Auf den Hamburger Filmtagen feiert die Dokumentation „Homs und ich“ Premiere. Darin erzählt der syrische Regisseur Sulaiman Tadmory vom Alltag in der belagerten Stadt, die er selbst zwei Jahre erlebte. Dis:orient sprach mit ihm über das Bearbeiten des Materials in Deutschland und seine Botschaft an das deutsche Publikum. Von Clara Taxis
Herzlichen Glückwunsch! Am Samstag wird Deine Dokumentation „Homs und ich“ auf dem Hamburger Filmfest Premiere feiern. Sie ist aus Aufnahmen entstanden, die Du zwischen 2012 und 2014 im belagerten Homs gemacht hast. Wie kam es dazu, dass der Film jetzt eine „deutsche Produktion“ geworden ist?
Danke. Ehrlich gesagt habe ich das Material bis 2018 nicht noch einmal angeschaut und wollte es eigentlich auch nie wieder sehen. Ich dachte, ich fange hier ein neues Leben an und habe damit nichts mehr zu tun. Vor einem Jahr habe ich aber beim NDR ein Praktikum gemacht und nach ein paar Tagen in der Dokumentarfilmabteilung habe ich gedacht: Ich muss das irgendwie zeigen. Ich habe zwei Jahre gedreht und viel in diese Arbeit investiert. Und es gibt ja auch etwas zu erzählen, das Material hat eine Message.
Die Redaktion des NDR, wo Du mittlerweile ein Volontariat machst, hat Dich darin unterstützt. Vor welchen Herausforderungen standet Ihr als Team und Du persönlich dabei?
Es war am Anfang etwas schwierig, weil ich beim Drehen ja keine Story Line im Kopf hatte. Ich habe damals in Homs als Journalist gearbeitet, für den Sender Al Jazeera zum Beispiel. Für ihn habe ich jeweils kleinere Beiträge gedreht. Deswegen ist das Material nicht aus einem Guss. Ich wusste ja auch nicht, dass ich am Ende zwei Jahre dort in Homs eingeschlossen sein würde. Mit meinen Co-Produzent*innen Stephan Löhr und Katharina Schiele haben wir es so gelöst, dass ich mit dem Material meine eigene Geschichte erzähle.
Für mich persönlich war es auch deswegen anstrengend, weil wir jeden Tag an diesem Material gearbeitet haben und ich zu jeder Szene erklären musste, wann das genau war, wie ich mich gefühlt habe, wer in der Szene zu sehen ist, auch wer warum gestorben ist und so weiter. Deswegen musste ich mich wirklich in diese Szenen hineinversetzen. Das war extrem anstrengend; ich hatte ständig Kopfschmerzen.
Wie hat sich dein Verhältnis zum Gefilmten dadurch verändert?
Ich bin einerseits sehr froh, dass ich den Film gemacht habe. Gleichzeitig habe ich oft ein schlechtes Gewissen. Es loben mich alle und sagen: tolles Projekt, toll gemacht! Das tolle Projekt basiert aber ja darauf, dass viele Menschen gestorben sind und die Stadt zerstört ist. Gleichzeitig ist es natürlich gut, dass ich die Geschichte erzählen kann. Denn in Deutschland wissen zwar viele, dass in Syrien Krieg herrscht und wir Syrer*innen deswegen hergekommen sind. Aber ich glaube, bisher haben die Leute kaum gesehen, was das im Alltag bedeutet. Was wir genau erlebt haben, was das aus unserem Leben gemacht hat. Ich denke, es geht nicht nur darum, dass wir uns hier integrieren, sondern auch darum, dass Deutsche, mit oder ohne Migrationshintergrund, besser nachvollziehen können, warum wir hier sind.
Du hast es jetzt schon angesprochen: Der Film richtet sich klar an ein deutsches Publikum. Das zeigt sich auch an der zusätzlichen Erzählstimme, die von Tom Schilling eingesprochen wurde. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Also erst einmal die Frage nach der Sprache: Die Erzählstimme ist auf Deutsch, weil ich in Deutschland lebe und den Film für ein deutsches Publikum gemacht habe. Es gab die Idee oder das Angebot, dass ich auf Arabisch spreche und es dann deutsche Untertitel gibt. Aber mir war es lieber, es komplett auf Deutsch zu machen, um die Zuschauer besser erreichen zu können. Dann die Frage nach dem Sprecher: Wir haben darüber lange im Team gesprochen. Ich hätte es auf Arabisch gemacht, aber Deutsch ist nicht meine Muttersprache und ich kann mich nicht perfekt ausdrücken. Ich habe zum Beispiel neulich erst gelernt, wie man Satzzeichen wie Punkt oder Komma beim Sprechen durch Intonation und Betonung ausdrückt. Wir haben deswegen beschlossen, es von einem professionellen Schauspieler einsprechen zu lassen.
Wenn Du so einen Film auf Deutsch machst: Wen möchtest du damit erreichen? Wen stellst du dir als Publikum vor?
Zuallererst AfD-Wähler*innen und die Leute, die auf Facebook Kommentare schreiben und sagen, dass der Krieg in Syrien fake news sei. Ich lese viele Artikel auf Facebook und oft auch die Kommentare darunter. Da behaupten das viele.
Glaubst du, dass Dein Film die öffentliche Meinung hier in Deutschland beeinflussen kann?
Nein, ich denke nicht. Das Material ist ja aus den Jahren 2012 bis 2014. Diejenigen, die behaupten, der Krieg sei vorbei, wird das nicht vom Gegenteil überzeugen. Und es stimmt, dass beispielsweise in Homs, Damaskus oder Aleppo keine Kämpfe mehr stattfinden. Nur noch in Idlib. Es gibt trotzdem viele schlimme Situationen im Moment, aber die möchte niemand sehen. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich bei der Premiere nach Beweisen gefragt werde, dass die Bilder wirklich aus Homs kommen.
Was ist Dein Eindruck vom Umgang des deutschsprachigen Publikums mit Geschichten und Bildern aus Syrien? Hat er sich in den letzten Jahren verändert?
Das kann ich nur für meinen Film und meine Freund*innen und Bekannten sagen, die den Trailer bisher gesehen haben. Die fanden das Material sehr stark, aber auch hart. Sie waren berührt. Generell kann ich dazu gar nichts sagen; ich habe immer den Eindruck, dass ich nur einen Teil der deutschen Gesellschaft kennen gelernt habe. Den offenen, künstlerischen oder journalistischen Teil. Den „schwierigeren“ Teil, kenne ich gar nicht. Viele meiner Freund*innen haben schon rassistische Erfahrungen in Deutschland gemacht, ich aber nicht.
Im Film sagst du: Ich mache das hier, um der Welt zu zeigen, was hier passiert. Nun zeigst du es erst jetzt und in Deutschland, einige Jahre später. Hat das was an deiner Message verändert?
Nein, eigentlich nicht. Ich möchte immer noch zeigen, was passiert ist. Außerdem passieren ähnliche Dinge immer noch, an anderen Orten in Syrien. Allerdings hat sich die Lage stark verändert seit damals, sie ist noch komplizierter geworden. Selbst ich verstehe jetzt nicht mehr, was dort passiert.
Was ich sagen kann ist, dass uns die Welt im Stich gelassen hat und die deutsche Politik und der Journalismus dazu beigetragen haben. Ich habe zum Beispiel bemerkt, dass schon 2013 in Deutschland von „Bürgerkrieg“ gesprochen wurde. Damals war das eine Revolution, die vom Assad-Regime niedergeschlagen wurde. Ich weiß nicht, ob das einfach aus der Ferne falsch verstanden wurde oder aus politischen Gründen so dargestellt wurde.
Ist dein Film also auch ein politisches Statement?
Ja, auf jeden Fall. Ich hätte ihn auch gerne noch politischer gemacht. Ich wollte zum Beispiel thematisieren, woher die Waffen kommen, die in Syrien verwendet werden. Das war ein großes Thema bei uns im Team. Am Ende haben wir uns für meine persönliche Geschichte entschieden und dadurch konnten wir nicht wirklich politische Hintergründe erklären. Es ist eben mehr eine Geschichte als eine richtig tiefgehende Dokumentation. Ich hoffe, dass der Film trotzdem politisch verstanden wird.
Hast du schon neue Projekte im Kopf oder machst du nach diesem Film erst einmal Pause?
Ich habe schon Ideen im Kopf, aber das ist noch nicht konkret. Egal welches Format es sein wird, es wird immer eine politische Message haben. Das ist mir wichtig.
Vielen Dank für das Gespräch.