21.05.2013
Die sino-iranischen Beziehungen: Des Drachen Drahtseilakt
Irans Pavillon auf der Expo in Schanghai 2010 - Foto: Philip Roeland
Irans Pavillon auf der Expo in Schanghai 2010 - Foto: Philip Roeland

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Iran und China sind in den vergangenen zehn Jahren immer enger geworden. Besonders im Bereich der Energiekooperation wurden Milliarden-Verträge über mehrere Joint-Venture-Projekte zur Erschließung großer Ölfelder im Iran geschlossen. Der Ressourcenreichtum der Islamischen Republik und die geostrategische Lage bergen für Peking viel Potenzial, die enge Zusammenarbeit mit dem Iran stellt für China aber auch einen politischen Drahtseilakt dar. Welche Rolle spielt also der Iran in den Konzeptionen chinesischer Energiesicherheit? Ein Gastbeitrag von Bernd Hollerbein.

Auch wenn die sino-iranischen Beziehungen erst seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts verstärkt ins Blickfeld internationaler Beobachter gerückt sind, können beide Länder bereits auf eine lange gemeinsame Tradition zurückblicken. Schon vor mehr als zwei Jahrtausenden etablierten die antiken chinesischen und persischen Reiche über die berühmten Handelsrouten der Seidenstraße einen regen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch. China und Iran verbindet viel: Beide Länder besitzen eine starke nationale Identität und gelten als Zivilisationen mit einer langen Geschichte und großer imperialer Vergangenheit. Während der vergangenen beiden Jahrhunderte teilten sie jedoch auch die schmerzhafte Erfahrung ausländischer Fremdbestimmung, einhergehend mit traumatischen Demütigungen durch westliche Mächte.

Die Geschichte hat zweifellos das Selbstverständnis beider Länder als Teil der heutigen internationalen Staatengemeinschaft nachhaltig geprägt. Daraus ergibt sich gerade in jüngerer Zeit ein besonderer Anknüpfungspunkt für die zwischenstaatlichen Beziehungen des Iran und China: Misstrauen gegenüber den USA. Diese machen in China den nächsten großen Konkurrenten ihrer wirtschaftlichen und politischen Dominanz aus. Dem Wunsch des Iran, die eigene Position als Regionalmacht am Persischen Golf zu festigen, stellen sich die USA gleichzeitig mit Nachdruck entgegen.

Allerdings ist für die jüngsten Fortschritte in den sino-iranischen Beziehungen in erster Linie der seit gut zwei Jahrzehnten zu beobachtende diplomatische und wirtschaftliche Vorstoß Chinas in den Mittleren Osten verantwortlich. China versucht auf diese Weise, sich einen sicheren Zugang zu den Energieressourcen dieser Region zu sichern.

Denn der politische Aufstieg Chinas ist besonders eng mit dem rasanten ökonomischen Wachstum verknüpft, das zu einem ständig steigenden Energiehunger führt. Seit 1993 ist China nicht mehr in der Lage, seinen Energiebedarf durch eigene Vorkommen fossiler Brennstoffe zu decken und muss daher immer stärker auf Öl- und Gasressourcen aus dem Ausland zugreifen. Eine gesicherte Energieversorgung ist jedoch nicht nur ein zentraler strategischer Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas, damit verbunden ist auch die Bewahrung der sozialen Stabilität. Die Energiefrage ist für China somit auch eine Frage nationaler Sicherheit.

Chinesische Öl-Diplomatie und Energiesicherheit

Pekings Energiestrategie im 21. Jahrhundert zielt darauf ab, seine Öl-Importe möglichst breit zu diversifizieren, Kooperationen bei der Erschließung neuer Öl- und Gasfelder in anderen Ländern nachhaltig zu fördern, eigene nationale Energiereserven aufzubauen sowie eine höhere Effizienz beim Öl- und Kohleverbrauch zu entwickeln. Um langfristig auf ausländische Energieressourcen zugreifen zu können, beschloss die Regierung bereits im Jahre 1998 eine tiefgreifende Restrukturierung der chinesischen Öl-Industrie und die Neukoordinierung ihrer großen Öl-Firmen. Im Ergebnis bündelt die Volksrepublik ihre Bemühungen auf diplomatischer Ebene und baut eine „Öl-Diplomatie“ mit ölproduzierenden Staaten auf.

Dabei etabliert China durch aktive und zugleich geografisch breit angelegte diplomatische Initiativen stabile bilaterale Beziehungen zu den wichtigsten energieproduzierenden Staaten. Der Erfolg dieser Vorgehensweise soll dabei durch das „Prinzip der Nichteinmischung“ garantiert werden. Dies bedeutet, dass China eine wirtschaftliche Kooperation mit anderen Staaten nicht an die Bedingung einer Einleitung demokratischer Reformen oder einer Verbesserung der Menschenrechtslage vor Ort knüpft und sich damit bewusst aus innenpolitischen Prozessen heraushält.

Da China erst spät als Mitspieler auf dem hart umkämpften internationalen Ölmarkt in Erscheinung getreten ist, war die Volksrepublik zudem auch bereit, mit vom Westen zu Parias erklärten Staaten – dazu gehört auch der Iran – zusammenzuarbeiten.

Im Rahmen dieser Strategie gelang es den staatlichen Öl-Firmen Chinas schließlich, sich den Zugang zu Energiequellen in Übersee zu sichern, etwa durch Verträge zur Öl-Förderung und langfristig vereinbarten Lieferabkommen mit weltweit führenden Erdölproduzenten.

Aber nicht allein der Zugang zu ressourcenreichen Gebieten bildet für China den Schlüssel zur Energiesicherheit, als zweiter wesentlicher Aspekt gelten auch sichere Transportrouten; hier liegt für viele Beobachter Pekings Achillesferse.

Verwundbarkeit der Öl-Transportwege zur See

Zwischen 80 und 85 Prozent der chinesischen Öl-Importe werden zurzeit über den Seeweg durch die Straße von Malakka zwischen Malaysia und der indonesischen Insel Sumatra befördert, die an ihrer engsten Stelle lediglich 2,8 Kilometer breit ist. Bei einer Menge von schätzungsweise 11 Mio. Barrel Öl und 40 Milliarden Kubikmetern Gas, die täglich die Straße passieren, sind die Schiffe attraktive Angriffsziele für Piraten und Terroristen. Nicht zuletzt im Falle eines internationalen Konflikts wäre die Straße auch ein geeigneter taktischer Blockadepunkt. Die daraus resultierende strategische Verwundbarkeit Chinas zur See bereitet Pekings Sicherheitsexperten schon seit geraumer Zeit Kopfzerbrechen. Die militärische Kapazität der Volksrepublik ist immer noch nicht ausreichend, um die Transportrouten eigenständig zu sichern, trotz der Aufstockung des Militäretats und der Modernisierung der eigenen Marine. China wird daher in dieser wichtigen Frage auch in Zukunft ausgerechnet auf die Flottenverbände der US-Navy zur Sicherung der wichtigen maritimen Versorgungswege angewiesen bleiben.

Die chinesische Regierung befürchtet seit Jahren, dass im Falle einer zukünftigen Konfrontation mit den USA Washington seine überlegene Militärmacht dazu einsetzen könnte, die Seewege und damit Chinas Öl-Versorgung an einem geostrategischen Knotenpunkt zu blockieren. Bei einem denkbaren Szenario wären sowohl die Straße von Hormus als auch die Straße von Malakka relativ leicht zu sperren. Die Auswirkungen einer solchen US-Blockade auf die chinesische Wirtschaft wären verheerend.

Zur Lösung dieser Problematik ist Peking gleich um mehrere Alternativoptionen bemüht. Zwar steht die China-Myanmar Pipeline kurz vor der Fertigstellung, aber die schwierige Sicherheitslage in Myanmar bleibt ein Unsicherheitsfaktor, der zusätzliche Ausweichrouten erforderlich macht.

An dieser Stelle kommt nun der Iran ins Spiel, den chinesische Analysten ebenfalls seit Längerem als weitere Lösungsoption für Chinas Abhängigkeit von maritimen Transportwegen ausgemacht haben. Der Iran bietet durch seine aus geostrategischen und energiepolitischen Gesichtspunkten günstige Lage mit Zugang zum Persischen Golf und dem Kaspischen Meer für China die Möglichkeit zur Erschließung einer „neuen Seidenstraße“ für Öl und Gas über den Landweg.

Als zweitgrößter Ölproduzent der OPEC verfügt der Iran zudem selbst über riesige Öl- und Gasreserven. So ist der Iran der einzige energieproduzierende Staat der Region des Persischen Golfes, dessen geografische Lage einen Transport von Öl- und Gasexporten nach Asien sowohl auf dem Landweg per Pipeline als auch auf dem Seeweg per Schiff erlaubt. Den Plan, die Energieversorgung aus dem Mittleren Osten durch eine Pipeline von Iran und Zentralasien nach China auf dem Landweg zu ermöglichen, gibt es daher bereits seit einigen Jahren.

Aufgrund seines im Westen umstrittenen Nuklearprogramms gilt der Iran jedoch auch als Problemfaktor für das sino-amerikanische Verhältnis, wodurch Chinas Handlungsspielraum in seinen Beziehungen zu Teheran eingegrenzt ist.

Das iranische Nuklearprogramm: Hemmschuh der sino-iranischen Beziehungen

Für China genießen die Beziehungen zu den USA weiterhin höchste Priorität. Trotz unterschiedlicher Standpunkte zum Iran sind die Entscheidungsträger in Peking daher nicht bereit, die Beziehungen zu den USA auf den Prüfstand zu stellen. Die Sanktionen gegen den Iran hatten dementsprechend 2012 auch ihre Auswirkungen auf chinesische Öl-Importe aus der Islamischen Republik. Zwar ist China immer noch der größte Energieabnehmer des Iran, dennoch hat Peking nach Berichten der Nachrichtenagentur Reuters seine Importe im letzten Jahr um 21 Prozent auf rund 435.000 Barrel pro Tag gedrosselt. Zu erwarten ist ein weiterer Rückgang der Öl-Lieferungen aus dem Iran um fünf bis zehn Prozent im Jahr 2013, was eine Minderung von 20.000 bis 40.000 Barrel pro Tag bedeuten würde.

Damit folgt China der Forderung Washingtons, die damit drohten, chinesische Banken vom US-Finanzsystem abzutrennen, sollten die Öl-Importe aus dem Iran nicht signifikant gesenkt werden. Im vergangenen Dezember erklärte die Obama-Regierung, dass Peking seine Öl-Versorgung aus der Islamischen Republik in ausreichendem Maße gedrosselt habe und daher weitere sechs Monate lang von Sanktionen ausgenommen werde. Dieselbe Regelung trafen die USA auch für weitere Abnehmer iranischen Öls, darunter Indien, Süd-Korea und die Türkei.

Dennoch sollte festgehalten werden, dass gerade im Dezember die chinesischen Öl-Importe aus Iran mit 593.000 Barrel pro Tag ihren zweithöchsten Stand des Jahres erreichten und den Vorjahreswert sogar um 3,6 Prozent übertrafen. Peking behält sich also weiterhin vor, seine Energiekooperation mit dem Iran fortzuführen, wenn auch jedenfalls im Moment unter Einschränkungen.

Das iranische Nuklearprogramm birgt zudem weitere Risiken, die Chinas Interessen in der Region gefährden könnten. Die chinesische Führung sieht sich in diesem Fall mit mehreren ungünstigen Szenarien konfrontiert, darunter vor allem die Gefahr einer militärischen Intervention mit der möglichen Folge einer Unterbrechung der Öl-Zufuhr aus dem gesamten Persischen Golf. An einer Eskalation des Atomstreits kann Peking daher sicher nicht gelegen sein. Die vollständige Auflösung der Differenzen zwischen Teheran und Washington kann aber genauso wenig im Interesse Chinas liegen, denn der Graben zwischen dem Westen und der Islamischen Republik ermöglicht den Chinesen erst ihre privilegierte Partnerschaft zum Öl- und Gasriesen Iran.

Der aktuelle Status quo mag für China im Hinblick auf günstige Konditionen für iranisches Öl ideal sein, die Sanktionen gegen den Iran erschweren aber zunehmend die Zusammenarbeit und verschließen weitere Perspektiven. Der nächste Schritt der sino-iranischen Beziehungen ist zudem auch nur dann denkbar, wenn sich Teherans Verhältnis zum Westen konstruktiv entwickeln wird. Aufgrund der bestehenden Eskalationsgefahr unterstützt die chinesische Seite ohnehin eine diplomatische Lösung im Atomstreit.

Wie und wann sich der Nuklearkonflikt lösen wird, ist natürlich nicht vorauszusagen. Hier bleibt auch der Ausgang der iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni abzuwarten. Die von westlichen Medien kolportierte eindeutige Absage des iranischen Revolutionsführers Khamenei zu direkten Verhandlungen mit den USA im Nuklearstreit jedenfalls ist seinen Reden nicht wirklich zu entnehmen. Die Möglichkeit einer friedlichen Einigung wird mit der neuen iranischen Regierung, die aller Voraussicht nach dem Lager des Revolutionsführers nahe stehen wird, also weiterhin gegeben sein.

Gemisch aus Opportunismus und langfristiger strategischer Vision

Chinas Verhalten in Bezug auf das iranische Nuklearprogramm und die sino-iranischen Beziehungen kann in mehrfacher Hinsicht als Ausdruck eines komplizierten Balanceaktes verstanden werden. Aus der Isolation des Iran zieht China derzeit seinen maximalen wirtschaftlichen Nutzen und stützt damit praktischerweise zugleich das iranische Regime, was die langfristige Option einer Vertiefung der Beziehungen aufrecht erhält.

Auf der anderen Seite kann Peking seine ökonomischen und politischen Interessen im Iran nur mit Rücksicht auf das sino-amerikanische Verhältnis vorantreiben und legt darauf Wert, die USA nicht zu verärgern.

Dabei sollte außerdem bedacht werden, dass der Iran aus energiepolitischen und strategischen Gesichtspunkten für China ein potentiell wichtiger Partner ist, die chinesische Führung daher auch an einer Fortführung der Kooperation weiter interessiert sein wird, sollten die Bedingungen stimmen. Der Verlust des Iran sowohl als Exportmarkt als auch als Energieversorger wäre demnach sicher schmerzhaft, dennoch ist China schlussendlich zur Wahrung seiner Interessen nicht auf die sino-iranische Partnerschaft angewiesen.

Für den Iran hingegen ist die Energiepartnerschaft mit China angesichts der dort immer fragiler werdenden wirtschaftlichen Lage mittlerweile unverzichtbar. All dies scheint auf chinesischer Seite im Moment die Tendenz zu fördern, die sino-iranischen Beziehungen verstärkt durch die Brille kurzfristiger ökonomischer Interessen zu betrachten. Das strategische Potenzial dieser Beziehung rückt dabei in den Hintergrund. So nutzt China das ungleiche Abhängigkeitsverhältnis und zwingt den Iran zu unvorteilhaften Konditionen. Ausgerechnet die von den USA verhängten Sanktionen gegen Irans Finanzsystem, die eine Bezahlung von Öl-Transaktionen mit US-Dollars unterbinden, erlaubten den Chinesen die Zahlungen iranischer Öl-Importe in Form eines Tauschgeschäftes. Dies löste eine Flut billig produzierter und qualitativ minderwertiger Ware auf den iranischen Markt aus. Die Masse dieser Produkte bedroht mittlerweile die Industrie des Iran und führt deshalb zu Unmut bei iranischen Unternehmern. Aufgrund der schlechten Qualität zeigt sich aber auch die konsumorientierte Mittelklasse zunehmend frustriert.

In Teheran entsteht der Eindruck, China betreibe auf Kosten des Iran ein Nullsummenspiel. Eine solche Wahrnehmung könnte auf längere Sicht zu Irritationen führen. Auf beiden Seiten mehren sich zurzeit daher auch kritische Stimmen, die die Nachteile und Risiken der gemeinsamen Beziehungen betonen. So ließ Mohsen Rezai, Bewerber um das Amt des iranischen Präsidenten und Mitglied des Schlichtungsrates, vor einigen Wochen sogar verlauten, dass die Überschwemmung des iranischen Marktes durch chinesische Waren eine Bedrohung für die Islamische Republik darstelle.

Zusammengefasst lässt sich Chinas Politik gegenüber dem Iran zum jetzigen Zeitpunkt wohl am treffendsten mit den Worten des China-Experten John Garver auf den Punkt bringen, der in seinem Buch „China & Iran: ancient partners in a post-imperial world“ die chinesische Iran-Politik als eine Mischung aus Opportunismus und langfristig angelegter strategischer Vision beschreibt.

Geopolitische Umbrüche durch den Fracking Boom?

Eine abschließende Einschätzung der sino-iranischen Beziehungen wird aber nicht allein durch den Atomkonflikt erschwert, auch die dieser Tage vielbeschworene „Schiefer-Revolution“ könnte weitreichende Auswirkungen auf die Bedeutung der Golfregion und damit das sino-iranische Verhältnis haben.

Ob geopolitische Umbrüche letztendlich durch den derzeitigen Fracking-Boom in den USA am Persischen Golf ausgelöst werden – und wenn ja, welche – ist noch nicht endgültig zu beantworten. Einige Experten prognostizieren nichtsdestotrotz heute schon die zukünftige Energieautarkie der USA und damit verbunden auch große Verschiebungen im globalen und regionalen Machtgefüge. In den vergangenen Monaten wurde zudem auch bereits viel über riesige Schieferöl- und -gasfunde in China spekuliert, die dort den nächsten Fracking-Hype auslösen könnten. Es bleibt jedenfalls spannend zu beobachten, wie sich die sino-iranischen Beziehungen unter diesen Vorzeichen in der nächsten Zukunft entwickeln werden.

Alsharq gibt es, weil wir es machen. Schreibe uns gerne, falls Du auch Lust hast, einen Artikel beizusteuern.