Am Sonntag soll ein Referendum über die Autonomie der Krim stattfinden, wodurch die Annexion der ukrainischen Halbinsel an Russland vorangetrieben werden soll. Während die G7-Staaten bereits verkünden, die Volksbefragung nicht anzuerkennen, und Militäreinheiten Mitarbeiter_innen der OSZE am Zutritt der Krim hindern, werden im Nahen Osten pro- und antirussische Stimmen laut und interessante Vergleiche zu regionalen Konflikten gezogen.
„Wir und die Helfer von Baschar und Putins Russland“ überschreibt Yasser al-Zaatarah seinen Kommentar für das Online-Portal von al-Jazeera. Auch wenn die Unterstützer des syrischen Regimes und des russischen Präsidenten in der arabischen Welt aus dem gleichen Lager kämen, sei es falsch zu glauben, dass die Entwicklungen in der Ukraine den Bürgerkrieg in Syrien beeinflussten, schreibt Zaatarah. „Die Ironie ist, dass Assads Unterstützer anfänglich die Logik auf ihrer Seite hatten, schließlich stimmt es, dass in der Ukraine ein frei gewählter Präsident gestürzt wurde“, räumt der Autor ein. „Aber ihre Haltung wird entlarvt, wenn wir uns daran erinnern, dass sie den Militärputsch in Ägypten ohne Zögern unterstützt hatten.“
Die Haltung der Menschen im Nahen Osten gegenüber Russland beleuchtet Zaatarah kritisch: „Wir als Araber und Muslime haben den Aufstieg Russlands begrüßt, nicht weil wir glauben, dass Putin unsere Ziele unterstützt, sondern aus dem einfachen Grund, dass mit dem Aufstieg Russlands, Chinas, Indiens und Brasiliens die Welt multipolarer wird.“ Dabei unterscheide sich die Haltung Moskaus im Nahostkonflikt nicht von der des Westens und auch das Vorgehen des Kreml in Tschetschenien müsse jeden Muslim verärgern.
Hingegen kommentiert Mufid Khansa für die Zeitung der syrischen Staatspartei al-Baath, dass der Westen versucht habe, den Arabischen Frühling nach Osteuropa auszuweiten unddie Ukraine in ein Werkzeug zu verwandeln, das zu einem beliebigen Zeitpunkt gegen Russland eingesetzt werden könne. Der Westen habe so Druck auf Putin in der Syrien-Krise ausüben wollen – „besonders nach der Genf-II-Konferenz und dem großartigen Erfolg unserer Delegation und der Vertreter des syrischen Volkes“. Putin lasse sich jedoch nicht von Sanktionsdrohungen davon abhalten, die nationalen Interessen Russlands zu verteidigen. Khansa schließt seinen Kommentar mit den Worten: „Die Standpunkte von Präsident Assad und Präsident Putin sind von Ehrlichkeit und Standhaftigkeit geprägt und sie akzeptieren weder Erpressungen noch einen Kuhhandel.“
Russland ist wie Syrien
Einen bemerkenswerten Vergleich zog vergangene Woche Issa Goraieb, Leitartikler des libanesischen l‘Orient le Jour: Was Russland für die Ukraine ist, ist Syrien für den Libanon. „Die Libanesen kennen nur zu gut die Gefahren, denen die kleinen Fische ständig ausgesetzt sind, wenn ihnen die Natur einen sehr viel größeren Nachbarn zugeteilt hat.“ Somit sei der aktuelle Vorgang auf der Krim-Halbinsel nicht nur als „Déjà-vu“ im Rahmen der Ereignisse von Budapest 1956, dem Prager Frühling 1968 und dem Krieg gegen Georgien 2008 zu sehen, sondern durchaus vergleichbar mit den „stalinistischen Methoden“, mit denen Hafez und Bashar al-Assad den Libanon lange Zeit behandelt habe. "Und die Parallelen hören nicht auf“, fährt das traditionell pro-westliche Blatt fort: „Dieser große Demokrat Wladimir Putin beruft sich auf all die Werte, die ihm während seiner Ausbildung beim KGB eingehämmert wurden, um seinen Feldzug gegen die Ukraine zu rechtfertigen. Dass wir dabei nicht an die Decke gesprungen sind, liegt nur daran, dass Bashar al-Assad dem in nichts nachsteht und wir ihn zu oft gesehen haben, wie er sich als Verteidiger der säkularen Gesellschaft darstellt gegenüber den Barbareien der religiösen Extremisten.“ Eine insofern interessante Aussage, als dass die meisten Leser des Orient le Jour Christen sind. „Beide Alliierte (Syrien und Russland) spulen die gleichen inhaltsleeren Phrasen herunter.“
Doppelte Standards
Mursi Atallah sieht in seinem Leitartikel für die staatliche ägyptische Tageszeitung al-Ahram einen neuen kalten Krieg zwischen Barack Obama und Wladimir Putin aufziehen. Der russische Präsident habe gezeigt, dass er nicht einen Moment zögere, zuerst zuzuschlagen, wenn russische Interessen in Gefahr sind. „Putin hat dabei gewiss auch an die doppelten Maßstäbe der USA gedacht, die in Ägypten von einem Militärputsch und in der Ukraine von einer Revolution sprechen“, schreibt Atallah. Und er führt ein zweites Beispiel an: „Im Südsudan hat Amerika über Jahre starken Druck für ein Unabhängigkeitsreferendum ausgeübt. In der Ukraine sagen sie nun das Gegenteil und wollen der Krim ein Referendum über die Abspaltung der Halbinsel verweigern.“
Doppelte Standards beklagt auch Abdel Latif al-Menawy in der unabhängigen ägyptischen al-Masry al-Youm, wenn auch hinsichtlich der Europäischen Union.Die EU habe Olexandr Turtschynow unmittelbar als Interimspräsident anerkannt und unterstütze die Massenbewegungen in der Ukraine, die für europäische Werte wie Meinungsfreiheit kämpften, wohingegen sie auf den Sturz Mohammed Mursis vollkommen anders reagierte; auch acht Monate später noch stünden manche Mitgliedstaaten den damaligen Ereignissen ablehnend gegenüber. „Der Vergleich zeigt, dass die Position der EU und ihre politische Neigung nicht einer Vorliebe zur Freiheit und dem Willen des Volkes entspringen, sondern auf einer unterschiedlichen Betrachtung von Freiheit für den globalen Norden und den globalen Süden basiert.“
Die Bastion der weltweiten Diktatur sitzt in Moskau
„Mit dem weltweiten Rückzug westlicher Demokratien können wir uns nur noch auf uns selbst verlassen, wenn es um Freiheit geht“, kommentiert der ehemalige libanesische Präsidentschaftskandidat Chibli Mallat für den Daily Star. „Die mittelmäßige Diplomatie der EU und der USA, die mit einem Kleptokraten verhandeln wollten, hat über Nacht gewaltfreie Entschlossenheit über Bord geworfen. Wir sollten lernen, ohne amerikanische und europäische Unterstützung zu leben, hat doch Barack Obama friedlichen Demonstrationen weltweit den Rücken gekehrt – unter anderem in Iran, Syrien und Bahrain.“ Mallat sieht eine globale gewaltfreie Revolution am Werk. „Wie wir an der Ukraine und an Syrien gesehen haben, liegt die wichtigste Bastion der weltweiten Diktatur in Moskau. Wladimir Putin muss durch gewaltfreie Demonstrationen entmachtet werden. Was auf der Krim passiert, ist bloß ein Detail, der Fokus muss auf Moskau liegen.“ Denn sobald Putin neben Janukowitsch auf der Anklagebank sitze, könne endlich ein neues Kapitel für eine Welt ohne Diktaturen aufgeschlagen werden.
Nicht anders als Hitler vor 75 Jahren
„Der Westen kann nicht tatenlos zusehen, wie die Ukraine zur Befriedigung von Moskaus politischen Bestrebungen zerschnitten wird“, meint der Kommentator der Gulf News aus Dubai. Der „de-facto Anschluss der Ukraine“ sei im Prinzip nichts anderes als Saddam Husseins Besetzung Kuwaits und Putins Vorgehen gleiche dem von Adolf Hitler vor 75 Jahren. Das Referendum auf der Krim sei illegal und habe kein verfassungsmäßiges Gewicht. „Wenn der Kreml mit seiner gefährlichen Annektierung fortfährt, muss Russland politisch und wirtschaftlich isoliert werden, international geächtet wie das Regime Saddams.“ Ein erster Schritt für den Westen seien Sanktionen gegen Einzelpersonen – zum Beispiel gegen Vladimir Putin.
„Wladimir Putin dachte nicht viel nach, bevor er seine Truppen auf der Krim stationierte“, urteilt die tunesische Zeitung al-Sabah. Diese Entscheidung erscheine zwar wie Sehnsucht nach Ruhm aus der Zeit der Sowjetunion, als Russland in Ungarn und der Tschechoslowakei Aufstände gewaltsam niederschlug. „Doch dieses Mal kommt Putin nicht, um Demonstrationen oder Volksaufstände zu unterdrücken.“ Stattdessen wolle Russland nur seine Interessen schützen, vor allem den Sitz seiner Schwarzmeerflotte auf der Halbinsel. „Moskaus Methoden erscheinen dieses Mal amerikanischer Bauart, ist doch das Eingreifen in die Angelegenheiten anderer ‚vorgeschrieben‘ von den Amerikanern.“ Moskau habe sich zwar nicht amerikanischer Methoden bedient, doch das Bild des allzeit bereiten, zähnefletschenden russischen Bären komme eben immer dann in den Sinn, wann immer die Angelegenheit mit seinen früheren Teilstaaten zu tun habe.
Die Abspaltung der Krim und der israelisch-palästinensische Konflikt
In einem Meinungsbeitrag für Y-Net zieht Rafael Castro Parallelen zwischen dem Beginn des ersten Weltkrieges und den Ereignissen in der Ukraine, deren düstere Entwicklung auch auf das Versagen westlicher Politiker zurückzuführen sei. Diese würden immer noch so willkürlich reagieren wie 100 Jahre zuvor. Die beste Lösung für die Konfliktparteien Ukraine, Russland und den Westen sieht der Autor in einem Referendum. Etwas überraschen fordert er für eine baldige Umsetzung den Westen auf, der Ukraine den baldigen Beitritt zu EU und NATO zu versprechen. Die Erfahrungen der israelischen, palästinensischen und (US-)amerikanischen Unterhändler im israelisch-arabischen Konflikt seien dabei unverzichtbar. Demographische Gegebenheiten könnten nicht außer Acht gelassen werden. „Grenzen sind nicht heilig; nur Menschen und ihre Rechte der Selbstbestimmung sind es wert, als solches betrachtet zu werden. Dies gilt sowohl in Ostjerusalem und den Siedlungen als auch in Kiew und auf der Krim.“
Avi Perry fordert in der Jerusalem Post das Ende des „macho talk“ republikanischer Politiker und tritt für eine Abspaltung der Krim ein. Seiner Argumentation nach hätte Janukowitsch die letzten Präsidentschaftswahlen nur durch die Hilfe der Krim gewonnen. Zur Erinnerung: 2010 besiegte Janukowitsch Julia Timoschenko mit einem Vorsprung von lediglich einer halben Million Stimmen. Hätten also die Stimmen der Krim gefehlt, hätte die pro-westliche Politik gewonnen. „Diejenigen, die eine demokratische, westlich orientierte Ukraine sehen wollen, können sich ihres Ziels sicherer sein, sollte die Krim bei zukünftigen Wahlen nicht beteiligt sein.“ Darüber hinausgehend fordert der Autor Obama und Kerry auf, ihre Argumentation bezüglich einer Zweistaatenlösung im Nahen Osten auf die Krim anzuwenden: „Die amerikanische Logik besagt, dass wenn Israel über eine palästinensische Mehrheit im Westjordanland regieren sollte, dann sollten die Palästinenser entweder israelische Staatsbürger mit vollen Rechten werden – eine Tatsache, die den jüdischen Charakter des Staates unterminieren würde – oder sie würden Staatsbürger zweiter Klasse werden – eine Tatsache, die die demokratisch-moralische Verfasstheit des Staates unterminieren würde.“ Dieselben Ansprüche sollten daher auch auf die Zukunft der Krim und die US-amerikanische Politik angewandt werden. Letzere solle daher die feindselige Rhetorik einstellen, die tatsächlichen Fakten akzeptieren und lediglich vorgeben, sie sei aufgebracht.