05.03.2021
Impft meine Oma!
Kaum Impfstoff in Sicht – für viele ärmere Staaten liegt die Durchimpfung der Bevölkerung in weiter Ferne. Illustration: Kat Dems
Kaum Impfstoff in Sicht – für viele ärmere Staaten liegt die Durchimpfung der Bevölkerung in weiter Ferne. Illustration: Kat Dems

Für die Großmutter in Ägypten liegt eine COVID-19-Impfung in weiter Ferne – auch weil sich führende Industriestaaten gegen eine Lockerung des Patentschutzes für Impfstoffe wehren. Das ist unsolidarisch, aber auch gefährlich, denkt Hannah El-Hitami.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne Des:orientierungen, die jeden zweiten Freitag erscheint.

Vor fast genau einem Jahr flog ich das letzte Mal von Berlin nach Kairo. Der Plan war, drei Wochen bei meiner Oma zu wohnen, journalistische Themen zu recherchieren und Zeit mit Freund:innen und der Familie zu verbringen, so wie ich es seit vielen Jahren alle paar Monate mache. Dieses Mal allerdings saß ich nur drei Tage später in einem völlig überstürzt und überteuert gebuchten Flieger auf dem Weg zurück nach Deutschland.

Die Corona-Krise hatte sich innerhalb kürzester Zeit so zugespitzt, dass ich nicht nur aus Sorge meine Großeltern zu gefährden abreiste, sondern auch, weil wenige Tage später der Kairoer Flughafen dichtmachen würde. Seitdem warte ich darauf, endlich wieder nach Ägypten reisen zu können und meine Oma wiederzusehen – ohne die Gefahr, sie anzustecken.

Es gibt nur eine Lösung für dieses Problem: die Impfung. Denn selbst wenn COVID-19 in Deutschland im Griff wäre, würde das erstmal nichts an der Lage in Ägypten ändern, wo es nur sporadische Lockdown-Regelungen gegeben hat und kaum getestet wird. Die Frage ist nur, wer wohl von uns beiden als erstes geimpft sein wird: die 29-jährige, gesunde Enkelin in Deutschland oder die 80-jährige Oma mit Bluthochdruck und chronischen Herzproblemen in Ägypten? Ich würde einiges darauf wetten, dass ich es sein werde.

Globale Impfgerechtigkeit in weiter Ferne

Im weltweiten Länderranking für Corona-Impfungen zählt Ägypten zu den Schlusslichtern – zumindest unter denen, die überhaupt schon impfen können. In realen Zahlen waren Ende Januar immerhin 1315 Impfdosen verteilt worden, aktuellere Zahlen gibt es nicht. Zum Vergleich: In Deutschland, das eine kleinere Bevölkerung hat, waren es zu diesem Zeitpunkt bereits knapp zweieinhalb Millionen.

Wie die meisten Bevölkerungen außerhalb der reichsten Industriestaaten, werden Ägypter:innen noch länger auf die Herdenimmunität warten, als es die Menschen in Deutschland ohnehin schon müssen. Länder wie Ägypten werden erstmal nur einen Bruchteil des global produzierten Impfstoffs erhalten. Die OECD-Staaten – in denen gerade einmal 17 Prozent der Weltbevölkerung lebthaben sich hingegen bis Mitte Januar 60 Prozent des bis dahin jährlich verfügbaren Impfstoffes gesichert. Und damit nicht genug: Sie wollen nicht nur den Stoff haben, sie wollen damit auch noch Profite machen.

Am 10. und 11. März entscheidet die Welthandelsorganisation (WTO) erneut über einen Antrag Südafrikas und Indiens, das Patentrecht angesichts dieses „globalen Ausnahmezustands“ zu lockern, sodass mehr Länder in die Produktion des Impfstoffes einsteigen können. Dafür sprachen sich bisher mehr als 100 der 164 Mitgliedsstaaten aus – die USA, die EU, Japan und ein paar weitere reiche Länder mit großen Pharmaindustrien waren dagegen.

Da die WTO im Konsens oder mit Zweidrittelmehrheit entscheidet, genügte das bislang, um den Antrag abzulehnen. Der angemessene Schutz geistiger Eigentumsrechte biete einen wichtigen marktbasierten Anreiz für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen durch private Unternehmen, lautet das Argument seitens der Bundesregierung. Dass eine globale Pandemie mit Millionen Toten keinen ausreichenden Anreiz bietet, ist verwunderlich.

Sollte das so bleiben, geht der Trend tatsächlich dahin, dass junge, gesunde Menschen in reichen Ländern eine Impfung erhalten, während ältere Menschen in ärmeren Staaten dem Tod überlassen werden. Derweil steigen die Aktienkurse der Produzent:innen rasant. Zwar finanzieren wohlhabendere Länder über die COVAX-Initiative Impfstoffe für Länder mit, die nicht zahlen können. Doch damit werden bis Ende des Jahres nur etwa ein Fünftel der Bevölkerungen geimpft sein, für die das Programm gedacht ist.

Außerdem ist eine globale Pandemie nicht der richtige Zeitpunkt für die Art von Wohltätigkeit, die Europa und die USA so häufig betreiben: die, bei der die Empfänger:innen in Abhängigkeit geraten, anstatt als gleichberechtigte Partner:innen zusammenzuarbeiten. Je länger Staaten mit dem Virus zu kämpfen haben, desto mehr werden ihre Bevölkerungen und auch ihre Wirtschaft leiden. So droht den Ländern noch tiefere Armut und Ungleichheit, die seit Jahrhunderten durch die direkte und indirekte Ausbeutung der reichsten Länder in ihrem Wohlstand gebremst werden.

Ein Erreger namens Impfdiplomatie

Es sei denn, wirtschaftlich schwächere Staaten suchen sich ihre Allianzen woanders. In immer mehr Ländern, auch in Westasien und Nordafrika (WANA), wird der russische Impfstoff Sputnik V zugelassen. Algerien und Marokko haben bereits Lieferungen erhalten. Gaza bekam 20.000 Sputnik-Dosen von den Vereinigten Arabischen Emiraten geschenkt, nachdem vom Impfweltmeister Israel kaum etwas ankam.

Andere Länder wie Bahrain oder Jordanien haben den chinesischen Impfstoff Sinovac bestellt. Ägypten nahm an den klinischen Tests von Sinovac teil und erhielt diesen im Dezember als erstes afrikanisches Land. Indessen testen iranische Proband:innen einen kubanischen Impfstoff, den Havanna den Ländern im globalen Süden zu fairen Preisen zur Verfügung stellen möchte.

Europa blickt derweil kritisch auf diese so betitelte „Impfdiplomatie“. Medien berichten, dass China sich als weltweiten Retter darstellen wolle, dass Russland und China nicht aus Nächstenliebe handelten, sondern mit Impfstoff Politik machen und ihren Einfluss in bestimmten Teilen der Welt ausweiten wollten.

Das stimmt wahrscheinlich. Doch es ist sicher nicht so, als hätte Europa jemals eine außenpolitische Entscheidung aus Nächstenliebe getroffen. Was immer das Motiv sein mag – in dieser Krise wird die Politik Chinas, Russlands oder Kubas de facto Leben retten, während der globale Norden sein Image als von Menschenrechten geleiteter, zivilisierter und nobler Teil dieses Planeten mal wieder nicht gerecht wird.

Ein Testlauf für die globale Katastrophe

Ja, ich würde wirklich gerne meine Oma besuchen, aber die Abstimmung über die Patentfreigabe treibt mich aus weitreichenderen Gründen um. Je länger die Weltbevölkerung als Ganze benötigt, um das Corona-Virus in den Griff zu bekommen, desto gefährlicher wird die Lage. Mehr Mutationen können entstehen, die vielleicht bald nicht mehr so leicht wegzuimpfen sind. Und wer es wirklich ganz eigennützig sehen möchte, sei daran erinnert, dass die wirtschaftlichen Einbußen, die durch eine Fortdauer der Pandemie entstehen, auch die reichen Industriestaaten massiv betreffen werden.

Mich beunruhigt aber vor allem, dass dieser kleine Testlauf einer globalen Krise offenbart hat, wie unfähig Europa und die USA zu internationaler Solidarität sind. Es wird vermutlich nicht die letzte Pandemie sein, die wir erleben – und dann gibt es da ja noch die Klimakrise. Die Aussichten darauf, dass die Menschheit diese gemeinsam lösen wird, stehen momentan leider wirklich schlecht.

Mehr Arbeiten der Illustratorin Kat Dems finden sich auf ihrem Instagram-Account oder auf ihrer Webseite.

 

 

Hannah El-Hitami, Jahrgang 1991, ist freie Journalistin in Berlin und schreibt vor allem über arabische Länder, Migration und koloniales Unrecht. Sie studierte Arabische Literatur und Kultur in Marburg und war Volontärin des Amnesty Journals. www.hannahelhitami.com/  
Redigiert von Maximilian Ellebrecht, Anna-Theresa Bachmann