17.10.2014
Protest in Israel: Es geht um mehr als Pudding
Ein Supermarkt in Eilat. Wieder diskutieren Israelis über die enormen Lebenshaltungskosten. Bild: David Jones / Flickr (CC BY-NC 2.0)
Ein Supermarkt in Eilat. Wieder diskutieren Israelis über die enormen Lebenshaltungskosten. Bild: David Jones / Flickr (CC BY-NC 2.0)

Ein junger in Berlin lebender Israeli postet seinen Supermarkt-Bon auf Facebook und entfacht so eine erneute Debatte um die sehr hohen Lebenshaltungskosten in Israel. Israels Politiker zeigen wenig Verständnis –  und kritisieren stattdessen die Auswanderung. Von Amina Arabi, Jerusalem.

Ein 25-jähriger Israeli, der heute in Berlin lebt, postete am 4. Oktober seinen Kassenzettel aus einem Berliner Supermarkt in die Facebook-Gruppe Olim LeBerlin (zu Deutsch: Einwanderer in Berlin). Zu erkennen ist der Preis eines Milchpuddings: Er kostet gerade einmal 19 Cent. Das israelische Pudding-Pendant, genannt Milky, kostet in Israel das Vierfache. Diese Preisdifferenz löste zunächst heftige Diskussionen auf der Facebook-Seite aus. Die schlugen Wellen bis in die internationalen Medien sowie die israelische Politik.

Der Protest erinnert an die sogenannten Hüttenkäse-Proteste von 2011. Hüttenkäse, der in Israel als Grundnahrungsmittel gilt, wurde zum Symbol für hohe Lebensmittelpreise. Kurz darauf begannen die Zelt-Demonstrationen gegen zu hohe Mietpreise: Ausgehend von Protest-Camps gegen rapide steigende Mietkosten in Tel Aviv entwickelten sich landesweite Demonstrationen. Hunderttausende gingen damals für faire Lebenshaltungskosten und Sozialreformen auf die Straßen.

Dass der Protest nun erneut entfacht wurde, zeige, dass sich kaum etwas gewandelt habe, sagt Ifat Amir (29) aus Ramat Gan. „Seit 2011 hat sich nichts verändert, damals hat die Regierung lediglich den Preis für Hüttenkäse gesenkt anstatt das Problem von der Wurzel anzugehen. Die Mittelschicht schwindet unter der jetzigen Situation dahin“, sagt sie. Das Preisniveau in Israel ist dabei um 11% höher als in Deutschland. Das Bruttoinlandsprodukt stieg in Israel pro Kopf in den letzten Jahren von 32.567 US-Dollar im Jahr 2012 auf 36.151 US-Dollar. Allerdings hat sich auch die Einkommensschere vergrößert: Der Jahresbericht der Bank of Israel aus dem Jahr 2012 zeigte, dass Einkommensungleichheiten in Israel schneller wachsen als in anderen OECD-Staaten.

Pudding und Hüttenkäse als Symbole

Grund für die hohen Lebenshaltungskosten ist unter anderem mangelnder Wettbewerb: Kartelle von Lebensmittelanbietern und Exklusivrechte für ausländische Importeure treiben die Preise in die Höhe. Im Falle der Milchprodukte kommt noch hinzu, dass die eine Behörde die Milchindustrie kontrolliert, die von den Bauern selbst geleitet wird, die wiederum ein klares Profitinteresse verfolgen. Außerdem  müssen alle Lebensmittel, um auf dem israelischen Markt eine Chance zu haben, koscher sein. Die Zertifizierung koscherer Produkte untersteht den Rabbinaten und kostet zusätzlich Geld, das auf den Endpreis aufgeschlagen wird.

Als Reaktion auf die Proteste senkte nun die populäre Supermarkt-Kette Rami Levi den Preis des Milchpuddings auf einen Schekel, umgerechnet etwa 21 Cent. Doch längst hat Milky eine Debatte in Gang gesetzt, die weitaus tiefer greift. Pudding-Protest gerade aus dem Ausland, noch dazu aus Deutschland? Für viele Politiker ein Ungemach. Mittlerweile sollen rund 17.000 Israelis sich in Berlin über kürzeren und längeren Zeitraum aufhalten. „Ausgewanderte Israelis werden in der Mehrheitsgesellschaft als Verräter betrachtet“, berichtet Ifat Amir. Finanzminister Yair Lapid bezeichnete erst kürzlich die Initiatoren der Facebook-Seite Olim LeBerlin als Anti-Zionisten, da sie die jungen Israelis zum Auswandern nach Berlin aufriefen – in Israel eine schwere Schmähung. Ebenso äußerte sich der ehemalige Generaldirektor des Finanzministeriums Doron Cohen, nannte die ausgewanderten Israelis Lügner und Yardim, ein abfälliger Begriff für Auswanderer.

Auch Ifat Amir überlegt, nach Deutschland auszuwandern. Wie bei den meisten jungen Menschen, die sich dazu entscheiden, das Land zu verlassen, sind auch für sie die hohen Lebenshaltungskosten ein wichtiges Motiv. Yuval Katef, 32, aus Jerusalem kann das gut verstehen: „ Die jungen Leute verlassen Israel, weil sie ein normales Leben führen möchten. Das ist in Israel doch kaum möglich mit diesen Preisen, es gibt immer mehr arme Menschen hier.“

Junge Israelis zieht es nach Berlin

Berlin ist bei jungen Auswanderern besonders beliebt: Es locken hohe Lebensqualität und ein besonders niedriges Preisniveau. Es sollen bereits 17.000 Israelis in Berlin kurz- und langfristig leben. Ein Youtube-Video , das vor einem Monat von der Band „Shmemel“ veröffentlicht wurde, stellte die Frage, warum man sich das teure Leben in Israel länger antun sollte.

Der Refrain „Reichstag des Goldes, des Euro und des Lichts“, parodiert dabei das bekannte hebräische Lied „Jerusalem aus Gold“, welches zur Einwanderung nach Israel aufgerufen hatte. Der Sänger der Band betont dabei wie sehr viel besser das Leben in Berlin ist. „Für die israelische Rechte ist Berlin zu einem Symbol geworden. Sie verlangen von uns das Leben hier so hinzunehmen und uns für Israel aufzuopfern. Frei nach dem Motto: ‚Seid froh, dass ihr hier sein könnt’“, sagt Yuval Katef. Die Initiatoren der Seite Olim LeBerlin wehren sich gegen die Vorwürfe von Seiten rechter Politiker, die sie als bequem und  undankbar darstellen. Sie erklären, sie seien weder politisch, noch hätten sie Ahnung von Wirtschaft. Sie wollten lediglich ein Dach über den Kopf.

Die Protestierenden: "Schwächlinge"

Noch beschränken sich die Proteste auf die Pinnwände bei Facebook. Viele ausgewanderte Israelis und viele in Israel gebliebene mischen sich ein in die Debatte. Michal Shir, Knesset-Mitarbeiterin, bezeichnete die Auswanderer auf ihrer Facebook- Seite als Schwächlinge, weil sie die hohen Preise nicht aushalten könnten. Stattdessen, schreibt sie, kämen die ausgewanderten wieder um Schutz bettelnd nach Israel, sobald eine Synagoge in Europa brennen würde.

Die regierungsnahe Tageszeitung „Israel Hayom“  übt ähnlich harsche Kritik an der Kritik des Landes. So betont sie in einem Artikel, wie undankbar die auswandernden Israelis seien. Denn sie würden die Geschichte des Staates Israel ignorieren, und besonders die Anstrengungen der Holocaust-Überlebenden außer Acht lassen, als diese das Land Israel nach dem  Zweiten Weltkrieg aufgebaut hatten.

Der Zeitpunkt des Protests ist empfindlich

Trotz internationaler Aufmerksamkeit und regen Diskussionen im Internet sehen viele Menschen in Israel mit wenig Hoffnungs auf die Proteste. Matan Gilon (24) aus Ashdod ist Mitglied der linken Meretz Partei. Ihn überraschen die Proteste wenig: „Die Kritik ist nicht neu, das hatten wir auch schon vor drei Jahren“, sagt er. Mehr noch: „Am meisten profitieren doch die Lebensmittelkartelle: Der Protest ist Werbung umsonst für Milky“, sagt er. Auch Ifat Amir sieht die Wirkung der Pudding-Proteste skeptisch. Damit sie erfolgreich werden könnten, „müssen die Menschen hier noch mehr verzweifeln, damit die Regierung endlich aufwacht“.

Ganz ohne Folgen aber bleibt der offensichtliche Unmut in der Bevölkerung nicht: Lebensmittelkonzerne senkten vereinzelt Preise für beliebte Nahrungsmittel. Rami Levy forderte nun auch die Regierung dazu auf, die Steuern, Gas- und Wasserpreise zu senken. Finanzminister Lapid versprach mehr Lebensmittel unter Aufsicht durch die staatlichen Kontrollorgane zu stellen. Der Zeitpunkt der Proteste jedenfalls ist empfindlich: Das Kabinett verhandelt derzeit den Haushalt für 2015.

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