Israel wählt - und Alsharq begleitet den Wahlkampf und das Ergebnis in einer neuen Serie. Dabei versuchen wir, die Vielfalt der Debatten und politischen Auseinandersetzungen in Israel abzubilden – mit Interviews, Reportagen, Stimmen von Israelis oder Analysen der Parteiprogramme. Dafür kooperieren wir mit dem renommierten israelischen Blog +972.
Israel steht kurz vor der Wahl eines neuen Parlamentes. Am 17.März sind rund fünf Millionen Israelis aufgerufen, ihre Stimme für die Neuzusammenstellung der Knesset abzugeben. Die Wahlen dominieren die Berichterstattung und auch die alltäglichen Gespräche in Israel. Meinungen gibt es viele – Visionen und Inhalte muss man aber erst suchen, denn die Parteien setzen vor allem auf Personenkult und populistische Abgrenzung von den politischen Gegnern. Dabei sind besagte Grenzen nicht immer so leicht auszumachen, schließlich wechseln die Politiker_innen häufig die parteipolitischen Fronten.Wir beginnen unsere Wahlreihe mit einem Überblick zu den Wahlclips der politischen Parteien in Israel. An ihnen lassen sich die politischen Rivalitäten, die wechselnden Koalitionen und nicht zuletzt die unterschiedlichen Zielgruppen, für die die Kampagnen entworfen werden, aufzeigen.
Der Kampagnen-Kampf
Einen Monat vor den vorgezogenen Neuwahlen machen die israelischen Parteien mobil: Neben zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen, Diskussionsrunden und Fernsehauftritten wird auch leidenschaftlich getwittert und auf Facebook gepostet. Es wird versprochen, widersprochen und verurteilt. Auffällig ist, dass Aufwand und Inhalt in keinem Verhältnis stehen. Denn was diesen Wahlkampf auszeichnet, sind nicht die Inhalte selbst, sondern die Formate, über die der Wahlkampf ausgetragen wird. Die israelische Öffentlichkeit verfolgt dabei mit Aufmerksamkeit und einer Prise Belustigung, wie sich die israelischen Politiker gegenseitig demontieren und öffentlichkeitswirksam angreifen.
Politische Programme zielen wenn überhaupt fast ausschließlich darauf, was man nicht machen wird und wie man sich von anderen Parteien abgrenzt. In welche parteipolitische Richtung man auch schaut – die Programmatiken scheinen zweitrangig. Stattdessen sind vor allem voran populistische, teils komödienhafte Wahlwerbespots in aller Munde. Der Wahlkampf ist daher zur Zeit vor allem ein Ringen um die beste Kampagne. In unserem Auftaktartikel widmen wir uns den drei Parteien beziehungsweise Zusammenschlüssen, denen die größten Erfolgschancen bei den Wahlen eingeräumt werden.
1) Likud
Kindergarten-Politik
Bei den Wahl-Clips hat sich wie schon so oft der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hervorgetan. Sein erstes Kampagnen-Video wurde nach kurzer Zeit von der zentralen Wahlkommission verboten, enthielt es doch Aufnahmen von mehreren Kindern unter 15 Jahren, was in Israel verboten ist. Und dennoch, das Kindergarten-Video war für mehrere Tage DER Renner in den sozialen Medien.
„Bibi“ Netanyahu tritt darin als Kindergärtner auf und es geht wild her. Weil die ihm Anvertrauten machen was sie wollen, verteilt Netanyahu Empfehlungen und Maßregelungen: So wird der kleine Yvet, so der Spitzname von Avigdor Liebermann, ermahnt, dass er lernen müsse, endlich zu teilen. Eine wenig subtile Anspielung auf Liebermanns Eigenschaft, sich gerne in den Vordergrund zu spielen – und dabei seine eigene Rolle auch immer wieder stark zu überbetonen. Auch der Korruptionsskandal, in den die gesamte Israel Beitenu-Partei von Liebermann zur Zeit verwickelt ist, wird in diesem Satz aufgegriffen.
Weiter geht es mit den Kindern Yair und Naftali, die sich beharken – passenderweise beim „Reise nach Jerusalem“-Spiel. Sie zanken sich bis Netanyahu autoritär eingreift: „Yair und Naftali, hört sofort auf, Euch den Platz streitig zu machen“ – eine Anspielung auf die Wahlen 2013, nach denen aus den Rivalen Koalitionskollegen wurden, die fortan um die Rolle des Kronprinzen innerhalb Netanyahus Regierung konkurrierten. Am Emporkömmling der letzten Wahlen, Yair Lapid, lässt Netanyahu weiterhin kein gutes Haar: Er solle die Finger vom Rechenbrett lassen, sonst werde er nur weiter Schaden anrichten. Ein böser Seitenhieb auf Lapids Rolle als ehemaliger Finanzminister, der mit vielen Versprechen für die Mittelschicht antrat und doch fast keines einhalten konnte.
Die kleine Tzipi (Livni) hingegen kann nicht stillstehen, sie rennt und tobt durch den Kindergarten bis Netanyahu der Kragen platzt: „Tzipi, hör endlich auf, von einem Platz zum anderen zu rennen!“ Ein Seitenhieb auf die ehemalige Justizministerin, die in Israel dafür bekannt ist, gerne mal das politische Lager zu wechseln. „Es reicht, Tzipi“, herrscht Netanyahu das kleine Mädchen Tzipi an und wendet sich den Zuschauer_innen zu: „Es ist reine Zeitverschwendung, mit diesem Kindergarten weiterzumachen. Um ein Land zu regieren, braucht es eine starke und stabile Regierung. Wähle Likud, für einen Wechsel in der Regierung.“
Der Bibisitter
Ähnlich ist auch Netanyahus zweites Video geraten – auch wenn dieses Mal keine Kinder zu sehen sind. Diese schlafen schon, als Bibi sich einem verdutzten israelischen Paar als „Bibisitter“ anbietet. Als das Paar verwundert nachfragt, ob er als Ministerpräsident denn nun auch Babysitter sein wolle: „Ja klar. (…) Oder wollt Ihr etwa Tzipi (Livni) und Bougi (Herzog, Vorsitzender der Arbeitspartei)?“ Entsetztes Kopfschütteln der Eltern. Und Landesvater Netanyahu freut sich. Die Botschaft ist klar: Nur in seinen Händen ist das Land sicher. Die Eltern können beruhigt ausgehen – Bibi macht es sich indessen mit Popcorn auf dem Sofa gemütlich.
ISIS und die israelische Linke
Das jüngste Likud-Video spielt mit der Behauptung, dass linke Parteien Israels Sicherheit nicht garantieren könnten: Ein immer wiederkehrendes Argument Netanyahus, der sich gerne als kompromissloser „Beschützer der Nation" gegen äußere Bedrohungen darstellt. Zwei ISIS-Jihadisten fahren mit ihrem Pickup unter Klängen der Rap-Crew Torabyeh durch die Wüste in Richtung Jerusalem. Auf der Strecke fragen sie einen Israeli nach dem Weg. Dieser antwortet: „Nach links." Sofort danach erscheint ein blutroter Slogan auf dem Bildschirm: „Die Linke wird sich dem Terror ergeben." Auf seiner Facebook-Seite kommentiert Netanyahu das Video folgendermaßen: „Dieses Mal habt Ihr die Wahl zwischen Likud unter meiner Führung oder einer schwachen und unterwürfigen linken Regierung mit Tzipi (Livni) und Bougie (Herzog)."
Inhalte Fehlanzeige
Ideen, Visionen, Programmatik? Fehlanzeige. Die Kampagnen-Videos des Likud beschränken sich darauf, die Opposition zu diskreditieren. Die einstigen politischen Partner wie Livni, Lapid oder Liebermann werden verspottet.
2) Das „Zionistische Lager"
Das „Zionistische Lager", ein Zusammenschluss der israelischen Arbeitspartei (Avoda) und der ehemaligen Tnuah-Partei um Tzipi Livni und Amir Peretz, gilt als größter Konkurrent des Likud bei diesen Wahlen. Das sich im Mitte-Links-Spektrum begreifende Bündnis knöpft sich in seinen Wahl-Clips vor allem Benjamin Netanyahu vor.
50 Shades of Inhaltslosigkeit
Mit dem Titel „50 Shades of Black“, in Anlehnung an den Film „50 Shades of Grey“, arbeitet sich der Clip an den Verfehlungen und Missständen der Netanyahu-Regierung ab. Dunkel und düster kommt das Video daher: Der Zustand des Landes sei sehr schlecht, so die einfache Message des Clips. Hungernde Kinder, die verarmende Mittelschicht, die Vernachlässigung der Bevölkerung im Süden, überfüllte Krankenhäuser – alles Zustände, für die am Ende einer verantwortlich gemacht wird: Benjamin Netanyahu. Dessen Konterfei wird eingeblendet, während die vermeintliche Misere aufgezeigt wird. Am Ende lernt man, dass Hoffnung nur dann besteht, wenn möglichst viele für das„Zionistische Lager“ stimmen. Eine gewagte Aussage, wenn man beachtet, dass Tzipi Livni als Justizministerin selbst Teil jener Regierung war, die sich für die vermeintlichen „Nuancen der Schande“ verantwortlich zeigte.
Ein zweites Video wurde von Aktivist_innen der Jugendorganisation der Arbeitspartei produziert. Dabei gehen unter anderem die Jungpolitiker Ido Stössel und Tomer Pines auf der Straße Geld sammeln für Netanyahu. „Können Sie uns nur 5,4 Millionen Schekel für den Haushalt der Familie Netanyhu spenden? Sie leben doch im sozialen Wohnungsbau“, betteln die Aktivist_innen. Hintergrund ist ein von Netanyahu verbreitetes Video, das seine Gattin Sara Netanyahu und den Designer Moshik Galamin bei einem Hausrundgang durch die vermeintlich bescheidene Residenz des Ministerpräsidenten zeigt. Das Video war als PR-Offensive und als Antwort auf die Anschuldigungen, das Ehepaar pflege einen verschwenderischen Lebensstil, gedacht. Nachdem Israels Oberster Rechnungsprüfer ebendies Bibi und Sara nun hochoffiziell attestierte und zudem der israelische Fernsehsender Channel 2 aufdeckte, dass der Hausrundgang den tatsächlichen Luxus im Hause Netanyahu verschleierte, war der Spott groß (Link zum Video auf Facebook).
Auch für Wahl-Clips des Zionistischen Lagers gilt: Inhalte, politische Vorschläge, Programmatik? Auch hier Fehlanzeige. Was zählt, ist die Verunglimpfung der Konkurrenz – und die Botschaft, dass alles besser wird. Das WIE wird nicht beantwortet.
3) Das „Jüdische Heim" (HaBayit HaYehudi)
Laut übereinstimmenden Umfragen wird die national-religiöse, der Siedlerbewegung nahestehenden Rechts-Außen-Partei die drittstärkste Kraft in der Knesset werden. Ihre politische Aussagen sind unmissverständlich.
Schwächelnde Hipster – Naftali Bennets Clip
Nahtlos fügt sich Naftali Bennets Clip in die Aufreihung inhaltsarmer, aber effekthascherischer Kampagnen-Videos ein: Mit angeklebtem Bart, Hipster-Mütze und -Hemd ausgestattet, mokiert sich Bennet über die angeblich schwächlichen Linken, die in Tel Aviver Cafés sitzen und sich für alles schuldig fühlen, selbst dann, wenn sie für etwas überhaupt nichts können. In einer Stelle im Clip schlägt der Hipster Bennet die (links-liberale) Tageszeitung Haaretz auf und liest eine Schlagzeile, die Israel dazu auffordert, sich für die Flotilla-Vorkommnisse im Mai 2010 zu entschuldigen. Er nickt zustimmend, bevor er weiter durch Tel Aviv zieht, nichts als Entschuldigungen stammelnd.
Später reißt sich Bennet auf dem bekannten Rothschild-Boulevard in Tel Aviv den Bart ab und setzt dem Entschuldigungsmarathon ein Ende: „Von heute an hören wir auf uns zu entschuldigen.“ Eine klare Ansage – für eine in diesem Fall ganz klare politische Programmatik. Denn der Name von Naftali Bennets Partei Das jüdische Heim (hebr. HaBayit HaYehudi) ist Programm: Israel ist ein jüdischer Staat und das Zuhause von Juden. Araber? Einwanderer? Ein palästinensischer Staat? Dazu zumindest hat die Partei eine klare Haltung: „Wir werden die jüdische Natur dieses Staates stärken und jene bekämpfen, die versuchen, Israel in einen Staat seiner Bürger zu machen (...)[sic]“ Und: „Israel ist zum Staat Tel Aviv geworden. Dies ist ein historischer Fehler, der korrigiert werden muss. Wir werden die Besiedlung von allen Teilen des Landes fördern: der Negev, Judea, dem Jordan-Tal, der Arava, Samaria, Galiläa und der Golanhöhen (...) Der israelische Staat ist eine Arbeitsagentur für den afrikanischen Kontinent geworden. Tausende von Eritreern und Sudanesen legen enorme Strecken hinter sich, um den lang ersehnten Preis zu bekommen: Leben und Arbeit in Israel. Grenzen werden sie nicht stoppen. Nur eines wird dieser Entwicklung ein Ende setzten: Wenn sie hier keine Arbeit mehr finden und der „Goldtopf“ am Ende des Regenbogens verschwindet.[sic]“ (Quelle: http://www.baityehudi.org.il/)
Kopf-an-Kopf-Rennen an der Spitze
Momentan liefern sich laut Umfragen Likud und das „Zionistische Lager" ein enges Rennen um den Wahlsieg. Beide liegen bei etwa 25 von 120 Knesset-Sitzen. Nafatli Bennets HaBayit HaYehudi folgt mit gebührendem Abstand auf Rang 3 mit 14 Sitzen. In den kommenden Wochen wollen wir uns unter anderem auch den kleineren Parteien widmen. Außerdem konnten wir den renommierten israelischen Blog +972 für eine Kooperation gewinnen. In den kommenden Wochen werden also auch Beiträge dieses Blogs bei Alsharq erscheinen und umgekehrt.
Bereits die Knessetwahlen 2013 hat Alsharq umfangreich begleitet - alle Infos zur damaligen Serie finden Sie unter diesem Link.