19.05.2017
Präsidentschaftswahlen in Iran: Unter Spannung
Unterstützer Rohanis am Ferdosi Square, Teheran. Foto: isna
Unterstützer Rohanis am Ferdosi Square, Teheran. Foto: isna

Am Tag der Präsidentschaftswahlen in Iran ist die Stimmung zum Zerreißen gespannt und äußerst polarisiert. Sufi Farhang wirft einen Blick auf die Wahlversprechen und Kampagnenstrategien von Konservativen und Reformern. 

Anmerkung: Inzwischen haben sich zwei der im Artikel genannten Kandidaten aus dem Wahlkampf zurückgezogen, um die Chancen ihrer jeweiligen Mitstreiter zu erhöhen. Der Konservative Mohammad Bagher Ghalibaf trat am Montag zugunsten Ebrahim Raisis und der Reformer Eshagh Jahangiri wie erwartet am Dienstag zugunsten Hassan Rohanis zurück.

Am Tag der Präsidentschaftswahlen in Iran ist die Situation im Land enorm angespannt. Ausgelöst durch die letzte Fernsehdebatte am vergangenen Freitag, ist Twitter – unter dem Hashtag "Die letzte Debatte" (#مناظره_آخر) – zur Bühne heftiger Auseinandersetzungen für Unterstützer beider Lager geworden. Beide Seiten bemühen sich, die jeweils anderen Kandidaten anzuklagen oder bloßzustellen – und lassen dabei kaum Platz für konstruktive Diskussionen. Inmitten dieser aufgeheizten und polarisierenden Debatte lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die Aussagen, Versprechungen und Kampagnen der Kandidaten und ihrer Lager zu werfen.

Die Konservativen: Regierung der Arbeit und Freigiebigkeit

Sowohl Ghalibaf als auch Raisi konzentrierten sich in ihrer Argumentation während der Fernsehdebatte auf die hohe Arbeitslosigkeit im Land und die Rechte der Arbeiterklasse und sozial Benachteiligten. Bereits in der Wahlkampagne haben sich die beiden konservativen Kandidaten als Fürsprecher und Beschützer der Arbeiterklasse dargestellt – was man angesichts von Raisis Verwicklung in die Verfolgung, Inhaftierung und Hinrichtung von Linken und Marxisten in den 80er Jahren als bittere Ironie betrachten muss.

In der Debatte versucht Ghalibaf, eine neue Terminologie in den Wahlkampf einzubringen: Er bezeichnet Rohanis Regierung als die „4-Prozent-Regierung“, die nur die Interessen der Oberschicht vertrete, während 96 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu Wohlfahrtseinrichtungen hätten. Anstatt ihre Grundrechte zu befriedigen, würden diese Menschen immer ärmer. Rohani hielt dagegen, dass Ghalibaf sich mit diesen Zahlen bei der Wall-Street-Bewegung bedient habe und sie auf keinerlei statistischen Grundlagen beruhten.  Ghalibaf versprach den Wählern , dass er im Falle eines Sieges eine Million Arbeitsplätze pro Jahr schaffen und ein monatliches Arbeitslosengeld von umgerechnet 60 Euro einführen würde. Zuvor hatte er bereits eine Webseite zur Online-Registrierung für das Arbeitslosengeld initiiert, das Projekt wurde jedoch mit dem Vorwurf des Stimmenkaufs von der Regierung verboten.

Auch Raisi machte Versprechungen und plante, die monatlichen Subventionszahlungen an arme Menschen von 10 Euro auf 60 Euro anzuheben. Die beiden konservativen Kandidaten stützten sich also in ihrer Rhetorik vor allem auf finanzielle Versprechungen und wandten sich damit an die ärmeren Schichten der iranischen Bevölkerung. Den Forderungen der Mittelschicht nach einer Ausweitung ihrer Rechte hingegen schenkten sie kaum Beachtung.

Während der Debatte versuchten beide Kandidaten, insbesondere jedoch Ghalibaf, die aktuelle Regierung als bourgeois und korrupt darzustellen. Sie enthüllten Dokumente, die angeblich zeigten, dass Rohani und Jahangiri sich vor einigen Jahren ein Stück Land oder ein Haus mit erheblichen finanziellen Vergünstigungen gekauft hatten. Die beiden reformistischen Kandidaten stritten dies ab – und Ghalibaf selbst erntete in den sozialen Medien einigen Spott für seine Anschuldigungen, da er sich als Bürgermeister von Teheran wohl kaum über ein kümmerliches Gehalt beklagen konnte. Und wenn er tatsächlich mit diesem Einkommen nicht auskäme, wie wolle er dann ein ganzes Land regieren?

Die Reformer: „Wir gehen nicht zurück“

Einer der Haupt-Slogans aus Rohanis Kampagne ist: „Wir gehen nicht zurück" (#به_عقب_برنمی_گردیم) und zurück heißt hier: in die Zeit seines Vorgängers Mahmud Ahmadinejad. Rohani wird als der einzige Weg vorwärts dargestellt. Seine Unterstützer weisen auf den Erfolg in den Atomverhandlungen hin, den Rückgang der Inflationsrate und seine Versuche, die Chancengleichheit für Frauen vorwärts zu bringen. In den sozialen Netzwerken werden diese Veränderungen unter dem Hashtag „gefühlte Veränderungen" (#تغییرات_ملموس) verbreitet.

Junge Unterstützer Rohanis rufen auf ihren Zusammenkünften: „Wir waren grün, aber der Schlagstock hat uns lila gemacht“. Dabei beziehen sie sich auf die Unterdrückung der Grünen Bewegung im Jahr 2009, deren Anführer bis heute unter Hausarrest stehen. Und Rohanis Kampagnen-Farbe ist: Lila.

Während der letzten Fernsehdebatte griff Rohani seine beiden Rivalen direkt an. Er wies darauf hin, dass Raisis vorgeschlagenes Kabinett stark dem Ahmadinejads ähnle, da teilweise dieselben Minister und Berater darin vorkämen. Auch wirft er ihm völlige Unkenntnis in Bezug auf Diplomatie und Verwaltung vor – er wisse ja noch nicht einmal, wie er die versprochene Erhöhung der Subventionen finanzieren wolle.

Den Teheraner Bürgermeister Ghalibaf wies er auf die Korruptionsvorwürfe gegen die Stadtverwaltung im vergangenen Jahr hin – und die anschließende Verhaftung des Journalisten, der die Korruption aufgedeckt hatte. Auch beschuldigt Rohani ihn, eine führende Rolle in der Unterdrückung der Studentenbewegung im jahr 1999 gespielt zu haben. Würde Ghalibaf zum Präsidenten gewählt, so Rohani, gäbe es keine akademischen Freiheiten mehr.   Außerdem bemerkte Rohani, dass Ghalibaf gar nicht zu dieser Wahl zugelassen worden wäre, hätte Rohani selbst im Jahr 2005 nicht verhindert, dass Ghalibafs „Fall“ aufgedeckt würde. Damals waren ebenfalls Präsidentschaftswahlen, bei denen Ghalibaf kandidiert hatte. Rohanis Worte sorgen für Unmut und große Verwirrung bei seinen Unterstützern. Auf welchen „Fall“ bezieht sich Rohani? Und warum hat er noch nicht zuvor darüber gesprochen?

Rohanis Kampagne versuchte, die Menschen davon zu überzeugen, dass es bei dieser Wahl nicht um die Entscheidung zwischen „schlimm“ und „schlimmer“ geht, sondern um nichts geringeres als um die Entscheidung zwischen Leben und Tod. Raisis Kampagne, andererseits, versucht die Klassenunterschiede innerhalb der Gesellschaft zu verhärten, indem er offen Partei für Arbeiter, Bauern und arme Menschen ergreift.

Die Atmosphäre war in diesen letzten Tagen vor der Wahl äußerst gespannt, insbesondere in den Städten und in den sozialen Medien.Viele Menschen fühlten sich an das Jahr 1997 erinnert, als der Reformer Mohamad Khatami zum Präsidenten gewählt wurde. Der Revolutionsführer, Ali Khamenei, hat nun die Hoffnung geäußert, dass sich die Wahl nicht zu einer polarisierenden, angespannten Situation entwickelt. Doch genau dies scheint nun der Fall zu sein.

Artikel von Sufi Farhang
Übersetzt von Laura Overmeyer