg verknüpft ist: Die als Genre im iranischen Film etablierten Kriegsfilme wurden seit dem Ende des Krieges für einen visuellen Märtyrerkult verwendet. Durch solche staatlichen Eingriffe und die Förderung von Filmen über den achtjährigen Irak-Iran-Krieg, sollte Nationalismus zunächst aufgebaut und bis heute am Leben gehalten werden. Demnach sind die Filme ein revitalisierender Rückgriff auf die Tugenden, Werte, Normen und die Moral der Zeit des Krieges.

Dieser nicht zu unterschätzende Nationalismus ist für die Revolution von 1979 insofern bedeutsam, dass er sowohl der Katalysator für die Revolution an sich war, als auch das kollektive Gedächtnis im Sinne des revolutionären Gedankens beinhaltet. In vielen iranischen Filmen ist auffällig, dass ethnische Gruppen in ihrer regionalen Einordnung mit der revolutionären Ideologie von 1979 als konform beschrieben werden. Zwar werden ethnische Minderheiten immer noch durch Klischees und Stereotype charakterisiert, aber dennoch als treuergebene Bürger*innen des Landes dargestellt.

Die Kulturpolitik behält dabei die Islamkonformität stets als Hauptkriterium im Auge. Dem Ministerium für Kultur obliegt die Aufsicht von Dreh- und Produktionsgenehmigungen. Demnach muss jeder Film einige vorgeschaltete Instanzen „überstehen“, um mit den kulturpolitischen Sitten und Gesetzen konform zu sein. Durch die ,,commandments for looking“ (nach islamischen Kriterien einen Film anschauen) wird sichergestellt, dass das iranische Publikum im öffentlichen Bereich keinen Film ansieht, der nicht den islamischen Kriterien entspricht.

Wie wird Ethnizität dargestellt?

Die Frage, die sich stellt ist, welche Rolle Ethnizität in den zehn Filmen spielt beziehungsweise wie sich der Einsatz, die Nutzung und die Häufigkeit von Ethnizität und ethnischen Elementen in einem iranischen Film gestalten?

In der historischen Entwicklung des iranischen Filmes zwischen 1980 bis 2010 sind stereotype Protagonisten*innen auszumachen. Festzustellen war dies im ersten Jahrzehnt nach der Revolution (1980-1990) am Beispiel des Underdogs und dessen Persönlichkeitsentfaltung. In der ersten Epoche waren in den gesichteten Filmen wenige Frauen wahrzunehmen. Wenn, dann nur marginal und als verschämt auftretend. Zuschauer*innen könnten aus heutiger Sicht primitive, altmodische Strukturen bemerken, die ihnen in der damaligen Zeit möglicherweise vollkommen natürlich und nicht weiter bemerkenswert vorkamen.

Im darauf folgenden Jahrzehnt (1990-2000) lag der Fokus auf dem Individuum in der iranischen Gesellschaft. Frauen rückten immer mehr in den Vordergrund. Im dritten Jahrzehnt (2000-2010) widmete sich der iranische Film unter anderem dem durch Transnationalität mitgeprägten Diskurs, etwa in Bezug auf das Nachbarland Afghanistan. Sittliche Vorgaben wurden oft gebrochen, zum Beispiel in der Darstellung der Frauen, den geführten Monologen, Dialogen oder Interaktionen.

Es kann also davon ausgegangen werden, dass durch die Kommunikation und die Rollenverteilung sogenannte alte Barrieren, wie zum Beispiel die Tabuisierung von gesellschaftlichen und geschlechtsspezifischen Themen, relativiert werden konnten. Dabei ist nicht nur das Produktionsjahr eines Filmes relevant, sondern auch dessen Thematik.

Der thematische Diskurs der Filme war vom Beginn der Revolutionsjahre an eng mit dem achtjährigen Irak-Iran-Krieg verbunden (1. Jahrzehnt). Im Anschluss daran trat eine Phase der relativen Erholung vom Krieg und einer allmählichen Öffnung des Landes zum westlichen Ausland ein (2. Jahrzehnt). Schließlich ereigneten sich unter anderem soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umwälzungen (3. Jahrzehnt).

Im ersten Jahrzehnt (1980-1990) wurden zudem viele Kinos geschlossen oder in Brand gesetzt. Jedoch hat das gesellschaftliche Interesse am Film bis heute nicht abgenommen. Zumal der Film Ta‛m-e Gilās (dtsch.: Der Geschmack der Kirsche) auf internationaler Ebene einen der renommiertesten Preise bei den Filmfestspielen in Cannes (1997) gewinnen konnte, was der Beweis sowohl für die nationale als auch die internationale Reputation und den Erfolg iranischer Filme ist.

Interessant wird es, wenn Zuschauer*innen durch das Verhältnis von Religion und Ethnizität ein näheres Bild der multiplen Identität von ethnischen Minderheiten vermittelt werden soll. Religion und Ethnizität sind wichtige, eng zusammenhängende Faktoren, da sich auf die Identität von Iraner*innen sowohl negativ als auch positiv auswirken können. So kann sich beispielsweise ein Kurde auf gesellschaftlichem Parkett in einer Interaktion mit einem anderen Kurden nicht solidarisch, konform oder gar brüderlich verhalten, falls der Faktor Konfession (schiitisch vs. sunnitisch) ins Spiel kommt.

//commons.wikimedia.org/wiki/File:Ethnicities_and_religions_in_Iran.png?uselang=de

Aufgrund von Konfessions- oder Religionszugehörigkeit können dagegen auch weitreichende Interaktionen mit anderen Ethnien entstehen, wobei der Grad und die Ausrichtung dessen im Ermessen eines Individuums oder einer Gruppe liegen. Es geht um Eigen- und Fremdzuschreibungen auf gesellschaftlicher, gemeinschaftlicher, kulturpolitischer und sozialer Ebene.

Regionalität, Minderheiten und Politik

Die regionale und auch ethnische Einordnung eines iranischen Filmes kann einen näheren Einblick in die territoriale Verortung der ethnischen Minderheiten vermitteln. Bei der Thematisierung von Klischees und Stereotypisierungen waren die Eigen- und Fremdzuschreibung, Inklusion und Exklusion, die Kategorien Moderne und Tradition, ethnische und kulturelle Zugehörigkeit, Kollektive und Individuen die bestimmenden Faktoren, um ein besseres Verständnis der Entstehung von Klischees und Stereotypen zu entwickeln.

Minderheiten und Mehrheiten sind nicht nur durch ihre zahlenmäßige Aufteilung definiert, sondern auch durch ihre Dominanz in Medien und Bildungseinrichtungen wahrnehmbar. Dies bedeutet, dass gerade durch Bildung bestimmte Selbst- und Fremdbilder, Mythen, Werte, Normen und Narrative produziert werden können: So kann eine Ethnie in den Vordergrund der Gesellschaft rücken, sichtbar werden und dominant sein, sodass alle Gesellschaftsmitglieder lernen müssen in ihrer Sprache zu schreiben, zu lesen und zu denken.

Wie durch Filme sichtbar wird, können Pluralismus und kulturelle Diversität im heutigen Iran und auch in der weiteren Region Westasien existieren, solange sie nicht mit der dominanten Gruppe konkurrieren oder einen Anspruch auf Gleichstellung in öffentlichen Sphären verlangen. Klassische Beispiele für die Aushandlung von Diversität sind die ethnischen Minderheiten des Irans, wie etwa Kurden, Azeris oder Balutschen.

Das zentrale Element iranischer Filme ist ihre natürliche, alltägliche, zwischenmenschliche, manchmal dörfliche, öfter städtische Umwelt, in der die Menschen leben. Davon kann man sich bei vielen Filmen bereits in ihren ersten Sequenzen durch die Einblendungen von Bergen, Tälern, Flüssen, Lehmhäusern, ethnische markierter Kleidung oder abgespielter kurdischer, türkischer und persisch-afghanischer Musik überzeugen lassen.

Film als Medium der iranischen Gesellschaft

Das Medium Film ist im heutigen Iran zu einem Botschafter für die iranische Gesellschaft geworden, was in erster Linie auf iranische Regisseur*innen und auch auf die ausländische Rezeption zurückzuführen ist. In einem iranischen Film kann man den gesellschaftlichen Zeitgeist, im Vergleich mit einem soziologischen Buch, mitunter viel mehr und auf eine andere Weise kennen lernen. Die analysierten Filme leisten einen wichtigen Beitrag zur Akzeptanz von Minderheiten, indem sie die Herabsetzung von Minderheiten, die üblicherweise einer niedrigeren sozialen Schicht angehören, zumindest (kritisch) darstellen.

Mögen iranische Filme auch nicht den Diskurs über Minderheiten vorgeben, so sind sie der öffentlichen Meinung in vielen Fällen einen Schritt voraus und beeinflussen diese hinsichtlich einer positiven Öffnung hin zu einer pluralistischen, Minderheiten akzeptierenden Gesellschaft.

 

Homayun Alam ist Politikwissenschaftler und Iranist. Dieser Text basiert auf der Forschung für seine Promotion (2014) zu ethnischen Minderheiten im iranischen Film.

Artikel von Homayun Alam
Redigiert von Clara Taxis, Julia Nowecki