Die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, ist für Palästinenser:innen schwierig. Seit dem 7. Oktober ist der Prozess beinah unmöglich geworden. Ahmad Shihabi erzählt von Hürden und Diskriminierung auf dem Weg zu seiner Einbürgerung.
Deutsche Behörden haben die Einbürgerung zunehmend an die deutsche Staatsräson und der daraus folgenden Haltung zum Nahostkonflikt geknüpft. Beispielsweise haben viele Palästinenser:innen bereits davon berichtet, dass ihre Einbürgerung ausgesetzt wird, bis sie sich zum Existenzrecht Israels bekennen. Einige taten dies schriftlich, andere mündlich. Ziel ist es, angebliche antisemitische Haltungen unter Palästinenser:innen zu bekämpfen. Bei der Einbürgerung mussten sie zum Beispiel ihre Haltung zu Israel erklären, indem sie sich zum Existenzrecht Israels als Staat und zum Verbot der Führung eines Angriffskrieges bekannten.
Mir war von Anfang an klar, dass der Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft kein leichter sein würde, aber nach dem 7. Oktober und dem verheerenden Angriff der Hamas auf Israel ist die Einbürgerung für viele Palästinenser:innen noch schwieriger geworden.
Von den Straßen in die Behörden
Seit diesem Angriff und der israelischen Reaktion ist der Nahostkonflikt politisch und medial präsent wie nie zuvor. In ganz Deutschland finden Solidaritätsdemonstrationen mit den Menschen und gegen den Krieg in Gaza statt. Diese Demonstrant:innen wurden von Politiker:innen und Journalist:innen pauschal als „Israelhasser“, Antisemiten oder „Hamas-Fans“ bezeichnet. All dies führte dazu, dass die Unruhe von den Straßen auch in deutsche Behörden Eingang gefunden hat. Das zeigt sich anhand neuer Regelungen ebenso wie in Erfahrungsberichten. In Berlin berichten Antragsteller:innen, dass sie bei der Beantragung der Einbürgerung mit der Frage konfrontiert werden: Sind Sie palästinensischer Herkunft? In Sachsen-Anhalt wurde das Existenzrecht Israels zur Einbürgerungsvoraussetzung gemacht, und aus Nordrhein-Westfalen berichten viele von ähnlichen Fällen.
Dieses Verhalten der Behörden befeuert wiederum diskriminierende Debatten und stellt Palästinenser:innen als ganze Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht. In dem die Betroffenen das Existenzrecht Israels bei der Einbürgerung anerkennen müssen, wird auf Basis ihrer Herkunft pauschal antisemitisches Gedankengut unterstellt – frei nach der Vorstellung des sogenannten importierten Antisemitismus. Ziel sei es, vermeintlichen Antisemitismus in dieser Gruppe zu bekämpfen, bevor sie eingebürgert werden.
Doch die Anerkennung des Existenzrechts Israels stellt für mich noch die geringste Hürde dar. Das Unwissen deutscher Behörden gegenüber der Lebensrealität von Palästinenser:innen, die sich in geradezu unrealistischen Einbürgerungsanforderungen äußert, macht den Prozess für mich sehr viel schwieriger.
Eine mühsame Aufgabe
Diese surrealen Anforderungen begannen für mich mit dem Sammeln der notwendigen Dokumente, die in Syrien oder im Westjordanland neu ausgestellt werden mussten – eine mühsame Aufgabe angesichts der politischen Instabilität in der Region. Geburtsurkunde, Auszug aus dem Familienregister, Pass und andere Dokumente mussten oft aus verschiedenen Quellen beschafft werden.
Da ich Palästinenser aus Syrien bin, musste ich die meisten dieser Dokumente aus Syrien nachholen. Doch dafür muss ich erst jemanden finden, der diese Dokumente vom Standesamt ausstellen lässt und dann per Post aus dem Libanon nach Deutschland schickt. Das ist schon für Syrer:innen kostspielig und herausfordernd. Da ich aber keine syrische Staatsbürgerschaft habe, brauchte ich noch eine Bestätigung der Palästinensischen Autonomiebehörde, dass ich ein palästinensischer Flüchtling mit Sonderstatus bin. Diese wird von der palästinensischen Mission in Berlin ausgestellt. Dazu musste ich mein syrisches Reisedokument sowie die UNRWA- Registrierungskarte für palästinensische Flüchtlinge und eine Aufenthaltsgenehmigung für Syrien vorlegen.
Kein Pass für Palästinenser:innen
All diese Dokumente müssen palästinensische Flüchtlinge in Syrien, Libanon, Jordanien, Gaza oder im Westjordanland besitzen. Viele dieser Flüchtlinge sind während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 nach Deutschland gekommen. Insgesamt leben schätzungsweise zwischen 175.000 und 200.000 Palästinenser:innen in Deutschland. Wie viele von ihnen nach 2015 gekommen sind, ist nicht bekannt. Denn sie sind bei den deutschen Behörden entweder als staatenlos oder unter der Staatsangehörigkeit eines anderen arabischen Herkunftslandes registriert, wenn sie einen Reisepass aus einem dieser Länder besitzen.
Komplexe Lebensrealitäten
Die bürokratischen Herausforderungen von Palästinenser:innen in Deutschland hängen mit ihrer komplexen Situation als Staatenlose in den arabischen Nachbarländern zusammen. In Syrien waren die Palästinenser:innen und die Syrer:innen rechtlich weitgehend gleichgestellt. Registriert wurden dort vor dem Krieg im Jahr 2011 mehr als 700.000 Palästinenser:innen. Sie durften studieren, alle Berufe ausüben, Häuser bauen und Unternehmen gründen. Eine Einbürgerung war ihnen jedoch verwehrt.
Im Libanon hingegen leben Palästinenser:innen oft ohne die Rechte, die andere Menschen in diesem Land genießen. Das Leben der dort 405.425 registrierten Flüchtlinge ist von zahlreichen rechtlichen Einschränkungen geprägt. Ohne Sondergenehmigung dürfen sie nicht arbeiten. Die meisten palästinensischen Flüchtlinge leben am Rande der libanesischen Gesellschaft und werden weitgehend wie Staatenlose behandelt. In beiden Ländern bekommen Palästinenser:innen daher einen Reisepass für palästinensische Flüchtlinge.
Der Grund dafür ist, dass das gesamte arabische Rechtssystem im Umgang mit palästinensischen Flüchtlingen deren Einbürgerung verhindert, um so ihr Recht auf Rückkehr zu wahren. Sie können auch keine palästinensische Ausweisnummer erhalten. In ihrer Identität sind sie Palästinenser:innen, doch rechtlich weder Palästinenser:innen noch Syrer:innen oder Libanes:innen.
Eine tiefe Kluft
Als ich meinen Einbürgerungsantrag in Deutschland stellen wollte, wurde mir erst deutlich, wie wenig die deutschen Behörden über die Realität der Palästinenser:innen wissen. Sie erwarteten zum Beispiel, dass ich meine syrische oder palästinensische Staatsangehörigkeit beweise: mit einer syrischen oder sogar palästinensischen Ausweisnummer. Aber wie sollte ich etwas vorweisen, was ich nie hatte?
Die einzige Möglichkeit, meine palästinensische Existenz mit den behördlichen Vorschriften in Einklang zu bringen, ist anscheinend die Lösung des Nahostkonfliktes und der Flüchtlingsfrage. Da dies meine Möglichkeiten deutlich überschreitet, habe ich versucht, 76 Jahre Geschichte in einer knappen Stunde darzulegen, um dem Sachbearbeiter klarzumachen, dass diese Forderung unrealistisch ist, um nicht zusagen: absurd. Doch vergeblich, er hatte nur eine Antwort für mich übrig: „Versuchen Sie es, und wenn es nicht klappt, müssen Sie den Antrag leider zurückziehen“. Solche Erfahrungen mit deutschen Behörden spiegeln die tiefe Kluft zwischen ihren Erwartungen und der Realität vieler Palästinenser:innen wider. Es entlarvt außerdem ein tiefes Unwissen darüber, wie das Leben der Palästinenser:innen in den arabischen Nachbarländern aussieht. Unsere Geschichten, unsere Erfahrungen scheinen in den unflexiblen bürokratischen Strukturen Deutschlands keinen Platz zu haben.
Die mangelnde Berücksichtigung der palästinensischen Erfahrung in den bürokratischen Strukturen Deutschlands hat historische und politische Gründe. Die Staatsräson prägt nicht nur die Außenpolitik, sondern auch die Einbürgerungs- und Integrationsforderungen, die die Realität der Palästinenser:innen in diesen Prozessen oft übersehen. Eine so komplexe und schwierige Situation auf enge Formalien zu reduzieren und die deutsche historische Verantwortung durch diskriminierende Fragen auf Palästinenser:innen zu übertragen, führt zur mehr Frustration in der palästinensischen Community in Deutschland.