15.02.2018
Kulturfestival „Wundern über tanawo“: Die Vielfalt der Gegenwart
Auch die Werke von Hoda Zarbaf werden bei "Wundern über tanawo" zu sehen sein - etwa dieses hier: "Still Life Photograph". Foto: Wüt
Auch die Werke von Hoda Zarbaf werden bei "Wundern über tanawo" zu sehen sein - etwa dieses hier: "Still Life Photograph". Foto: Wüt

Das Hamburger Festival bietet im März einen Einblick in die zeitgenössische Kunst und Kultur Irans. Denn bisher erscheint iranische Gegenwartskunst als „Anhang der westlichen Kunst“ – kritisiert  beispielsweise die iranische Künstlerin Maryam Kuhestani.

Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Berichterstattung rund um das Kulturfestival „Wundern über tanawo“, das im März in Hamburg stattfindet. Alsharq ist Medienpartner des Festivals.

Welches Bild haben wir von der zeitgenössischen Kunst in Iran? Das Kunst- und Kulturfestival „Wundern über tanawo“, dessen Medienpartner der Alsharq-Blog ist, will Einblicke in die Gegenwartskunst und -kultur des Landes ermöglichen.

Dem Titel entsprechend, ist das Festival eine Einladung zum Wundern über die Vielfalt (pers. = tanawo) Irans, insbesondere der iranischen Kunst und Kultur, welche durch 25 verschiedene Kunstschaffende sowie 20 anreisende Künstlerinnen und Künstler aus Iran und Europa geboten ist. In Form von Konzerten, Ausstellungen, Workshops und Festivals werden vom 15. bis 18. März 2018 die bildenden Künste, Film, Literatur, Musik und Theater von KünstlerInnen aus Iran, Deutschland und Europa zu sehen sein. Um dieses diverse Spektrum zu ermöglichen, findet das Festival in Hamburg auf verschiedene Kulturinstitutionen verteilt statt.  

Wunder über tanawo'
 

 

So wird am Donnerstag das Festival mit einem Konzert des Arshid Azarine Trio in der Elbphilharmonie eröffnet, gefolgt von der Vernissage der Gruppenausstellung junger iranischer und Hamburger Künstler in der Affenfaust Galerie. Von Freitag bis Sonntag werden weitere Veranstaltungen in der Kulturfabrik Kampnagel, dem Alabama Kino und der Bar Yoko stattfinden. Die genauen Infos finden sich auf der Website www.tanawo-festival.org.

Drei Themenblöcke, eine Frage

Inhaltlich haben sich die teilnehmenden KünstlerInnen mit komplexen Fragen zu drei Themenbereichen auseinandergesetzt: Sie spannen den Bogen von „Frauenbilder/Kontinuitäten/Wandel“, „Sprache/Gesellschaft/Identität“ zu „Leben/Kunst/Exil“. In allen drei Themenblöcken ist dabei die Frage nach dem Ist-Zustand einer Gesellschaft zu erkennen, die sich ständig neu erfindet.

Bisher ist das zeitgenössische Bild Irans in der deutschen Berichterstattung noch immer auf einseitige Perspektiven beschränkt. Kann die Kunst dem also entgegentreten? Wie sieht die Gegenwart Irans aus, von welchen Begriffen, Vorstellungen und Tatsachen ist sie geprägt, und wie findet sich das wiederum in ihrer Kunst wieder?

Wo die Gesellschaft steht und wo sie hin will

Diese Fragen lassen erkennen, weshalb Gegenwartskunst nicht nur für sich spannend ist, sondern auch viel Wissenswertes vermittelt. Denn die zeitgenössische Kunst kann aufzeigen, wo wir gerade in der Gesellschaft stehen, welche Fragen wir uns stellen. Damit kann sie nicht nur die Lage einer Gesellschaft widerspiegeln, sondern gleichzeitig einen Ausblick in die Richtung geben, in die sich eine Gesellschaft in Zukunft bewegt.  

  Wie steht es also in Iran um die Kunst und was sagt das über die gegenwärtige Situation im Land selbst aus? Wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir Gegenwartskunst aus Iran sagen? Mögliche Antworten auf diese Fragen liefert ein Essay der iranischen Künstlerin Maryam Kuhestani. Darin schafft sie ein erstes Bild von der iranischen Kunst sowie dem iranischen Verständnis und Unverständnis von der künstlerischen Gegenwart:  

Kunst in Iran: Ein genetisch verändertes Kind

„Wenn wir von iranischer Gegenwartskunst sprechen, von was sprechen wir genau? In diesem Satz stecken drei Schlüsselwörter: Kunst, Gegenwart und Iran als geografische Eingrenzung. Gibt es eine weltweit einheitliche Definition von iranischer Kunst? Die Zeit und der Ort haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Kunst und das Zeitgenössische. Kann man ohne die Kultur, die Technik, die innere Wahrnehmung der Umwelt der Künstler, die künstlerische Produktion mit einem vorher definiertem Rahmen von zeitgenössischer Kunst vergleichen?  

Maryam Kuhestani
 

Natürlich nicht. Ein künstlerisches Werk ist das Geborene seiner eigenen Zeit. Mit diesem Verständnis soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass ein Geborenes in einer Gebärmutter sein sollte, in der es die Möglichkeit hat, sich zu entwickeln, und dass es natürlich zur Welt kommt. Bedauerlicherweise ist die zeitgenössische Kunst in Iran die Geburt eines Kindes, das genetisch verändert wurde und nur den Namen „zeitgenössische Kunst“ trägt.  Der Kreis von Personen, die wirklich bedeutsame zeitgenössische Kunst schaffen, ist sehr klein; die meisten Künstler „versuchen“ nur, Gegenwartskunst zu schaffen.

Der Blick auf die Kunst ist orientierungslos

Diese Aussage lässt sich selbst kritisieren und diskutieren, doch so, wie man sich selbst in der Welt als „gegenwärtig“ betrachtet, als „Mensch der Gegenwart“, denkt man, dass man automatisch „Gegenwartskunst“ produziere und es nicht nötig sei, sich anzustrengen, um tatsächlich bedeutsame zeitgenössische Kunst zu schaffen.

Der Zustand von – und der Blick auf – zeitgenössische Kunst in der Region, in der sich Iran befindet, ist deswegen aus meiner Sicht wie ein kompliziertes Wollknäuel und orientierungslos. Indem iranische KünstlerInnen auf die westliche Kunst getroffen sind, hat sich unsere zeitgenössische Kunst genetisch verändert. Dadurch ist eine Verzweiflung unter den iranischen KünstlerInnen entstanden, welche ihre Methoden und inneren Einstellungen völlig durcheinander brachte, die davor im Einklang mit der iranischen Kultur, Ideologie, Subjektivität und der sozialen Struktur waren. Sie versuchten, sich selbst den „Anderen“ anzunähern, und sich sogar in sie „zu verwandeln“.

Entwicklung in die Leere

Tatsächlich verinnerlichten sie allein die äußerlichen Qualitäten der westlichen zeitgenössischen Kunst, und nicht ihre eigenen Motive und Hintergründe. Das führte letztlich dazu, dass die gegenwärtigen künstlerischen Strömungen in Iran sich zu etwas ohne Orientierung entwickelten, leer von kulturellem Reichtum.

Diese Entwicklung beschränkte sich allerdings nicht auf die KünstlerInnen, sondern umfasste auch künstlerische Ereignisse wie Festivals, Biennalen, Galerien und ebenso die KonsumentInnen, die KritikerInnen, die KäuferInnen und die Medien. Das hatte eine Beschleunigung zur Folge, welche die Beschäftigung mit der Kunst im gegenwärtigen Kunstsystems Irans noch oberflächlicher macht.

Kapitalistische Interessen dominieren den Kunstmarkt

Die Galerien, die eine wichtige Rolle in der Kunst und Kultur eines Landes spielen, versuchen vornehmlich, ihre kapitalistischen Interessen zu befriedigen. Das führt dazu, dass die meisten Werke, die in Galerien ausgestellt werden, sich am allgemeinen Geschmack der KäuferInnen orientieren, der meistens luxuriös und dekorativ ist, oder sie orientieren sich am weltweiten Markt und ausländischen Kunstauktionen.

So ist durch kapitalistische Interessen vorbestimmt, welche KünstlerInnen keinen Platz finden und aus dem Kreise der Kunst „herausfallen“. Ebenso ist der Raum der Kritik kein ernstzunehmender, ausgewogener und kontinuierlicher Ort. Ausstellungen bleiben für eine kurze Zeit, dann gehen sie zu Ende. In dieser begrenzten Zeit hat der Künstler die Chance, seine Arbeit zu präsentieren.

Die kritische Besprechung seiner Arbeit bleibt aus Zeitgründen oft oberflächlich, während sich die Betrachtung der Besucher meistens auf den Tag der Eröffnung beschränkt, ein Tag, an dem aufgrund von Menschenmassen eine umfassende Aufmerksamkeit für die Werke nicht möglich ist.

Der Spiegel ist verschwommen

Zurzeit erscheint der allgemeine Geschmack der Gesellschaft zweigeteilt: Jene, die den Wert eines Werkes allein anhand der inländischen und ausländischen KäuferInnen oder den großen, ausländischen Auktionen bewerten, und jene, die allein auf den dekorativen Nutzen für ihre Innenräume achten. Die Kunstfestivals sind in der Regel nicht besser oder haben eine politische Ausrichtung oder bewerten Kunst, wie die Galerien, maßgeblich nach westlichen Mustern.

Ein Künstler, der sich in einer solchen geschlossen und einsamen Umwelt befindet, und vor allem die Ausstellung als Reflektion seiner Arbeit zur Verfügung hat, kann so nur sehr schwer wahre Empfindungen von seinen eigenen Methoden und Bemühungen erlangen.

Der Spiegel, den der Betrachter ihm entgegenhält, ist matt und verschwommen. Zusammenfassend erscheint so die Gegenwartskunst Irans, bedauerlicherweise, im Gesamten, jedoch mit Ausnahmewerken, bestenfalls als Anhang der westlichen zeitgenössischen Kunst und nicht als eigenständige Bewegung.“

Offenlegung: Alsharq ist Medienpartner des Festivals „Wundern über tanawo“. Julia Klink arbeitet für das Festival.
    

Corinna ist 2016 während Forschungsaufenthalten in Israel und Palästina zu Alsharq gestoßen. Nach ihrem Master in Peace and Conflict Studies an der University of St. Andrews hat sie sich in ihrem zweiten Master in Comparative Political Thought an der SOAS im Bereich Postcolonial Studies und Philosophy of Time spezialisiert. Bei Alsharq arbeitet...
Artikel von Julia Klink
Übersetzt von Sören Faika aus dem Persischen.