08.08.2012
Presseschau zur Gewalteskalation auf dem Sinai: „Der Sinai ist nur auf dem Papier ägyptisch“
Der Terrorangriff auf dem Sinai hat die Menschen in Ägypten und Israel gleichsam geschockt. Ein Blick in die Kommentarspalten verrät: Die Zukunft der ägyptischen Halbinsel bereitet Analysten auf beiden Seiten ernsthafte Sorgen.

Die Sicherheitslage auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel scheint endgültig außer Kontrolle geraten zu sein: Am vergangenen Sonntag hatten Terroristen bei einem Angriff auf einen ägyptischen Polizeiposten an der Grenze zu Israel mindestens 15 von ihnen getötet, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch kam es erneut zu einem blutigen Zwischenfall, das ägyptische Militär versucht nun in einer Offensive die Region wieder zu stabilisieren. Vergeblich, wie viele Kommentatoren prognostizieren.
 
Heba Affify ist in der Internetausgabe „Egypt Independent“ davon überzeugt, dass die Halbinsel ein „failed state“ innerhalb des ägyptischen Staates sei, in dem die lokale Bevölkerung das Militär vor Radikalen schütze – und nicht umgekehrt. Auch Rami G. Khouri läutet die Alarmglocken. 
 
„Seit einigen Jahrzehnten“, so der Redakteur des libanesischen „Daily Star“, „verliert der ägyptische Staat in Grenzregionen und den Armenvierteln der Großstädte Stück für Stück die Kontrolle über diese.“ Dass die Armee nun versuche mit militärischen Mitteln den Sinai wieder zu befrieden, sei nicht der richtige Weg, zumal die dortige Bevölkerung keinerlei soziale Hilfeleistung oder wirtschaftliche Unterstützung erhalte. „Das Ergebnis“, so Khouri, „sind die momentanen Aufstände und Revolutionen in den arabischen Ländern, deren Bürger mehr von der Regierung erwarten, als einen Soldaten an jeder Ecke.“
 
Dass wäre jedoch der Wunsch der „Jerusalem Post“. Dort heißt es nach einer „von tiefstem Herzen kommenden Kondolenz“, dass Ägypten nun eine Kampagne starten solle, um „von Iran unterstützte dschihadistische Terroristen“ aus dem Sinai zu vertreiben, sowie die Ausbildung der dort ansässigen Beduinen durch „Iran, den weltweiten Dschihad und al-Qaida.“ Außerdem ist man überzeugt, dass Ägyptens Präsident Mohammed Mursi das Zepter des Handelns in die Hand nehmen sollte: „Nun ist die Zeit gekommen, sich für den Westen und gegen Iran zu entscheiden und die Beziehungen zu Israel zu vertiefen, um unseren gemeinsamen Gegner zu bekämpfen: Terrorismus.“ 
 
Ron Ben-Jischai von der israelischen Tageszeitung „Jedioth Aharonoth“ glaubt der Angriff hatte nicht eine weitere Machterosion der ägyptischen Zentralregierung zum Ziel, sondern das bilaterale Verhältnis zwischen Israel und Ägypten. Er kommentiert: „Der Zwischenfall verdeutlicht auch, dass die Terroristen des Dschihad, für die der Sinai ein sicherer Rückzugsort ist, vorhaben, die Region zu entflammen, indem sie eine Situation schaffen, in der die ägyptische Armee scheinbar an einem Angriff auf Israel beteiligt ist. Die Terroristen planten offenbar, den anfänglichen Schock, den ihr Eindringen nach Israel verursacht hätte, dafür zu nutzen, einen israelischen Soldaten oder Bürger zu entführen.“ 
 
Abdullah Iskandar von der in London ansässigen „Al-Hajat“ kritisiert währenddessen die Muslimbruderschaft, die sofort nach Bekanntwerden des Attentats mit dem Finger auf Israel zeigte, „bevor irgendwelche ernst- und glaubhaften Untersuchungen“ begonnen hatten. „Auch wenn der Mossad nicht zögert gezielte Tötungen durchzuführen, wenn diese Israel nutzen“, so Iskandar, voreilige Schlüsse zu ziehen sei angesichts der von Ägypten verantworteten Sicherheitslage auf dem Sinai „ein Affront.“
 
Auch Dan Margalit von der „Israel Hajom“ blickt mit einigem Unbehagen auf die Grenze: „Mursi hat die Flaggen auf Halbmast hängen lassen und versprochen die verantwortlichen Kriminellen zu bekämpfen, praktisch ist das aufgrund mangelnder militärischer Kraft und Wille aber nicht realisierbar. Der Sinai war lange Zeit losgerissen vom Rest Ägyptens, ist nicht Teil des ägyptischen Heimatlandes, von dem Anwar as-Sadat sich weigerte auch nur ein Sandkorn zurückzugeben, als er den Friedensvertrag mit Israel unterzeichnete. Der Sinai“, so Margalit, „ist auf dem Papier ägyptisch, in Wirklichkeit nicht.“