Das Königreich Bahrain wird seit über 200 Jahren von der Familie der Al Khalifa beherrscht. Auf repressive Art und Weise, wie Menschenrechtsaktivist*innen nicht erst seit der Niederschlagung der Protestbewegung von 2011 kritisieren.
In deutschsprachigen Medien taucht das aus mehr als 30 Inseln bestehende Bahrain fast ausschließlich in Bezug auf das jährliche Formel-1-Rennen auf und wie zuletzt durch die diplomatische Annäherung mit Israel. Bahrainische Aktivist*innen wie Yusuf Abdullah sehen hierfür Gründe. Dis:orient hat mit ihm gesprochen.
Yusuf, da wenige Leser*innen viel über Bahrain wissen: Könntest du einmal kurz das Königreich am Golf sozio-ökonomisch charakterisieren?
Bahrain ist mit etwa 700.000 Staatsbürger*innen das kleinste Mitglied im Golfkooperationsrat (GCC), dem ansonsten noch die arabischen Golfanrainer Kuwait, Katar, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) angehören. Von den beiden letztgenannten ist Bahrain mit seinen vergleichsweise überschaubaren natürlichen Ressourcen komplett abhängig. Das Königreich ist angewiesen auf die Einnahmen durch saudische Tourist*innen sowie auf wirtschaftliche Unterstützung durch die Saudis und die VAE. Auch militärisch ist das Königshaus von den beiden mächtigen Nachbarn abhängig. Nicht umsonst waren es Soldaten aus Saudi-Arabien und den Emiraten, die auf Bitten von König Hamad Ibn Isa Al Khalifa das Land im Zuge der Proteste im März 2011 besetzten.
Wie gestaltet sich das von einer Monarchie bestimmte politische System?
Das Parlament ist nicht unabhängig, da der König die Hälfte der Mitglieder ernennt und das Abgeordnetenhaus jederzeit auflösen kann. Zudem ernennt der König die Regierung und kann diese entlassen.
Das sunnitische Königshaus agiert in diesem Zusammenhang sektiererisch, indem es die sunnitische Minderheit im Land bevorzugt und im politischen System überrepräsentiert. Mit identitätspolitischen Parolen versucht es, die Konfessionen im Land zu entzweien.
Unter diesen Bedingungen waren zuletzt die politischen Verhältnisse in Bahrain – wenn überhaupt – während der Proteste von 2011, an denen sich schätzungsweise die Hälfte der Staatsbürger*innen beteiligten, Thema in großen deutschen Medien. Was ist seitdem passiert?
Die Situation für Aktivist*innen und die politische Opposition hat sich dramatisch verschlechtert. Die wichtigste oppositionelle Partei, al-Wefaq, wurde nach zahlreichen Verhaftungen führender Politiker*innen 2016 vom höchsten Gericht Bahrains aufgelöst. Selbst der Perlen-Platz, Schauplatz der riesigen Demonstrationen von 2011 und 2012, wurde vom Staat dem Erdboden gleichgemacht. Politisch aktiven Bahrainis wurde vielfach die Staatsbürgerschaft entzogen und schiitische Moscheen zerstört. Immer mit dem Vorwand, das schiitische Iran stehe hinter den Protesten, was einfach nicht der Wahrheit entspricht.
2017 verbot das Informationsministerium die einzige unabhängige Tageszeitung al-Wasat endgültig. Ebenso 2017 wurde die wichtigste linke politische Partei Wa’ad verboten. Im selben Jahr wurde die bis dahin ausgesetzte Todesstrafe erstmals wieder vollstreckt. Auch in diesem Moment laufen 12 bahrainische Aktivist*innen Gefahr, exekutiert zu werden. Dabei gibt es zahlreiche Hinweise auf Verfahrensmängel und auf unter Folter erzwungene „Geständnisse“. Mittlerweile reicht es schon aus, jemanden auf Twitter zu folgen um von den Behörden befragt, eingeschüchtert und teilweise verhaftet zu werden.
Du lebst in Berlin. Warum hören wir in Europa und Deutschland aus deiner Sicht so wenig von der bedrückenden Situation in Bahrain?
In Bezug auf den Golf sind die internationalen Medien mit anderen Themen beschäftigt, etwa der israelisch-emiratischen Annäherung oder dem Ringen um regionale Vorherrschaft zwischen Iran und Saudi-Arabien.
Das Königshaus macht es zudem geschickt: Während 12 Aktivist*innen unschuldig vor der Todesstrafe stehen, wurde der bekannte Menschenrechtsverteidiger Nabeel Rajab im Juni 2020 öffentlichkeitswirksam aus seiner Haft entlassen, wobei er sich nie wieder politisch äußern darf. Einzelne positive Nachrichten werden wahrgenommen, wohingegen all die unschuldig Verhafteten vergessen werden.
Ein weiterer Grund: Saudi-Arabien, die VAE und Bahrain investieren im großen Stil in Europa. Die Königsfamilie hat sich zum Beispiel kürzlich beim spanischen Zweitligisten Cordoba CF eingekauft. Die Investments sind wichtige Einnahmen für die EU-Mitgliedsstaaten, gerade in der Corona-bedingten Krisensituation. Menschenrechtsaktivist*innen stören nur bei solchen Wirtschaftsdeals und werden bewusst nicht gehört.
Kannst du den letzten Punkt etwas ausführen?
Saudi-Arabien und die VAE wären wütend, würde zum Beispiel Deutschland den „kleinen Bruder“ Bahrain kritisieren. Erinnerst du Dich, als die damalige kanadische Außenministerin Chrystia Freeland die Freilassung einer saudischen Aktivistin 2018 forderte? Die Saudis haben damals die Handelsbeziehungen eingefroren, den saudischen Botschafter ausgewiesen und alle saudischen Studierenden in Kanada aufgefordert, das Land zu verlassen.
Solch ein Szenario möchte Deutschland verhindern und kritisiert deshalb die wichtigen Wirtschaftspartner nicht öffentlich. Dabei gäbe es Druckmittel: Bahrain kauft deutsche Autos, Waffen und profitiert auch von deutschem Tourismus in den Golfstaaten. Deutschland hat als eines von wenigen Ländern eine Botschaft in Bahrain und könnte sich auf direktem Wege Gehör verschaffen. Doch der deutsche Botschafter spricht nur von wirtschaftlichen Unternehmungen und trifft in Bezug auf die Menschenrechte nur Marionetten des Regimes wie die Vorsitzende des Nationalen Komitees für Menschenrechte, Maria Khoury, die etwa die Wiedereinführung der Todesstrafe befürwortet hat.
Was sind die Forderungen oppositioneller Aktivist*innen 2020?
Wir brauchen eine neue Verfassung. Keine, die uns 2002 vom König „gegeben“ wurde, sondern eine, die wir selbst schreiben! Es geht um freie Meinungsäußerung, um unabhängige Gerichte, um Gerechtigkeit um Freiheit – nicht darum, wer Sunnit*in oder Schiit*in ist.
Wir danken der Menschenrechtsorganisation Americans for Democracy & Human Rights in Bahrain für die Vermittlung des Kontakts zu Yusuf Abdullah.