31.07.2023
Letzter Kufiya-Produzent in Palästina: Kauft das Original!
Musterdesign, Spinnen, Weben, Schneiden, Veredeln – in diesen fünf Schritten erfolgt die Produktion einer traditionellen Kufiya. Foto: Hirbawi-Weberei
Musterdesign, Spinnen, Weben, Schneiden, Veredeln – in diesen fünf Schritten erfolgt die Produktion einer traditionellen Kufiya. Foto: Hirbawi-Weberei

Die Kufiya gilt als Nationalsymbol Palästinas, doch die Hirbawi-Weberei in Hebron ist die letzte Fabrik, die sich dort halten konnte. Der Sohn des Gründers und heutige Manager, Judeh Hirbawi, über die Vision des Familienunternehmens. 

Ursprünglich bedeckten Bauern und Bäuerinnen in den ländlichen Gebieten Palästinas Kopf und Schultern mit dem schwarz-weiß-gemusterten Tuch mit Quastenrändern, später griffen Kämpfer:innen des Arabischen Aufstandes von 1936 bis 1939 die Kufiya als Widerstandssymbol gegen die britischen Besatzer auf. Durch PLO-Chef und Nobelpreisträger Arafat verstärkte sich der Symbolcharakter des Tuchs und erlangte im Kontext des Israel-Palästina-Konflikts und der Friedensverhandlungen in den 1990er-Jahren weltweite Berühmtheit.

Doch trotz der Symbolik, die die Kufiya eng mit der palästinensischen Geschichte verwoben hat, ist die Produktion des Tuches innerhalb Palästinas keine Selbstverständlichkeit. Mitten in Hebron, im von Israel besetzten Westjordanland, liegt die Hirbawi-Weberei, die letzte Fabrik, die die Tücher traditionell herstellt. 

„Als letzter Hersteller originaler palästinensischer Kufiyas in Palästina hat die Kufiya für uns als Familie Hirbawi und für die Palästinenser:innen sowohl in den Autonomiegebieten als auch weltweit eine tiefe emotionale Bedeutung“, erzählt Judeh Hirbawi, der Sohn von Yasser Hirbawi, welcher die Fabrik im Jahr 1961 gründete. Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern und einem Freund leitet Judeh die Weberei heute und führt damit das Werk seines Vaters fort, der mit der Weberei traditionelles Handwerk mit innovativen Herstellungstechniken verbinden wollte. „Zu dieser Zeit wurden Kufiyas in Palästina hauptsächlich von Hand hergestellt oder von englischen Fabriken produziert, die ein Monopol auf mechanische Webstühle hatten.“ 

Großteil palästinensischer Fabriken wurde durch ausländische Wettbewerber vom Markt verdrängt

Obwohl die Popularität der Kufiya im Laufe der Jahre wuchs, wurden palästinensische Webereien immer mehr vom Markt verdrängt. Verantwortlich dafür waren Unternehmen, die im Ausland billige Massenware produzierten. Die Kufiya aus palästinensischer Herstellung wurde damit verhältnismäßig teuer und für den globalen Markt unattraktiv. Durch die Aneignung des Symbols entstand Judeh zufolge ein großer Schaden, der auch heute immer entsteht, „wenn Kufiyas außerhalb Palästinas produziert und verkauft werden, ohne dass die Menschen, die diese Kultur geschaffen haben, davon profitieren.“ 

Auch die kleine Hebroner Fabrik der Hirbawis hat mit mangelnder Bekanntheit zu kämpfen. Das Geschäft sei zwar insofern rentabel, als dass die Gehälter der Mitarbeiter:innen gezahlt und ihre Familien unterstützt sowie neue Design erstellt werden können, aufgrund begrenzter Gewinnmargen sei es jedoch nicht machbar, große Werbekampagnen zu starten. Diese wären notwendig, um sich im weltweiten Online-Geschäft durchzusetzen. „Viele Menschen wissen nicht, dass es immer noch eine Fabrik gibt, die Kufiyas in Palästina herstellt“, meint Judeh. Dieses Problem werde durch Produktpiraterie noch verschärft: „Es gibt Leute, die gefälschte Kufiyas verkaufen und behaupten, sie seien aus Palästina. In einigen Fällen behaupten sie sogar, sie seien von uns, von Hirbawi.“ Die Anwaltskosten, um rechtlich dagegen vorzugehen, könne die Fabrik nicht stemmen. 

Der Manager träumt von einem geografischen Schutz für die Kufiyas, ähnlich wie er für einige Produkte in Europa existiert. Doch ohne einen starken palästinensischen Staat sei dies nicht denkbar, daher sei die Weberei auf Kund:innen und Freund:innen angewiesen. „Wenn jemand bewusst eine in Palästina hergestellte Kufiya kauft und trägt, unterstützt er die palästinensische Kultur und die lokale Wirtschaft, anstatt sie auszubeuten. In diesem Fall handelt es sich nicht um kulturelle Aneignung, sondern um kulturelle Wertschätzung und Solidarität.“

Das Unternehmen verkauft seine Kufiyas zwar auch lokal, das Internetgeschäft macht jedoch den Großteil des Geschäfts aus, berichtet Judeh. „Wir versuchen, den Preis so niedrig wie möglich zu halten, um Menschen auf der ganzen Welt zu erreichen.“ Über die Plattform kufiya.org werden die Tücher weltweit zum gleichen Preis angeboten, das Warenlager des Online-Shops befindet sich in Deutschland. „Zudem existiert eine Liste von Vertriebspartnern in verschiedenen Ländern, die auf unserer Firmenwebsite hirbawi.ps zu finden ist.“

Widrigkeiten durch Besatzung und Siedlungen erschweren Produktion und Vertrieb von Kufiyas in Hebron 

Wer eine Kufiya trägt, bricht in Deutschland und anderen westlichen Ländern höchstens Debatten über den Israel-Palästina-Konflikt vom Zaun. Gefährlich werden kann das Tragen des Tuches laut Judeh in der Nähe von Siedlungen im besetzten Westjordanland. „Es gibt dokumentierte Fälle, in denen extremistische israelische Siedler Wanderer:innen attackiert haben, die als Palästinenser:innen oder als Unterstützer:innen des Widerstands gegen die Besatzung identifiziert wurden“, erzählt er. Die Siedler:innen tragen häufig Waffen bei sich und werden durch die israelische Armee geschützt. „Dies trägt zu einem Klima der Angst und Unsicherheit bei und erschwert die freie Bewegung von Menschen in vielen Teilen der besetzten Gebiete.“

In Hebron ist die Stimmung zwischen jüdischen und palästinensischen Bewohner:innen besonders angespannt. „Hebron ist aufgrund der israelischen Siedlungen und der Präsenz des israelischen Militärs oft von Spannungen und Konflikten betroffen. Dies kann die Sicherheit der Menschen und die Produktionsbedingungen beeinträchtigen“, erklärt der Sohn des Hirbawi-Gründers. Das Besondere an Hebron ist, dass die jüdischen Siedlungen hier nicht am Stadtrand, sondern mitten in der Innenstadt liegen. Die Stadt wurde in zwei Zonen unterteilt: die H1-Zone für Palästinenser:innen und die H2-Zone für jüdische Einwohner:innen. 

„Die Besatzungssituation hat einen erheblichen Einfluss auf die Produktion unserer Firma und beeinträchtigt die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens“, so Judeh. Dazu zählt die eingeschränkte Bewegungsfreiheit von Menschen und Gütern, was den Transport von Rohstoffen und fertigen Produkten sowie den Zugang zu anderen wichtigen Ressourcen und Dienstleistungen erschwere. „Dies wirkt sich auf die Produktionskapazität, die Produktqualität und die Lieferzeiten aus.“

Auch der eingeschränkte Zugang zu internationalen Märkten und der erschwerte Export der Kufiyas durch viele bürokratische Hürden, Kontrollpunkte und Handelsbeschränkungen wirke sich negativ aus, ebenso wie die Abhängigkeit von der israelischen Wirtschaft. „Unsere Produktion und unser Handel sind von politischen Entscheidungen und wirtschaftlichen Bedingungen in Israel abhängig, was zu Unsicherheiten und Herausforderungen führt.”

Abhängigkeit von nationaler und internationaler Politik zieht sich durch die Firmengeschichte

Ob in der Weberei produziert wird oder nicht, hängt stark von den politischen Gegebenheiten ab. Foto: Hirbawi-Weberei

Die Abhängigkeit der Weberei von der politischen Situation in dem Gebiet zieht sich durch die gesamte Firmengeschichte. Als Beispiele nennt der Manager die Besatzung durch Israel nach dem Krieg 1967, bei dem die Fabrik durch die neuen Grenzen viele jordanische Kund:innen verlor, die Ausgangssperren und landesweiten Generalstreiks während der ersten und zweiten Intifada und das Attentat durch einen rechtsextremen Siedler auf die Ibrahimi-Moschee im Jahr 1994. 

„Bei jedem Ausbruch von Unruhen verhängt Israel kollektive Strafen, wie die Sperrung von Straßen und Grenzübergängen für Palästinenser:innen. Diese politischen Entwicklungen haben zweifellos Auswirkungen auf unseren Arbeitsalltag und erfordern Anpassungen und Flexibilität in unserer Arbeitsweise“, führt Judeh aus. 

Die Stadt Hebron und die Kufiya-Produktion gehören zusammen 

Trotz dieser Herausforderungen sei Hebron als Produktionsstandort wichtig, um die lange Tradition in der Herstellung von Kufiyas zu bewahren, die lokale Wirtschaft zu unterstützen und Arbeitsplätze zu schaffen. Das Gouvernement Hebron verzeichnete bei einer Erhebung im Jahr 2022 mit 16,9 Prozent die höchste Arbeitslosenquote im Westjordanland. 

„Die wirtschaftliche Notlage ist ein zentrales Thema, das die Lebensbedingungen und Zukunftsaussichten der Bevölkerung stark beeinflusst.“ Daher müsse man mit den Herausforderungen umgehen, die mit der Besatzung einhergehen, und gleichzeitig versuchen, die Produktion so effizient und nachhaltig wie möglich zu gestalten. 

Nichtsdestotrotz hegt der Manager den Wunsch, dass sich eines Tages eine unabhängige und lebensfähige palästinensische Wirtschaft entwickeln kann, die frei von den Einschränkungen der Besatzung ist. „Wir wünschen uns eine gerechte und dauerhafte Lösung des Konflikts, die auf gegenseitigem Respekt, Gleichberechtigung und dem Recht auf Selbstbestimmung basiert.“

 

 

Hanna ist seit 2023 Mitglied bei dis:orient. Sie hat Journalismus, Kommunikation und Medienwissenschaften studiert und arbeitet hauptberuflich als Redakteurin und Autorin. Bei dis:orient ist sie vor allem im Bereich Magazin tätig. Ihre Themenschwerpunkte sind Migration und Bildung.
Redigiert von Claire DT, Clara Taxis