13.03.2018
Matthew Heinemans Film „City of Ghosts“: Die unendliche Grausamkeit des Seins
Szene aus dem Film "City of Ghosts" mit den Untertiteln: "Sie haben unseren Bruder und Vater hingerichtet, damit wir aufhören." Screenshot: City of Ghosts Trailer/Youtube (https://youtu.be/x_gjnDWDRgY)
Szene aus dem Film "City of Ghosts" mit den Untertiteln: "Sie haben unseren Bruder und Vater hingerichtet, damit wir aufhören." Screenshot: City of Ghosts Trailer/Youtube (https://youtu.be/x_gjnDWDRgY)

Matthew Heinemans Dokumentation „City of Ghosts“ porträtiert die Aktivisten des Journalisten-Kollektivs „Raqqa is Being Slaughtered Silently“. Der Film hat starke Szenen, begeht aber einen großen Fehler.

Schonunglos ist ein viel zu schwaches Wort. Es vermag das Geschehen in Matthew Heinemans Film „City of Ghosts“ kaum zu beschreiben. Der US-amerikanische Regisseur und Kameramann zeigt in seiner dritten Dokumentation das Leben und Schaffen der Aktivisten des Bürgerjournalisten-Kolletivs „Raqqa is Being Slaughtered Silently“ (RBSS) – und den Horror, den sie unter der Herrschaft des IS erlebt haben und selbst im Exil noch immer erleben müssen. Das Grauen in Syrien verlangt mitunter starke Eindrücke.

Die gibt es in Heinemans Film zuhauf: Zitternde Helden, Bombenexplosionen, Exekutionen vor laufender Kamera. Seine Absicht ist gut gemeint: Der Regisseur möchte, dass die Zuschauer den alltäglichen Horror der Menschen in Raqqa und der jungen Journalisten ungefiltert nachempfinden können. In einer besonders brutalen Szene müssen sie sich quasi durch die Augen des RBSS-Mitglied Hamoud al-Mousa die Hinrichtung seines Vaters mit ansehen. Der IS hatte sich an der Gruppe rächen wollen und ihnen die Exekutions-Aufnahme geschickt.

Die Zurschaustellung dieser perfiden Machtdemonstration ist aber nicht nur unerträglich mit anzuschauen. Indem Heineman diese Szene so offen zeigt, verbreitet er selbst, wenn auch unbeabsichtigt, die Propaganda der Terroristen, unter der seine Helden und viele andere so sehr leiden. Der Regisseur, der bereits in seinem Dokumentarfilm „Cartel Land“ über den Drogenkrieg in Mexiko alltägliche Brutalität in den Fokus rückte, tut den RBSS-Mitgliedern damit nicht unbedingt einen Gefallen.

Mit der Sprache der Terroristen

Unabhängig davon, ob man die Veröffentlichung von Schock-Bildern generell moralisch vertretbar findet oder nicht: Es ist in jedem Fall fragwürdig, sich der (Bild-)Sprache von Terroristen zu bedienen. Dies triff ganz besonders zu, wenn sie Menschen in einer so verletzlichen Lage zeigen, wie in dem Moment, in dem sie dem Ende ihres Lebens entgegenblicken müssen. Die Aktivisten von RBSS kämpfen unter Gefahr für das eigene Leben gegen die Propaganda der Dschihadisten und versuchen, die Deutungshoheit, über das, was in Syrien geschieht, zu gewinnen.

Gerade weil „City of Ghosts“ ja zeigt, wie unbeirrt und unter Einsatz des eigenen Lebens die Aktivisten von RBSS versuchen, die Propaganda-Maschinerie und die Desinformationsstrategien der Dschihadisten zu bekämpfen, erscheint es kontraproduktiv, dem IS – in welchem Kontext auch immer – eine Plattform für seine Darstellung der Ereignisse zu geben.

Natürlich prägt die Grausamkeit des IS das Leben und die Arbeit der RBBS-Mitglieder auf schlimmste Art und Weise. Das Bürgerjournalisten-Kolletiv, das zunächst über die Aufstände gegen Diktator Bashar al-Assad berichtet hatte, verbreitete als einzig verbleibende Instanz in Raqqa Nachrichten über die Dschihadisten. Ein Teil von RBSS war unmittelbar nach der IS-Besatzung der nordsyrischen Stadt im Januar 2014 in die Türkei geflüchtet, erhielt dort von internen Quellen der Gruppe Material über das Leben in Raqqa unter der IS-Herrschaft und stellte es im vermeintlich sicheren Exil ins Netz. In den folgenden Monaten tötete der IS mehrere Aktivisten und Angehörige auch in der Türkei.

Eingefrorenes Lachen

Diese Lebensumstände möchte der Film in aller Heftigkeit und durch die Augen der Protagonisten veranschaulichen. Vielleicht muss er das sogar, um seinem Thema gerecht werden zu können. Dazu hätte es aber genügt, wenn „City of Ghosts“, wie es der Film an vielen Stellen auch tut, lediglich das Material von RBSS selbst herangezogen hätte. Als Zuschauer stellt sich zudem die Frage: Wäre die grausame Szene, in der Hamoud al-Mousa zum wiederholten Male die Exekution seines Vaters anschaut, nicht eindringlich genug gewesen, hätte man lediglich sein ausdrucksloses Gesicht, seinen leeren Blick dabei gesehen?

Es ist wahrlich nicht so, dass der Film keine eigenen starken Bilder hervorbrächte. Im Gegenteil. Es gibt etwa eine denkwürdige Szene, in der die jungen Aktivisten bei einem Pressetermin in den USA von einem Kameramann zum Lachen angehalten werden – was ihnen sichtlich schwerfällt, wie ihre eingefrorene Mimik verrät.

Die Szene ist auch deshalb so stark, weil sie den Blick auf eine zweite Ebene der Ereignisse in Syrien offenbart: Entscheidungsträger aus dem Westen agieren hilflos im Umgang mit den Opfern des Bürgerkrieges und werden ihnen durch die Untätigkeit vor Ort nicht gerecht. Der Kameramann wird zum Synonym überforderter Politiker, Berater und Berichterstatter, denen angesichts des grausamen Konflikts keine angemessene Reaktion und erst recht keine Lösung mehr einfällt; die die Katastrophe und ihre Auswirkungen von sich wegzuschieben versuchen.

Der Film ist dort am stärksten, wo er die vom IS gejagten Protagonisten nicht als bloße Opfer, sondern als komplexe Personen mit all den dazugehörigen Emotionen einfängt: Als Freunde, die eine Schneeballschlacht machen, als Einwanderer, die verlegen an einem Sex-Shop vorbeigehen, als frischgebackene Väter, die der Anblick ihres Babys überwältigt, als Kollegen, deren Stimme beim Telefonat mit anderen Syrern die blanke Angst verrät. Diese Eindrücke lassen erahnen, was es heißt, im Exil leben zu müssen und trotzdem einer permanenten Bedrohung ausgeliefert zu sein.

Nicht mal in Deutschland sind sie sicher

Die lauert indes nicht nur in Form von IS-Anhängern. Auch die Gefahr, die von Flüchtlingsgegnern in Deutschland, wo inzwischen viele der RBSS-Aktivisten leben, ausgeht, thematisiert „City of Ghosts“. „Nicht einmal im Exil sind sie sicher“, zitiert der Film einen Laudator bei einer Preisverleihung für die unerschrockene und gefährliche Arbeit des Kollektivs.

Die Geschichte der RBSS-Mitglieder offenbart den unreflektierten Zynismus, der hinter der pauschalen Ablehnung von Flüchtlingen steckt. Insofern ist Matthew Heinemans Film, obwohl keine einzige Szene in Syrien gedreht werden konnte, ein einschneidendes Zeugnis über den dortigen Krieg und seine Auswirkungen. Der Verzicht auf IS-Propagandamaterial hätte daran nichts geändert. Im Gegenteil: Es hätte Heinemans Dokumentation für alle, unabhängig von moralischen Vorstellungen, absolut sehenswert gemacht.

Artikel von Cindy Riechau