12.12.2012
Die Macht der Perle - Wie sich die Protestbewegung in Bahrain den Perlenplatz aneignete
Bahrains Perlenplatz nach dem Abriss
Bahrains Perlenplatz nach dem Abriss

Wer kennt den Perlen-Platz? Während in den USA und Europa bis vor zwei Jahren kaum jemand den Tahrir-Platz, geschweige denn seinen Standort oder seine Bedeutung kannte, ist er heute weltberühmt. Auch für viele Ägypter war er trotz seines stolzen Namens und seiner Historie bis zum 25. Januar 2011 nicht mehr als eine U-Bahn-Haltestelle. Inzwischen aber ist er zum Symbol der ägyptischen Protestbewegung geworden. Und damit zum Vorbild vieler anderer Aufstände.

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Zwischen 2010 und 2012 entstanden in vielen arabischen Ländern weitere „Tahrir-Plätze“, in Anlehnung an die Forderungen der ägyptischen Protestierenden. Um einige Plätze ist es zunächst leise geworden. Zum Beispiel um den Daklieh Circle in Amman. Um andere Plätze ist es nie laut geworden. Sie – oder das, was sie einmal waren –  haben in den nicht-arabischen Medien oft keine oder wenig Aufmerksamkeit bekommen. Einer dieser Orte ist der Perlen-Platz (Midan al-Lulu) in Bahrain. Nachdem an diesem Platz im Februar und März 2011 über die Dauer eines Monats Demonstrationen stattgefunden hatten, wurde er durch das bahrainische Regime am 18. März 2011 zerstört. Dem Platz wurde so eine tragische Aufmerksamkeit beschert, denn erst seine physische Vernichtung machte den Platz für die Weltöffentlichkeit existent.

„Bahrains Tahrir-Platz“: alles andere als ein Ort der Befreiung

Bahrain Pearl Monument Das Perlenmonument vor dem Abriss

Obwohl oft als „Bahrains Tahrir-Platz“ bezeichnet, ist der Platz jedoch in seinem Namen und seiner Symbolik alles andere als ein Platz der Befreiung. Der Perlen-Platz stand weniger für die von den Protestierenden geforderten Werte wie Freiheit, Würde und Selbstbestimmung, als vielmehr für die vom bahrainischen (Königs-)Regime strategischen Interessen der Machtkonsolidierung.

Gebaut 1982 im Auftrag des Königs al-Khalifa, war der Platz ein Denkmal des Gulf Cooperation Council (GCC). Seine sechs Säulen standen für die sechs Mitgliedsländer des Council (Kuwait, Qatar, Vereinigte Arabische Emirate,  Saudi-Arabien, Oman, Bahrain). Die von den Säulen getragene Perle (arab. Lulu) deutete auf das gemeinsame Erbe der Perlenfischerei im persischen Golf hin. Der Platz und das Denkmal hatten somit eine politische Bedeutung für das Regime: Sie betonten öffentlich die Zugehörigkeit Bahrains zu der Gemeinschaft der Golfstaaten, zu deren Ölreichtum und deren Bekenntnis zur gegenseitigen Sicherheitsgarantie.

Durch seine strategische Platzierung im nördlichen Geschäftsviertel von Bahrains Hauptstadt Manama konnte der Platz zu einer Verkörperung der Regimemacht werden. Seine Größe und Symbolik, vor allem aber seine zentrale Platzierung an einem entscheidenden Verkehrsknotenpunkt  war für keinen Bahraini zu übersehen. Gleichzeitig war er aber auch einer der wenigen zentralen Plätze in Manama, dessen Fläche noch nicht mit Einkaufsmalls und Straßen zugepflastert war und noch Raum für Nicht-Konsum bot.

Öffentliches Leben abseits des Konsums ist praktisch unmöglich

Graffiti des Perlenmonuments Graffiti des Perlenmonuments

Öffentlicher Raum ist rar in Bahrain, es ist das bevölkerungsdichteste Land nach Singapore . Wohnraum, Geschäftsviertel, Straßen und unzählige Shopping-Malls bieten wenig Platz für gemeinsame Treffen, Aktivitäten und Aufenthalte im öffentlichen Raum abseits des Konsums. Bahrains urbane Struktur ist das Produkt einer exzessiven ökonomischen Liberalisierung. In US-amerikanischen Kreisen wird Bahrains Wirtschaft auch gerne als die liberalste im gesamten Nahen und Mittleren Osten bezeichnet. Bahrain gilt als Anlaufpunkt für Investoren weltweit. Viel Stadtfläche Manamas ging in den letzten Jahren für viel Geld in die Hände privater Investoren über. Eine riesige Hafenanlage wurde gebaut und viel luxuriöser Wohnraum geschaffen.

Gleichzeitig mangelt es in Bahrain zunehmend an Wohnraum für die weniger gut betuchten Familien und Menschen sowie an öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern. Auch die Arbeitsmarktsituation jenseits des Immobilien- und Finanzsektors hat sich in den letzten Jahren durch die rückläufige und kaum noch ergiebige Ölförderung dramatisch verändert. Während Manama zunehmend zu einem Hafen für internationale Investoren und Finanzbosse, aber auch partylustige (vor allem männliche) Besucher aus Saudi-Arabien wird, wird es dabei gleichzeitig immer weniger die Stadt seiner eigentlichen BewohnerInnen. Und der Perlen-Platz wurde der bahrainischen Bevölkerung in seiner vom Regime auferlegten Bedeutung zunehmend fremder.

Strategien des Widerstandes in Bahrain

Doch das sollte sich ändern. Im Frühjahr 2011 begannen die Proteste in Manama, inspiriert von anderen Protestbewegungen, aber vor allem getrieben von den politischen und sozialen Umständen im eigenen Land. Die öffentliche Aneignung des Perlen-Platzes begann in Bahrain mit den Anti-Regimeprotesten im Februar 2011. Hier spielten sich die wichtigsten Ereignisse der neuen bahrainischen Protestbewegung ab, hier stellten die Demonstrierenden ihre zentralen Forderungen nach demokratischen Reformen in der Golfmonarchie. Der Platz wurde wochenlang durch Protestierende aus allen Gesellschaftsschichten besetzt. So entstand auf dem Höhepunkt der Proteste eine Zeltstadt mit eigener sozialer Infrastruktur wie Suppenküchen und Feldhospitälern. Geschätzte 150.000 Menschen, ca. 40% der Bevölkerung Bahrains, sollen zu diesem Zeitpunkt auf dem Platz gewesen seien.

Die Auslöschung von Erinnerung

Die Flagge der Bahrainischen Protestbewegung Die Flagge der Bahrainischen Protestbewegung trägt das Perlenmonument
 

Nachdem die Protestierenden über einen Monat auf dem Platz ausgeharrt hatten, begann das Regime den Platz mit Militärgewalt durch Unterstützung Saudi-Arabiens zu räumen. Am 18. März entschied das bahrainische Königshaus das Monument abzureißen und eine Verkehrsstraße über den Platz zu bauen. Der Platz wurde derart umfunktioniert, dass Proteste rein technisch nicht mehr möglich waren. In der Rhetorik des Regimes hieß es, man müsse „schlechte Erinnerungen“ auslöschen. Tatsächlich waren inzwischen bei Zusammenstößen mit Protestierenden und der Polizei über 500 Demonstranten verletzt worden. Zudem kam es zu mehreren Todesfällen in den Reihen der Regimegegner.

Das Regime hatte allerdings die Bedeutung unterschätzt, die das Monument inzwischen für die Protestierenden erlangt hatte. Mit dem Abriss des physischen Monuments wurde dieses zum politischen Symbol und tauchte auf einmal auf Plakaten und Flaggen der Protestierenden auf. Ihres zentralen öffentlichen Platzes in der Hauptstadt und Finanzmetropole Manama beraubt, verschwanden die Protestierenden wieder in die Straßen der ökonomisch benachteiligten Stadtteile/Vorstädte.

Widerstand jenseits der Straße

Widerstand und Demonstrationen finden jedoch nicht nur auf der Straße statt. Die Art und Weise wie Widerstand funktioniert, hängt auch davon ab, wie die Reaktionen des Staates ausfallen. Ist der Staat übermächtig in seiner Gewaltanwendung, kann die tatsächliche Demonstration an einem Platz nicht mehr stattfinden. Damit verlieren die DemonstrantInnen aber nicht das Bewusstsein für ihre Forderungen und Rechte.

Die bahrainische 500 Fils Münze vor der Einstampfung Die bahrainische 500 Fils Münze vor der Einstampfung.

 

Das bahrainische Regime wurde sich dieser Veränderung zunehmend bewusst. Neben der brutalen Gewaltanwendung gegen DemonstrantInnen wurde deshalb eben auch versucht, den Perlenplatz aus den Köpfen der Menschen zu löschen. Neben dem Abriss des Monuments wurden auch andere Erinnerungssymbole ausgelöscht. So hatte die Zentralbank nach der Niederreißung des Monuments in einem Versuch Harmonie zwischen den Bevölkerungsgruppen des Landes herzustellen (so der Sprachcode des Regimes), alle 500 Fils Stücke (500 Fils entsprechen umgerechnet etwa 1,30 US-Dollar), auf welchen das Monument abgebildet war, einstampfen lassen. Das politische Bewusstsein der DemonstrantInnen, das potentiell weitere Straßenproteste auslösen könnte, musste aus staatlicher Perspektive verdrängt werden.

Doch während Demonstrationen und politische Versammlungen vom Regime verboten werden konnten, so traf dies nicht auf die Phantasie und kreativen Strategien der Protestierenden zu. Um Gedanken des Widerstands und des Protest weiterhin verbreiten zu können, bedienen sich die Protestierenden anderer Methoden, auch jenseits der Straße. Zum einen wird der urbane Raum „öffentlich“ gemacht. So fanden spontane, oft nächtliche, Demonstrationen statt, in denen auf tänzerische Weise aus einer Menge von Menschen das Perlenmonument nachgestellt wurde. Diese Aktionen wurden gefilmt, mit Musik unterlegt und später auf YouTube gestellt.

Die Dokumentation und Verbreitung solcher Aktionen über das Internet hatte unter anderem zum Ziel, noch Unentschlossenen zu zeigen, dass die Protestbewegung noch lebt. Anders als in Syrien, wo höchstens 18% der Bevölkerung Zugang zum Internet haben, nutzen in Bahrain 50-60% der Bevölkerung das Internet. Durch die komplette staatliche Kontrolle der traditionellen Medien, wie etwa dem Fernsehen, finden soziale Medien eine große Resonanz. Graffitis mit dem Perlenmonument als Hauptmotiv sind ein Versuch die Omnipräsenz des Regimes im urbanen Raum zu untergraben.

Die Assoziationen der AktivistInnen mit dem abgerissenen Monument und dem Platz, auf dem es gestanden hat, wurde besonders in der Umbenennung des Platzes durch die AktivistInnen zum Platz der Märtyrer (Midan al-Shuhada) oder aber zum Platz der Freiheit (Midan al-Hurriyya) deutlich. Für den Fall des Sturzes des Regimes legten die DemonstrantInnen auch schon die neue Flagge Bahrains fest. Anders als zum Beispiel in Syrien wählten die bahrainischen DemonstrantenInnen keine neue Flagge, sondern verwendeten die offizielle Flagge leicht abgewandelt. In ihrer Mitte thront nun – wie könnte es anders sein – das Perlen-Monument.

 die Perle als Träne Bild I: Die Perle als Träne

 

Wie weit die imaginäre Kraft, die von dem Monument als Symbol ausgeht, tatsächlich reicht, zeigen Bilder in oppositionellen Facebook-Gruppen. Hier hat das Monument eine emotionale, gar romantische Stellung erreicht (Bild I), die teilweise mit nationalen Symbolen (die bahrainischen Flagge als Kleid) kombiniert wird (Bild II). Das Widerstandssymbol ist mit Bedacht gewählt: So vermeidet das Monument konfessionelle Symboliken und auch die Sprüche auf den Plakaten machen deutlich, dass man ein nationales Bewusstsein fern der staatlichen Rhetorik entwickelt hat. „Keine Schiiten, keine Sunniten, wir sind doch alle Bahrainis“ lautet etwa einer der Hauptsprüche der Bewegung. Auch das eine klare Aussage in Richtung (sunnitisches) bahrainisches Königshaus, das die Demonstranten beschuldigt, eine schiitische Terroristenbewegung zu sein.

Das Perlenmonument symbolisch verklärt Bild II: Das Perlenmonument symbolisch verklärt

 

In Bahrain finden dieser Tage weiter Demonstrationen statt. Die Protestierenden haben sich zum Ziel gesetzt, an den Perlenplatz zurückzukehren. Das Symbol also erlangt seine Bedeutung als Zeichen des anhaltenden, wieder erstarkenden Widerstands. Und so hat sich das Regime ironischerweise mit dem Abriss des Monuments seinen größten Kontrahenten geschaffen: Ein einendes Widerstandssymbol in der Vorstellungskraft der Regimegegner. Und diese Vorstellung kann ungeheure mobilisierende Kraft entfalten. Diese wird sich nicht einfach mit Bulldozern niederreißen lassen.

 

Quellenverzeichnis Bilder

Perlenplatz nach dem Abriss: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Al_Farooq_Junction_under_construction_... (CC Lizenz: Bahrain Viewbook)

Perlenplatz mit Monument: http://www.flickr.com/photos/haerold/364435965/ (CC Lizenz: Harold Laudeus)

500 Fils Münze: http://www.cbb.gov.bh/page.php?p=current_coins_500fils

Graffiti des Perlenmonuments: http://www.facebook.com/photo.php?fbid=435218133188738&set=a.43521796318...

Flagge der Protestbewegung: http://www.aljazeera.com/indepth/inpictures/2011/10/2011109114313571407....

Perlenmonument verklärt: http://www.facebook.com/photo.php?fbid=3767427753205&set=o.1365565030553...

Die Perle als Träne: http://www.facebook.com/photo.php?fbid=3229539746341&set=o.1365565030553...  

Amina ist seit 2010 bei dis:orient, war lange im Vorstand aktiv und konzentriert sich mittlerweile auf die Bildungsarbeit des Vereins in Deutschland. Sie promoviert an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Fach Soziologie im Bereich kritische Sicherheitsforschung und arbeitet in Berlin als Bildungsreferentin bei der Kreuzberger Initiative...
Schluwa ist Doktorandin am Centre for Kurdish Studies, University of Exeter. Sie promoviert zur politischen Ökonomie Irakisch-Kurdistans mit einem Fokus auf das Alltagsleben von Bäuer*innen. Dabei beschäftigt sie sich u.a. mit kolonialen Kontinuitäten, globalem Kapitalismus, Krieg und Landwirtschaft im Kontext Kurdistans und dem Irak. Für ...