21.04.2020
Stromaufwärts: Die mesopotamischen Sümpfe

Diktator Saddam Hussein ließ sie einst fast austrocknen, Wasserkonflikte und der Klimawandel bedrohen das UNESCO Weltkulturerbe bis heute: Wie Umweltaktivist*innen die mesopotamischen Sümpfe im Irak schützen wollen. 

Dieser Text ist im Rahmen des Kooperationsseminars „Grenzen und Möglichkeiten journalistischer Berichterstattung aus postkolonialer Perspektive zu WANA (Westasien, Nordafrika)“ an der Universität Leipzig entstanden. Das Seminar fand im Wintersemester 2019/2020 unter Leitung von dis:orient-Mitglied Leonie Nückell statt. Alle dabei entstandenen Texte finden sich hier.

Wasser und dichtes, meterhohes Schilf soweit das Auge reicht. Vogelgezwitscher im Hintergrund. So wurden die mesopotamischen Sümpfe, die seit 2016 zum UNESCO Weltkulturerbe zählen, einst beschrieben. Es überrascht nicht, dass manche den biblischen Garten Eden in dieser Region vermuten. Im Koran wird der Garten Eden „Jennat Adan“ genannt und jenen historischen Beinamen trägt auch Mesopotamien, das Zweistromland. Seit einigen Jahrzehnten ist die Existenz dieses Paradieses jedoch bedroht und die Ursachen sind, wie zu erwarten, menschen-gemacht und teils hochpolitisch.

Umweltzerstörung als politische Vergeltungsmaßnahme: Saddams „Glory River“

Flächenmäßig in etwa so groß wie Schleswig-Holstein, sind die mesopotamischen Sümpfe einer der größten Frischwassersümpfe weltweit. Sie setzen sich aus dem Hammar- und Zentralsumpf im Süden des Iraks und dem Hawizehsumpf zusammen, der sich zu rund zwei Dritteln in Irak und einem Drittel in Iran erstreckt, wo er als Hour al-Azim bekannt ist. Gespeist werden sie durch Euphrat und Tigris auf irakischer und dem Karche auf iranischer Seite.

Die Flora und Fauna dieses Ökosystems ist die Lebengrundlage der traditionell in diesem Gebiet ansässigen, arabischsprachigen, überwiegend schiitischen Bevölkerungsgruppe der Ma’dan.   Nachhaltige Fischerei, Reisanbau und die Zucht von Wasserbüffeln sicherten jahrhundertelang ihre Existenz und in gewissem Maße auch ihre Unabhängigkeit – was dem zentralirakischen Regime ein Dorn im Auge war.

1991 kam es während der Waffenruhe im Zweiten Golfkrieges zu Aufständen in Irak. Im Norden des Landes erhob sich die kurdische Bevölkerung, im Süden unter anderem die Ma’dan und meuternde Soldat*innen gegen das sunnitische Ba’ath Regime. Der Diktator Saddam Hussein ließ die Aufstände brutal niederschlagen, was massenhafte Migrationsbewegungen zur Folge hatte.

Als Strafe für die Aufstände und um zu verhindern, dass sich schiitische Rebell*innen, die gute Verbindungen mit Iran hatten, in den mesopotamischen Sümpfen verstecken, veranlasste Saddam den Bau des „Glory River“, ein über 520 Kilometer langes Kanalsystem, welches Euphrat und Tigris so umgelenkt, dass sie kein Wasser mehr in die mesopotamischen Sümpfe einspeisen. Die Bodendegradation im Zentral- und Hammarsumpf betrug 95 Prozent, der Hawizehsumpf trocknete zu rund 70 Prozent aus. Von rund 500 000 Menschen, die in den 1950er Jahren in den mesopotamischen Sümpfen lebten, blieben nur wenige Tausend.

Wasserknappheit und grenzüberschreitende Wasserkonflikte

Doch es war nicht nur Saddams „Glory River“, der zur Austrocknung der Sumpflandschaft führte: die generell sinkenden Wasserstände der speisenden Flüsse Euphrat und Tigris verstärkten das Problem.

Zurückzuführen ist dies auf politisch teils stark umstrittene Baumaßnahmen wie Staudämme, die seit den 1950er Jahren in der Türkei, Syrien, Iran und Irak aus Gründen der Energiegewinnung und Bewässerung gebaut werden. Die daraus resultierende Wasserknappheit ist immer wieder Auslöser für zwischenstaatliche Konflikte, wie im Sommer 2018, als die türkische Regierung begann, den Ilisu Staudamm zu fluten und so Wasser aus dem Tigris in der Türkei zurückhielt.

Prognosen gehen davon aus, dass der Euphrat 2025 nur noch 50 Prozent seines einstigen Wassers verglichen mit den 1960er Jahren führen wird. Das Volumen des Tigris wird bis auf 25 Prozent zurückgehen. Die Auswirkungen sind bereits heute zu spüren.

Allein der sinkende Wasserstand ist dabei nicht das einzige Problem, sondern auch dessen Verschmutzung und Versalzung: Führen die Flüsse zu wenig Wasser, drängt Salzwasser aus dem Persischen Golf in das Landesinnere und zerstört das Ökosystem der Sumpflandschaft, da Schilf und andere Pflanzen nicht richtig wachsen können.  Zusätzlich verschlechtern Abwässer, die ungeklärt in die mesopotamischen Sümpfe geleitet werden, die Qualität weiter. Schon gibt es Berichte von durch schlechte Wasserqualität der Sümpfe hervorgerufenen menschliche Erkrankungen.

Auf politischer Ebene zeichnet sich keine Lösung des Wasserkonfliktes in der Region ab. Der irakische Wasserminister Hassan al-Janabi erklärte, dass die Landwirtschaft von traditioneller sumerischer Bewässerung über Kanäle langfristig auf Tröpfchenbewässerung umgestellt werden müsse – dafür fehle aber das Geld. Auch gibt es bisher keine Übereinkunft bei der Auslegung internationaler Richtlinien und Gesetze, die die Nutzung grenzüberschreitender Gewässer regeln sollen.

Trotz dieser politischen Sackgasse gibt es jedoch auch Hoffnung: Denn im Irak selbst entwickelt sich ein immer stärker werdendes Umweltbewusstsein bei den Menschen.

Nature Iraq und die Rückeroberung der Sümpfe

Nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 begannen die Menschen die mesopotamischen Sümpfe zu renaturieren und zurückzugewinnen. Bagger schlugen Löcher in die Kanäle und das Wasser begann sich seinen alten Weg zurück zu suchen. Viele Umweltschutzorganisationen entstanden. Eine davon ist die 2004 von Geotechnik-Ingenieur Azzam Alwash gegründete Organisation Nature Iraq, die sich für die nachhaltige Wiederherstellung der Sumpflandschaft und ihren Erhalt sowie die wirtschaftlichen Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung, der Ma’dan, einsetzt. Alwash gehört ebenso wie sein Kollege, Jassim Al-Asadi, dieser Bevölkerungsgruppe an und ist in den mesopotamischen Sümpfen aufgewachsen.

Zwischen 2003 und 2013 führte Nature Iraq in Kooperation mit weiteren Institutionen das Neue Eden Projekt durch. Gemeinsam konnten sie unter anderem 18 Wasserkontrollpunkte errichten, mit denen der Wasserstand in den mesopotamischen Sümpfen reguliert wird. Sie bauten Referenzlabore und sanierten vier Veterinärstationen. Darüber hinaus konnten für sechs Hauptdörfer Anlagen zur Abwasseraufbereitung bereitgestellt werden, was laut Al-Asadi von den Menschen vor Ort sehr unterstützt würde.

Das aktuell laufende Abwassergartenprojekt Eden in Iraq“ soll die Abwässer von ca. 7.500 Personen mithilfe von Schilf natürlich aufbereiten und diese geklärt wieder den Sumpf-Gewässern zuführen. Auf 6,5 Hektar soll das Projekt in Chibayish in den nächsten Jahren fertiggestellt werden. „Das Projekt hat die Aufmerksamkeit lokaler Regierungen in den mesopotamischen Sümpfen, der lokalen Bevölkerung und des irakischen Ministeriums für Wasserressourcen erregt“, berichtet Al-Asadi. „Wenn das Projekt erfolgreich ist, denke ich, dass es als Modell an anderen in den Sumpfgebieten, wie Fuhood Stadt oder Hammar Stadt realisiert werden kann.“

Internationale Kooperation als Schlüssel

Alwash blickt zufrieden, wenn auch realistisch auf die Entwicklung der mesopotamischen Sümpfe in den letzten Jahren zurück: Ja, man habe viel erreicht und könne sich freuen, doch habe sei man noch längst nicht am Ziel. Umfangreiche Baumaßnahmen an den speisenden Flüssen erschweren die Wiederherstellung der mesopotamischen Sümpfe erheblich. Es gibt viele Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. „Kooperation über die Staatsgrenzen hinweg ist der Schlüssel zur Zukunft“, so Alwash. Wie das aussehen kann, zeigte ein positives Beispiel im Juli 2018: Als nach Wasserknappheit und längerer Trockenheit Brände im Hawizehsumpf ausbrachen und sich das Feuer binnen weniger Tage bis in Hour al-Azim ausbreitet, war es der Zusammenarbeit iranischer und irakischer Kräfte zu verdanken, dass die Brände gelöscht werden konnten.

Trotz aller Schwierigkeiten ermutigt Azzam Alwash zum Optimismus. Expert*innen hielten es für unmöglich, sich die mesopotamischen Sümpfe nach zwölf Jahren Dürre regenerieren können. Sechs Monate nachdem die ersten Kanäle zerstört wurden und das Wasser zurückfließen konnte, begann das Schilf wieder zu wachsen. 2013, berichtet Alwash, konnten 76 Prozent der Sümpfe, wo es möglich war, wiederhergestellt werden. Er resümiert: „Träumt! Und träumt groß! Es kostet nichts und es ist möglich.“

 

Henriette Witzke studiert Ethnologie und lernt Kiswahili an der Universität Leipzig. Sie interessiert sich besonders für Konflikte und Fragen zu globaler Gerechtigkeit.   
Redigiert von Laura Overmeyer, Anna-Theresa Bachmann