12.04.2018
Der Kampf um die Wahlbeteiligung in Ägypten
Auf den ersten Blick wirkt Abdel Fatah al-Sisi wie der strahlende Sieger der Wahlen - aber bei genauerem Hinsehen blieb doch einiges unscharf bei seiner Wiederwahl. Foto: Alsharq
Auf den ersten Blick wirkt Abdel Fatah al-Sisi wie der strahlende Sieger der Wahlen - aber bei genauerem Hinsehen blieb doch einiges unscharf bei seiner Wiederwahl. Foto: Alsharq

Mit Strafdrohungen und Rabatten für den Freizeitpark versuchten die Behörden in Ägypten, die Beteiligung an der Präsidentschaftswahl hochzutreiben. Aber obwohl nur zwei Kandidaten antraten, landete der „Herausforderer“ von Machthaber Al-Sisi nur auf Platz drei.

Bei den Präsidentschaftswahlen in Ägypten trat Amtsinhaber Abdel Fatah Al-Sisi „gegen“ einen seiner eigenen Anhänger, Musa Mustafa Musa, an. Die eigentliche Herausforderung für den Staat lag daher darin, die Menschen dazu zu bringen, an einer Wahl teilzunehmen, die bereits entschieden war. Dies zeigte die offizielle Wahlkampagne, welche von der nationalen Wahlkommission (NEC) finanziert und beinahe auf jedem ägyptischen Radio- und Fernsehsender ausgestrahlt wurde.

Mit dem Slogan: „Deine Stimme ist nicht nur eine Stimme, sie ist eine Botschaft an die Welt“ und der eindeutigen Aussage „Dieses Mal ist es egal, wer gewinnt“, wurde deutlich: Bei dieser Wahl ging es nicht darum, den Präsidenten wiederzuwählen. Es ging darum, die Opposition, die zu einem Boykott aufgerufen hatte, herauszufordern. Zusätzlich sollte eine hohe Wahlbeteiligung zeigen, dass Al-Sisi eine große Beliebtheit in der ägyptischen Bevölkerung genießt und das Regime stabilisieren wird.

Zuckerbrot und Peitsche

Der Kampf um die Wahlbeteiligung zwischen Staat und Opposition lässt sich an diversen ägyptischen Medienplattformen demonstrieren.

MadaMasr, eine unabhängige oppositionelle Zeitung, berichtete, dass „mehrere Geschäftsmänner und Unternehmen Busse mit den Bannern von Al-Sisis Wahlkampagne stellten, um Mitarbeiter zu den Wahllokalen zu bringen“.

Über ein ähnliches Ereignis – mit einer positiveren Konnotation – berichtete die staatsnahe Zeitung El-Watan: „Einige Privatschulen stellten ihre Busse zur Verfügung, um Bürger zu den Wahllokalen zu transportieren.“

Hassan Ratib, ein Unternehmer, veröffentlichte stolz ein Video auf seinem eigenen TV-Kanal Mehwar, in dem zu sehen ist, wie er Busse bereit stellt, um die Angestellten seiner Unternehmen zu den Wahllokalen zu bringen. Ratib verkündete außerdem, dass die Vorsitzenden mehrerer NGOs entschieden hätten, 4 Millionen Ägyptische Pfund (EGP, etwa 200.000 Euro) in Form von Infrastrukturprojekten an das Dorf, die Stadt und den Distrikt mit der höchsten Wahlbeteiligung zu spenden.

Öffentliche Dienste als Anreize zu nutzen war jedoch nicht nur eine Methode nichtstaatlicher Akteure. Verschiedene Zeitungen berichteten, dass mehrere Gouverneure, wie der Gouverneur von Buhaira und Al-Wadi al-Dschadid sowie der Generalsekretär von Monufia versprachen, einige der Infrastrukturprobleme der Dörfer und Städte mit der höchsten Wahlbeteiligung zu lösen.

Laut ONA, einer privaten Nachrichtenagentur, bot der Minister für Jugend und Sport den Top fünf Regierungsbezirken ebenfalls finanzielle Belohnungen an.

Die private Zeitung Tahrir berichtete, dass der Gouverneur von Qalyubia diejenige Eparchie (eine Diözese der koptischen Kirche, Red.) mit einer Wahlbeteiligung von mehr als 40 Prozent mit 100.000 EGP (etwa 5000 Euro) belohnen wollte und 22 willkürlich ausgesuchten Muslimen das Aufkommen für die Umra (Pilgerfahrt nach Mekka, Red.) anbot.

Und wem das alles nicht attraktiv genug erschien: Laut der Zeitung El-Watan halbierte „Dream Park“, ein bekannter Vergnügungspark in der Nähe von Kairo, die Tickets für Menschen, die den Park während den Wahlen besuchten und noch Tinte an den Fingern hatten – welche aufgetragen wird, um zu verhindern, dass Menschen mehr als einmal wählen.

Auf der anderen Seite gab der NEC am letzten Tag der Wahl bekannt, dass Menschen, die nicht wählen gehen, laut Artikel 43 des Gesetzes zur Präsidentenwahl mit einer Strafe von höchstens 500 EGP belangt werden. Obwohl diese Strafe gesetzlich festgelegt ist, war sie nie zuvor umgesetzt worden.

Die Wahlbeteiligung

Die meisten ägyptischen Medienplattformen berichteten von einer hohen Wahlbeteiligung während der dreitägigen Wahl.

Lamis El Hadidi eröffnete ihre nächtliche Talk Show auf CBC mit der Aussage, dass die Wahlbeteiligung gut gewesen sei, weder hoch noch niedrig. „Lange Schlangen vor Wahllokalen sind kein Kriterium für die Wahlbeteiligung. Was zählt sind die Zahlen, die offiziell verkündet werden (…) Wir sollten uns keine Gedanken darüber machen, dass es keine Schlangen gab.“  

Am gleichen Tag veröffentlichte Ahmed Musa in seiner Show auf dem Kanal Sada Elbalad ein Video von einer langen Schlange vor einem Wahllokal und kommentierte ironisch: „Diese Schlange ist größer als Qatar.“ „Die Wahllokale in der gesamten Nation sahen eine massive Wahlbeteiligung. Die Bürger versammelten sich vor den Wahllokalen, um zu tanzen und das ‚demokratische Fest‘ zu feiern“, so die staatliche Tageszeitung Al-Ahram. Videos, die zeigen, wie Bürger auf der Straße tanzen, wurden im Fernsehen und in den sozialen Medien verbreitet. Youm7, eine staatsnahe, private Zeitung, ist eine der Plattformen, die am intensivsten über diese „Feierlichkeiten“ berichtete.

Am letzten Tag der Wahl verkündete die Wochenzeitung Sout Al-Omma, dass frühe Indizien auf „einen harten Schlag gegen die Führung der Muslimbruderschaft hindeuten. Al-Sisi gewann die Stimmen in ihren Heimatstädten mit Leichtigkeit.“

 

Ein Chefredakteur wegen Berichterstattung gefeuert – ein anderer festgenommen

Am 29. März veröffentlichte Al-Masry Al-Youm, eine der bekanntesten ägyptischen Zeitungen, eine Titelstory unter der Überschrift: „Der Staat versammelt Wähler am letzten Wahltag.“ Sie berichtete von der vom NEC angekündigten Geldstrafe und von den Anreizen, die von Gouverneuren gesetzt wurden.

Stunden später veröffentlichte die private Zeitung eine Klarstellung, dass „versammeln“ positiv gemeint sei: „Viele Länder versammeln ihre Bürger, um an Wahlen teilzunehmen (…) Wir, die Mitarbeiter und Inhaber der Zeitung, stehen zu dem Präsidenten und dem Staat (…) Sollte der Titel missinterpretiert worden sein, so liegt das nicht in unserer Verantwortung.“

In der zweiten Auflage ersetzte Al-Masry Al-Youm den Titel mit „Al-Sisi führt gegen Musa nach ersten Zählungen.“ Der ägyptische oberste Rat zur Regulierung der Medien (SCMR) belegte die Tageszeitung mit einer Strafe von 150.000 EGP (etwa 7.500 Euro) und verlangte eine Untersuchung des Vorfalls durch das Pressesyndikat. Ein Video, welches Al-Masry Al-Youm ebenfalls veröffentlicht hatte und zeigt, wie Musa seinen Stimmzettel abgibt, wird ebenfalls untersucht werden. 

Video: Musa gibt seine Stimme ab.

Der SCMR verlangte eine öffentliche Entschuldigung von Al-Masry Al-Youm beim NEC. Der Staatsanwalt entschied, eine Untersuchung des Vorfalls einzuleiten, nachdem Samir Sabre, ein pro-staatlicher Anwalt, gegen die Zeitung geklagt und sie der „Beleidigung der ägyptischen Bürger und der staatlichen Institutionen“ beschuldigt hatte.

Am 4. April gab Al-Masry Al-Youm bekannt, dass der Chefredakteur Mohamed El-Sayed Saleh entlassen wurde. Saleh reagierte darauf in einer Stellungnahme, in der er behauptete, dass dies eine einvernehmliche Entscheidung sei: „Ich werde weiterhin für die Zeitung schreiben, solange es noch ein gewisses Maß an ‚reiner Luft‘ in der Atmosphäre gibt.“

Eine private Nachrichtenwebsite ereilte ein ähnliches Schicksal. Laut einer offiziellen Stellungnahme des Innenministeriums gab es eine Polizeirazzia im Büro von Masre Al-Arabia, bei welcher der Chefredakteur Adel Sabry wegen des „Betreibens einer Website ohne Lizenz“ verhaftet wurde. Masr Al-Arabia berichtete, dass nach Auskunft der Polizeioffiziere auch eine Strafe von 50.000 EGP (etwa 2500 Euro) berechtigt sei, die der SCMR für das Übersetzen und Veröffentlichen eines Artikels der New York Times mit dem Titel „Für nur 3 Dollar pro Stimme schleppen sich Ägypter zu den Wahllokalen“ festgelegt hatte.

Am 5. April wurde Sabry  für 15 Tage in Untersuchungshaft genommen. Die Anklagepunkte lauteten: „Beitritt zu einer terroristischen Organisation“, „Fördern von Ideologien über seine Website, die das Ziel haben die Verfassung zu ändern“, „beabsichtigtes Verbreiten falscher Informationen“ und „Aufstacheln zu Demonstrationen“.

Zwei Amtszeiten sind nicht genug

Noch bevor die offiziellen Ergebnisse überhaupt verkündet wurden begannen Personen des öffentlichen Lebens, von der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung zu sprechen. Derzeit ist die Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten je vier Jahre beschränkt.

„Jeder Vertrag sollte anwendbar und veränderbar sein... Es ist keine heilige Schrift“, sagte Emad Adib, ein Journalist, in einem Interview auf dem TV-Kanal Ten. „China hat soeben eine Verfassungsänderung umgesetzt, die die Beschränkung aufhebt. Die Bürger dort glaubten, davon zu profitieren (…) Ich würde es vorziehen, dass diese Diskussion in dem vierten Jahr seiner [Al-Sisis] Amtszeit stattfindet, nach dem Auswerten seiner Präsidentschaft. Außerdem möchte er seine Präsidentschaft vielleicht gar nicht verlängern.“

Laut Youm7 machte ein Parlamentsmitglied eine ähnliche Aussage, dass er aktuell „Unterschriften sammelt, um eine Verfassungsänderung im Parlament vorzubringen“.

Video: Feierlichkeiten in Alexandria

Die Ergebnisse

„Die ersten inoffiziellen Zählungen zeigen, dass Al-Sisi mehr als doppelt so viele Stimmen wie der Spion Mursi (Mohammed Mursi, ägyptischer Präsident 2012-2013, Red.) bekommen hat, die [Armen und die untere Mittelschicht] repräsentieren die Mehrheit in dieser Wahl. Die, die sich selbst 'Intellektuelle' nennen sind die, die wir fürchten sollten“, sagte  Ahmed Musa in seiner Talkshow auf Sada Elbalad.

Am 2. April verkündete der NEC, dass Al-Sisi die Wahlen mit 97 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 41 Prozent (24,3 Millionen Stimmen) gewonnen hat. Zum Vergleich: 2014 lag die Wahlbeteiligung bei 47,5 Prozent (25,6 Millionen) und bei den ersten Wahlen nach der Revolution 2012 bei 47 Prozent (25,6 Millionen). Laut dem NEC waren 7 Prozent der abgegebenen Stimmen ungültig, im Vergleich zu 4 Prozent 2014 und 1,7 Prozent 2012. „Das ist die höchste Rate an ungültigen Stimmen, die wir in ägyptischen Wahlen je gesehen haben“, so Lamis El-Hadidi auf CBC.

Musa kam mit 3 Prozent der gültigen Stimmen auf den dritten Platz. „Jeder Kandidat, der gegen den Präsidenten Al-Sisi kandidiert hätte, hätte nicht einmal diesen Prozentsatz erreicht. Wenn ich gegen irgendjemand anderen kandidiert hätte, hätte ich mehr Stimmen bekommen (…) Was jetzt zählt, ist, dass Ägypten dieses Hindernis überwunden hat“, sagte Musa bei einer Pressekonferenz nach der Verkündung der Ergebnisse. Im Gegenzug dankte Al-Sisi Musa und seiner Kampagne in seiner Antrittsrede für den „patriotischen und zivilisierten“ Wahlkampf.

Video: Feierlichkeiten in Kairo

Emad Adib analysierte die Ergebnisse auf CBC: „Das ist eine deutliche und genaue Aussage über die wahre Größe derer, die behaupten [dieses Regime] stürzen zu können (…) selbst wenn wir die Stimmen, die Musa erhalten hat, zu den ungültigen Stimmen addieren, angenommen diese wären alle für die Opposition, würden sie keine signifikante Prozentzahl im Verhältnis zu den Stimmen, die Al-Sisi erhalten hat, darstellen (…) Das bestätigt, dass die Mehrheit dieses Regime befürwortet.“

 

Hinweis der Redaktion: Den Namen des Autoren haben wir aus Sicherheitsgründen geändert.

 

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Artikel von B. Philipp
Übersetzt von Alicia Kleer