Ahmad ist von Ägypten nach Deutschland gezogen, um hier zu studieren. Im Gespräch mit Aisha Abdelrahman erzählt er von seinen ersten Erfahrungen, Berliner WGs und den Schwierigkeiten Deutsche kennenzulernen.
Berlin Kreuzberg im Spätsommer. Ahmad, der 21 Jahre alt ist, kommt pünktlich zu unserem Termin. Mit einem freundlichen Lächeln und unsicheren Blick begrüßt er mich. Er brachte türkische Kekse mit, die den ägyptischen ähnlich sind. Ahmad scheint aufgeregt zu sein und redet erst einmal nicht viel. Er trinkt schwarzen Tee und bleibt in seiner Jacke sitzen, die Hände nah am Körper.
Wie viele seiner Freunde entschied sich Ahmad Ägypten in Richtung Deutschland zu verlassen. Er war noch nie dort gewesen und sprach kein Deutsch. Seit acht Monaten wohnt er nun in Berlin, wo er nach mehreren Umzügen in Neukölln gelandet ist. Hier nimmt er Deutschunterricht und wiederholt demnächst zum zweiten Mal den Sprachtest. Wenn er ihn schafft, kann er in Karlsruhe einen Vorbereitungskurs für ein Studium beginnen. Wie es weiter gehen wird, weiß Ahmad derzeit aber nicht.
„Pass auf mein Sohn, die Deutschen sind streng und rassistisch”
Ahmad stammt aus einer Familie der ägyptischen Mittelschicht. Sein Vater ist Rechtsanwalt und seine Mutter Ingenieurin. Auch Ahmad wollte Ingenieur werden. Doch sein Abitur war nicht „gut genug“: nur 92 Prozent. Das reichte nicht für das angestrebte Studium. So bewarb er sich für eine private Universität. Diese war teuer und bietet – genauso wie die staatlichen Universitäten – keine ordentliche Ausbildung an, sagt Ahmad.
Bald sah Ahmad in Ägypten deshalb keine Perspektive mehr für sich und überlegte, gemeinsam mit seiner Cousine in Deutschland zu studieren. Einfach weil es sich attraktiv anhörte. Es überraschte ihn, wie viele Leute Ägypten verlassen möchten. Alle wollten nach Europa – wo es frei und offen ist, viele schöne Frauen und genügend Geld gebe, wie er sich erinnert. „Es gibt immer das Klischee, dass es in Europa besser als in Ägypten ist. Aber sicherlich ist die Ausbildung in Deutschland viel besser als in Ägypten”, erzählt Ahmad. Man studiere in Ägypten an der Universität, was man in Deutschland für das Abitur lerne. Außerdem wollte Ahmad gern selbständig sein und sein eigenes Geld verdienen.
Doch als er sein Visum für Deutschland erhielt, bekam Ahmad Angst. Er würde an einen Ort gehen, wo er kaum jemanden kenne. Bestimmt werde das schwer und doof, dachte er. „Ich war ängstlich und unsicher, aber nicht so, dass ich die Reise absagen wollte. Ich konnte nicht glauben, dass ich wirklich nach Europa reisen und völlig selbständig sein soll.“ Viele Fragen hatte er im Kopf: Wie wird es sein, eine Arbeit und Unterkunft zu finden? Sind die Leute freundlich oder rassistisch? Um sich auf seine Reise vorzubereiten, las Ahmad viele Artikel. So erfuhr er unter anderem, dass die Geschäfte in Deutschland teilweise schon um sechs Uhr schließen – eine sehr ungewohnte Vorstellung für ihn.
Bis dahin hatte Deutschland für ihn vor allem zwei Dinge bedeutet: Disziplin und gute Mechanik. „Mein Vater sagte mir: Pass auf, Ahmad, die Deutschen sind streng und rassistisch. Wenn jemand dich provoziert, geh ihm aus dem Weg und mach keine Probleme”. Seine Mutter machte sich indes so große Sorgen, dass sie Ahmed zum Bleiben überreden wollte.
„Mein erster Kulturschock waren die Fragen der Behörden”
Das Visum bekam Ahmad letztlich zu spät und verpasste deswegen die Zulassungsprüfung für die Universität. Ohne Wohnung und mit nur geringen Deutschkenntnissen landete er in Berlin bei einem Freund in Köpenick. Dort läuft Ahmad zum ersten Mal durch Straßen. Alles sieht ganz anders aus als zuhause. Er hat Spaß daran zu schauen, wie alles hier abläuft: Wie sehen die Leute aus und was essen sie?
Sein erster Kulturschock aber waren die Fragen der deutschen Behörden. In Ägypten musste Ahmad nichts machen, außer seinen Personalausweis zu zeigen. Doch auf einmal Fragen in einer fremden Sprache richtig zu beantworten, sei ihm schwer gefallen: „Manchmal bin ich sehr frustriert. Zum Beispiel, wenn ich einen rassistischen Mitarbeiter in der Ausländerbehörde treffe. Aber dann denke ich an die ägyptischen Beamten, die genauso mit mir umgingen“.
Zunächst wusste Ahmad nicht, wie er eine Wohnung in Berlin finden könne. Sein Freund half ihm. Er ließ ihn mit in seinem Zimmer wohnen, das in einer WG mit einem deutschen Paar und einem russischen Studenten war. Ahmad hatte schon vorher gehört, dass man in Deutschland den Müll trenne. Aber er war schockiert, als sein Mitbewohner wollte, dass er sogar die Eischalen abwaschen solle. „Ich bin ja anders, aber ich finde die Deutschen nicht komisch oder so. Es gibt klare kulturelle Verbindungen, wir sind alle Menschen und denken am Ende gleich.” Allerdings habe man in dieser WG die anderen Mitbewohner höchstens begrüßt und ansonsten nicht viel miteinander gesprochen. Nach sieben Monaten wechselte Ahmad dann in eine „arabische WG“ in Neukölln.
„Ich dachte, mein Leben hier wird stabil”
Anfangs dachte er, es wäre einfach Deutsche kennenzulernen. „Ich habe aber Ägypter kennengelernt, die mich in ihren ägyptischen Kreis gebracht haben und seitdem bin ich in diesem Kreis. Ich habe noch keinen Sprachkurs oder eine andere Gelegenheit, um Deutsche zu treffen. Öfter verstehe ich ihr Verhalten nicht oder das, was sie sagen. Ich bin selbst eher zurückhaltend und es dauert bei mir etwas, bis ich jemanden kennenlerne.”
Ahmad hatte sich erhofft, dass sein Leben hier schnell stabil sein würde. Aber: „Ich habe noch keinen Studienplatz und wenn doch, dann werde ich nach Karlsruhe ziehen und dort neu anfangen”, sagt er. Er hatte sich auch nicht träumen lassen, jemals über 600 Euro pro Monat an Lebenshaltungskosten auszugeben. Alltägliche Kosten wie zum Beispiel Zugtickets hatte er nicht mitgerechnet.
Insgesamt bezeichnet Ahmad sich als integriert und sagt, er habe keine großen Schwierigkeiten. Der Rest könne sich ja später ändern, wenn er studiert. Es sei aber schon komisch, dass so viele Deutsche am Wochenende nur in die Bar oder Disco gingen. Gefällt ihnen denn nichts anderes als Essen zu gehen oder Fußball zu spielen, fragt er. Damit könnte er irgendwie nur schwer umgehen. „Was soll ich denn dann machen, außer nur mit Arabern oder Türken unterwegs zu sein?“
Sich selbst neu entdecken
So hat Ahmad in Deutschland auch etwas Neues an sich entdeckt: „Ich interessiere mich für andere Kulturen, will diese verstehen: Warum geht man hier gerne in eine Bar, und warum mögen die Deutschen alte Möbel?”. Deswegen möchte sich Ahmad gerne weitere Kulturen und Länder ansehen. „Solche Interessen kennen wir in Ägypten gar nicht, sogar über Afrika haben wir keine Ahnung.”
Wenn man mit anderen Kulturen umgeht, lerne man, sie zu respektieren, sagt Ahmad. Zum Beispiel: Homosexuelle. „Ich muss ja nicht mit denen in einer Wohnung wohnen, aber ich habe Respekt vor ihnen und falls es mal passiert, werde ich normal mit ihnen umgehen“, bekundet er. In Ägypten dagegen sei das Thema Homosexualität ein absolutes Tabu und man betrachte es als moralisches Verbrechen. Ein anderes Beispiel: Veganer. „Es weckt mein Interesse, diese Lebensart zu verstehen, zu respektieren und zu schätzen.”
Gemischte Gefühle über Ägypten
An Ägypten habe Ahmad indes lange Zeit gar nicht gedacht. Jetzt vermisst er seine Familie und möchte sie gerne besuchen. Solange er aber keinen Studienplatz hat, wird er es nicht machen. „Ich kann nicht sagen, ob ich mich hier fremd fühle oder nicht. Es geht mir einfach gut.” Ahmad weiß aber nicht, ob er für immer in Deutschland bleiben möchte. Er würde gerne verreisen und andere Erfahrungen sammeln.
„Wahrscheinlich werde ich den Rest meines Leben nicht in Ägypten verbringen“, überlegt er – nur um anschließend zu sagen, dass sich das vielleicht auch wieder ändern könne. Ahmad blickt in die Ferne und denkt laut: „Wenn man hier eine Familie gründet, fliegt man nach Ägypten nur zum Besuch und fühlt sich da fremd.“ Er überlegt kurz und meint dann: „Wenn ich eine gute Chance finde, werde ich zurückkommen. Aber nicht jetzt. Wenn man in dieser wirtschaftlichen Krisenzeit keinen guten Job hat, dann zerstört man seine Zukunft.”
Nachtrag: Nach dem zweiten Versuch hat Ahmad seine Prüfung geschafft und hat in Karlsruhe ein Vorbereitungsjahr für das Studium angefangen.