29.07.2018
Sayed will nach Deutschland: „Endlich raus aus dem Gefängnis“
Alsharq-Serie: Tschüss, Ya Biladi - Hallo Gorba! Collage: Tobias Pietsch. Fotos: Kairo (mit freundlicher Genehmigung), Berlin - Sascha Kohlmann, "East Berlin" via Flickr (https://flic.kr/p/jCae3t), Lizenz: CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)
Alsharq-Serie: Tschüss, Ya Biladi - Hallo Gorba! Collage: Tobias Pietsch. Fotos: Kairo (mit freundlicher Genehmigung), Berlin - Sascha Kohlmann, "East Berlin" via Flickr (https://flic.kr/p/jCae3t), Lizenz: CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)

Die Aussicht auf ein besseres Gehalt und geregelte Arbeitszeiten treiben Sayed von Ägypten nach Deutschland. Mit Willen und Fleiß könne er dort viel erreichen, glaubt er. Und fremd sei man nur dort, wo man sich nicht einbringe. Er will in Deutschland eine Familie gründen.

Dieser Text ist Teil unserer Serie „Tschüss ya Biladi, Hallo Gorba!”, in der junge Menschen aus Ägypten erzählen, warum sie nach Deutschland auswandern wollen - oder wie es ihnen seit ihrer Ankunft in Deutschland ergangen ist. Alle Texte der Serie finden Sie hier.

Kairo. In einer informelle Siedlung läuft Sayed Mahmoud auf den kaputten, schmutzigen Straßen nach einem langen Arbeitstag nach Hause. Wie die meisten jungen Leute in Kairo wohnt der 26-jährige immer noch bei seiner Familie. Ab und zu begrüßt er freundlich andere Passanten. Hier kennen sich die Menschen, Kinder spielen Fußball in den Gassen. Dazwischen laufen Hunde und Katzen, die zwischen dem Müll schlafen und sich von ihm ernähren. Auf der anderen Seite der Straße liegt eine große lärmende Fabrik. Die Luft ist voll von Abgasen. Sayeds Mutter erzählt, dass ganz in der Nähe ihrer Wohnung ein Mann beklaut und mit einem Messer in den Bauch gestochen wurde.

Sayed ist 25. Er hat Europa noch nie besucht, plant aber wie viele seiner Freunde und Arbeitskollegen nach Deutschland auszuwandern. Er möchte dort sein Leben neu aufbauen, noch einmal studieren und eventuell eine Familie gründen. Eine Rückreise plant er nicht.

„Ohne Kontakte bekomme ich keine Stelle“

Sein Abitur hat Sayed mit schlechten Noten abgeschlossen. Lediglich für ein Studium in Betriebswirtschaftslehre reichte es, dabei wollte er das gar nicht. Aber: „Papa war damit glücklich und alles andere war mir damals egal.” In einer staatlichen Universität fing er an und verlor bald das Interesse. Er hörte auf, die Uni zu besuchen und ging nur noch zu den Prüfungen. Nebenbei arbeitete er, dann gründete er selber ein Restaurant. Später arbeitete er als Kellner im Restaurant einer deutschen Firma. Dann suchte Sayed Arbeit in der Wirtschaft. „Doch es stellte sich heraus, dass ich ohne Kontakte keine Stelle in einer Bank oder Firma bekommen konnte“, erinnert er sich.
 
Aber Sayed, der Deutsch als zweite Fremdsprache in der Schule gelernt hatte, sah, dass die Firma in deren Restaurant er gearbeitet hatte, immer wieder Stellen ausschrieb. Die Gehälter waren vielversprechend. Er brauchte bloß sehr gute Deutschkenntnisse. Sayed fragte seinen Vater, ob er ihm Sprachkurse im Goethe Institut finanzieren könne. Der Kurs kostete 2000 ägyptische Pfund (rund 100 Euro), genau Sayeds Gehalt. Doch sein Vater lehnte ab und sagte ihm, er solle sich auf sein Studium konzentrieren und lieber sein Englisch verbessern.

Das überzeugte Sayed nicht. Er fing an, aus Spaß ein paar deutsche Wörter mit Kunden zu sprechen. Er würde „wie ein Behinderter“ sprechen, erklärte ihm eine deutsche Mitarbeiterin. Im Ärger darüber schwor er sich, fließend Deutsch zu lernen. Er sparte sein Gehalt und fing an, abends nach der Arbeit Kurse im Goethe Institut zu besuchen. Bald schon lag sein Ziel höher: eine Stelle in der Firma zu bekommen.

„Das ist kein menschenwürdiges Leben“

Eine weitere Erfahrung verstärkte seine Motivation: Die Firma, die außerhalb Kairos liegt, bot einen kostenfreien Transport für ihre Mitarbeiter. Allerdings nur für die Mitarbeiter, die in den Büros arbeiten und nicht im Restaurant. „Einmal, mit einer Erlaubnis, bin ich mit dem Bus nach Hause gefahren. Da saß ich einfach neben meinen Freunden. Ich schwor mir: ‚Irgendwann werde ich täglich mit dem Bus zur Arbeit fahren’”, erzählt er lächelnd. Heute ist Sayed in der Firma angestellt.
 
Allerdings sah er, dass die Mitarbeiter in anderen internationalen Firmen mehr verdienten – bis zu 9 000 ägyptische Pfund (was aktuell knapp 450 Euro entspricht). Doch dafür braucht er weitere Qualifikationen. Sayed fängt deshalb an Weiterbildungen zu besuchen. Mit der Zeit aber sei ihm klar geworden, dass er sein Ziel eines angenehmeren Lebens in Ägypten nicht erreichen könne: Ein Leben, in dem er nicht zu viel arbeiten müsse und sich keine Sorgen machen brauche, woher er Geld bekomme. „Egal wie viel ich hier verdiene – mein Leben wird sich nur um Arbeit, Essen und Schlafen drehen“, erklärt er. Sayeds Vorgesetzter verdiene sehr gut, dafür verbringe er kaum Zeit mit seiner Familie. Das sei kein menschenwürdiges Leben, denkt Sayed. Was solle man mit dem Geld machen, wenn man keine freie Zeit für sich habe?

„Dort werde ich sicherlich Erfolg haben”

In Deutschland würde man geschätzt und für eine bestimmte Anzahl an Stunden arbeiten. So könne man ein angenehmes Leben haben, sagt Sayed. Also lernt er fleißig weiter Deutsch. Er möchte ein Sprachniveau erreichen, mit dem er in Deutschland Ingenieurswesenstudieren kann. Und er spart möglichst viel von seinem Gehalt. Das liegt bei 2 990 Pfund, knapp 250 Euro. Die erforderliche Sprachprüfung alleine kostet 2 900 Pfund. Damit er ein Studienvisum beantragen kann, muss er außerdem 8 000 Euro in einem deutschen Bankkonto hinterlegen.
 
Aber es lohne sich, meint er. Die Universitäten seien in Deutschland günstig und man könne neben dem Studium arbeiten und gut leben: „Wenn ich mich dort bemühe, werde ich gute Ergebnisse erzielen. Das ermutigt mich.”

Rechnungen und Behördengänge

Sayed ist klar, dass er als Student nicht vom Anfang an wie ein „Prinz“ im Luxus leben und viel Geld haben wird: „Ich weiß, dass ich nicht alles machen und kaufen kann, was ich mir wünsche. Und dass ich Rechnungen bezahlen und Behördengänge erledigen muss.” Das Ziel aber ist klar: Eine geregelte, legale Arbeit finden, eine eigene Firma und eine Familie gründen. Damit er nicht von Freunden vom Lernen abgehalten werden kann, möchte er auf dem Land wohnen. „Das Leben ist dort einfacher und die Miete günstiger, oder?“, fragt er. Täglich denkt Sayed an Deutschland, seinen Traum. Er sei gespannt auf die Einfachheit und darauf, frei seine Meinung zu sagen. Noch etwas: Man könne Fahrrad fahren, ohne dafür ausgelacht zu werden.
 
Aber auch Sorgen hat er: Davor, dass er sich in eine deutsche Frau verlieben könne: „Eine deutsche Frau wird mich eventuell nach ein paar Jahren verlassen. Oder sie verliebt sich im Urlaub in jemand anderen.” Eine ägyptische Frau sei für ihn die beste, sie würde mehr aushalten und sich nicht gleich trennen wollen, wenn es Probleme gäbe.

„Ich werde niemals nach Ägypten zurückkehren“

Sayed träumt davon, seine Kinder in Deutschland zu erziehen. „In Deutschland sind die Kinder diszipliniert und wissen zum Beispiel wie eine Ampel funktioniert. Mein Kind wird in der Kita und in der Schule viel lernen und mit Respekt behandelt werden. Und die Hauptsache ist, dass es seine Persönlichkeit gut entwickeln kann“, sagt er. „Ich möchte ihnen die Ausbildung bieten, die ich mir gewünscht habe. Welche Schule sollte mein Kind in Ägypten überhaupt besuchen?”
 
Wenn Sayed sich sein Leben in Deutschland vorstellt, denkt er aber auch, dass er seine Familie und Freunde sehr vermissen wird. In Ägypten nennt man das Leben im Ausland „Fremdheit“. Das Wort bedeutet für Sayed, weit weg von seiner Familie zu leben, keine Freunde und Kontakte zu haben. Aber er denkt anders: „Man sollte sich selber helfen und Freunde kennenlernen, nicht isoliert leben.“ Darüber hinaus fühle er sich in seiner Heimat auch fremd. Ausländer würden besser behandelt als er. „Wenn ein Ausländer hier Drogen verkauft, wird er festgehalten? Natürlich nicht”, bekräftigt er. Auch denkt er, dass es Ägypten beeinflusse, wenn so viele junge Menschen das Land verlassen: „Wenn ich hier meine Rechte hätte und ein würdevolles Leben führen könnte, würde ich bleiben. Warum würde ich dann meine Heimat verlassen? Aber so ist diese Reise, als ob ich dadurch aus dem Gefängnis herauskomme.”

 

 

Artikel von Aisha Abdelrahman
Redigiert von Johannes Gunesch, Jan-Holger Hennies